In Sophies Kopf – der Amnesie-Thriller „The Girl in The Water“ bei Apple TV+
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Verzweifelt: Sophie (Gugu Mbatha-Raw) hat beim Sturz von einer Fähre das Gedächtnis verloren. Szene aus der Apple-TV+-Serie „The Girl in The Water“.
© Quelle: Apple TV+
Wasser ist für Sophie Ellis (Gugu Mbatha-Raw) ein No-Go. Dem verblüfften Taxifahrer, der mit ihr soeben über die Golden Gate Bridge wollte, ist sie von der Rückbank freiweg in den Verkehr gesprungen. Er weiß freilich nicht, was wir wissen. Wir haben Minuten zuvor gesehen, wie Sophie ins Meer fiel und an einem Schiffsbauch entlang auf die rotierende Schraube einer Fähre zuraste.
Von einem Suizidversuch spricht die Therapeutin Hannah (Marianne Jean-Baptiste), „die Tatsache, dass Sie das überlebt haben, ist ein Wunder“. Die Frage, die der traumatisierten Sophie niemand beantworten kann: „Wenn mein Dasein so perfekt war, warum habe ich es zu beenden versucht?“
Sophie selbst hat deshalb keine Erklärung, weil sie seit dem Unglück an einer massiven retrograden Amnesie leidet. Tabula rasa. Alles, was vor dem Sturz war, ist ausgelöscht. Und die Therapeutin macht ihr keine Hoffnung, dass die Erinnerungen je wieder zurückkehren könnten.
Eine „Gelöschte“ ist die perfekte Protagonistin für einen Psychothriller
Damit ist Sophie die perfekte Protagonistin für einen Psychothriller. In Veronica Wests „Surface“, einer Serie, die in Deutschland unter dem Titel „The Girl in the Water“ läuft, ist sie eine Frau ohne Geschichte, hilflos auf die unbedingte Aufrichtigkeit ihres Umfelds angewiesen, um einigermaßen rekonstruieren zu können, wer sie war. Alle möglichen Bären kann man einer solchen Frau aufbinden, sie zu einer völlig neuen Persönlichkeit formen, sie ist in Thrillern ein Spielball für Monster.
Und man hat als Zuschauer flugs den Eindruck, es werde Sophie hier reichlich übel mitgespielt. Nicht nur will uns eine Psychotante als höchst suspekt erscheinen, die Heilung im strikten Vermeiden von Gedächtnisrückgewinn sieht. Auch Sophies Ehemann James ist – wiewohl auf den ersten Blick umsichtig und umarmend – mit Vorsicht zu genießen. Er hat ein existenzgefährdendes Geheimnis, das er vor Sophie hütet, und der britische Schauspieler Oliver Jackson-Cohen („The Haunting of Hill House“) lässt hinter seinem leutselig-scheuen Jake-Gyllenhaal-Charme ein wölfisches Lächeln aufblitzen, das ihn sofort in Verdacht bringt, er könne Schlimmes mit Sophie im Schilde führen.
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Francois Arnaud ist als James’ Buddy und engster Arbeitskollege Harrison noch so ein Smartie mit doppeltem Boden – eine Art Richard Madden von der dunklen Seite der Macht. Und Ari Graynor hat als Sophies beste Freundin Caroline vom ersten Auftritt an diese traurige blonde „Ich habe mit deinem Mann geschlafen“-Sexyness. Gewiss kein Kleeblatt von Vertrauenserweckern. Praktischerweise gibt es keine leiblichen Familienmitglieder Sophies, die ihr aufrichtig zur Seite stehen könnten. Wobei uns da ja auch schon mancher Thriller bewiesen hat, dass der Feind vom selben Blut oft der ärgste ist.
„The Girl in the Water“: Noch zur Halbzeit der Serie fühlt man sich zu diskret gethrillt
Dann tauchen in Sophies Kopf doch Schemen aus dem Gestern auf, Schatten auf der „weißen Tafel“ – ein Mädchen (Millie Brady), das Sophie seltsamerweise mit Tess anredet. Und ein schwarzer Schatten, der in einem Erinnerungsfetzen von der Reling der Fähre auf sie herabblickt. Mordversuch statt Selbstmord – ist doch klar. Der Cop Thomas Baden (Stephan James) tritt an Sophies Seite, mit ihm hatte sie – noch so ein Rätsel – bereits vor ihrem Unfall eine Affäre.
Die Kamera feiert das schöne, steile San Francisco, das von Heldin Sophie in den acht Episoden gefühlte 50‑mal durchjoggt wird. Auch wenn man grundsätzlich Wohlgefallen an dem gedrosselten Tempo der Serie finden kann – langsam ist ja nicht erst seit „The Undoing“ (2020) und „Mare of Easttown“ (2021) das neue intensiv – so ärgert man sich doch über Redundanzen, skizzenhafte Figuren und ein dauerhaft niedriges Spannungsbarometer. Mbatha-Raw versucht, das Drama einer geleerten Seele auszuspielen. Doch glauben wir, dass ein solcher Zustand Betroffene eigentlich über den Rand des Wahnsinns hinaus führen müsste. Noch zur Halbzeit fühlt man sich viel zu diskret gethrillt. „Gib uns Gänsehaut, Veronica West!“, möchte man der Showrunnerin zurufen.
Jetzt aber bitte keine Wasserleiche!
Und wenn dann Sophie am Fuß einer Treppe anlangend erfährt, was Freundin Caroline wirklich von ihr denkt – weil die das soeben am oberen Treppenabsatz mit Sophie zugekehrtem Rücken lauthals in ein Smartphone kräht, ist das ein so kolportagehaft inszenierter Zufall, dass man gute Lust bekommt, jemanden mit dem Drehbuch zu hauen. Elegant geht ganz anders.
Immer wieder erfährt Sophie eine weitere neue Wahrheit, immer wieder erscheint sich die Heldin im Verlauf der acht Episoden in neuem, zunehmend schlechterem Lichte. „Ich bin in der Mitte einer Explosion aufgewacht und habe festgestellt: Ich bin die Bombe“, erzählt sie ihrer Therapeutin desillusioniert. Und nachdem sie im Museum lange vor John Everett Millais’ Gemälde der ertrinkenden „Ophelia“ (1852) geweilt hat, glaubt man, in Hamlets blütenumflort dem Tod entgegentreibender Gattin einen Spiegel des Serienfinales erkennen zu können. Jemine! Jetzt bloß keine Wasserleiche, denkt man.
Und ist beinahe erleichtert über den Twist, den West stattdessen gefunden hat. Einen, mit dem sie den Kreis ihrer Story schließen möchte. Und zugleich einen neuen eröffnet.
„The Girl in the Water“, erste Staffel, acht Episoden, von Veronica West, mit Gugu Mbatha-Raw, Oliver Jackson-Cohen, Stephan James, Ari Graynor (ab 29. Juli bei Apple TV+)
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