Wie man eine Klimadoku vergeigt
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Bjarne Mädel und Anke Engelke fahren mit einem Lastenrad durch die Gegend. In der ARD-Doku „Wir können auch anders“ widmen sich die Schauspieler mitunter dem Thema Mobilität.
© Quelle: SWR - Das Erste/SWR/Florida Film
Hannover. Wie macht man eine Dokumentation über die Klimakrise, die Menschen noch erreicht? Zugegeben, die Ausgangslage ist überaus schwierig. Die einen sind mittlerweile hoffnungslos genervt – die anderen sehen schon den Weltuntergang am Horizont. Und dann gibt es noch diejenigen, die das Problem durchaus erkannt haben und ernst nehmen, aber angesichts der aufgeheizten Debatte zunehmend ermüden.
Eine Fernsehdoku mit konstruktivem Ansatz, unterstützt von allerlei A‑Prominenz, hätte ein Angebot zum Dialog sein können. Man hätte Lösungsansätze vorstellen, diskutieren und evaluieren, sie weiterdenken oder kritisch infrage stellen, Probleme thematisieren und nach Kompromissen suchen können. Vielleicht sogar mit dem Ziel, alle Gruppen gemeinsam an einen Tisch zu bringen.
Oder man dreht einen ironisch-plumpen Hochglanzwerbefilm mit Anke Engelke, Bjarne Mädel und anderen Spaßvögeln, die auf all das überhaupt keine Lust haben.
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„Wir können auch anders“: autofreier Jungfernstieg als große Innovation
„Wir können auch anders“ heißt das „Werk“, das als Dokuserie in der Mediathek veröffentlicht und als 90‑minütiger Film in der ARD ausgestrahlt wurde. Ziel der Produktion von Regisseur Lars Jessen und Laura Lo Zito ist laut Selbstbeschreibung, die „guten Nachrichten“ in der Klimakrise zu erzählen – man wolle Menschen treffen, die „nicht jammern, sondern anpacken“. Auf ihrer Suche nach der blumigen Zukunft sind Engelke, Mädel und ihre Kolleginnen und Kollegen allerdings so beduselt vor Zukunftsromantik, dass sie die Realität völlig ausblenden. Und mit konstruktivem Journalismus, ganz nebenbei, hat all das auch nichts zu tun.
Das fängt schon ganz am Anfang an, als sich Engelke und Mädel in Hamburg treffen, um das Thema autofreie Innenstädte unter die Lupe zu nehmen. Zigmal wurde das schon durchgekaut, zig tolle Positivbeispiele gibt es in Städten in ganz Europa, wir wissen das. Auch hier in Hamburg hat man ein paar Hundert Meter Jungfernstieg für den Verkehr gesperrt und hält das für die große „Mobilitätswende“, die der Grünen-Verkehrssenator Anjes Tjarks stolz präsentiert – Mädel und Engelke finden das so toll, als hätten sie zum allerersten Mal von einer solchen Idee gehört.
Die naive Begeisterung geht so weit, dass jegliche Kritik und Probleme, die mit einem solchen Verkehrsversuch einhergehen, einfach weggelacht werden. Engelke spricht etwa über Einzelhändler, die doch jetzt Umsatzeinbußen befürchten müssen. Sie tut das ironisch, als Gag – eine Antwort bleibt der Film ganz absichtlich schuldig. Mädel liefert einen weiteren Seitenhieb. Es gebe ja auch Menschen, die in ihrem Beruf aufs Auto angewiesen seien – zum Beispiel, Achtung, Pointe: Rennfahrer. Danach darf ausgerechnet Bleifuß Sebastian Vettel erzählen, wie toll doch der saubere öffentliche Nahverkehr in Zürich ist.
Kritik einfach weglachen
Die Aufbereitung des Themas ist hochgradig naiv und oberflächlich – und angesichts seiner Brisanz äußerst ärgerlich. Gegen Pläne wie die in Hamburg regt sich vielerorts massiver Widerstand. Nicht selten, weil sich hinter einer Straßensperrung nicht mehr als plumper Aktionismus ohne ernsthaftes Konzept verbirgt. Andernorts, weil die Bevölkerung nicht mitgenommen wurde – und dementsprechend auch nicht mitzieht. Ernsthafte Einwände von Einzelhändlern hatte es auch in Hamburg gegeben. Und Menschen, die ein Auto zum Leben brauchen, sind auch nicht zwangsläufig Rennfahrer.
In der ostwestfälischen Stadt Bielefeld klagten im vergangenen Jahr Einzelhändler gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über Umsatzeinbußen von 20 bis 30 Prozent. Straßensperrungen für Autos wurden nach einem völlig gescheiterten Verkehrsversuch und massivem Protest zurückgebaut. In Berlin verkommt die Sperrung der Friedrichstraße für den Autoverkehr zur Lachnummer – erst diese Woche hatten Anwohnerinnen und Anwohner auf einer Podiumsdiskussion ihrem Ärger Luft gemacht.
Über all das verliert die ARD-Doku nicht ein Wort. Natürlich nicht, man will ja nicht mit Nörglern sprechen, sondern mit Machern. Also ignoriert man jeglichen Einwand einfach, als wäre er gar nicht da – oder witzelt ihn weg, als etwas, das man nicht ernst nehmen muss.
ARD-Doku „Wir können auch anders“: Nachgefragt wird nicht
Man läuft also vorbei an bunten Blümchen, spielt das Geräusch von surrenden Fahrradketten ein und bewirbt den autofreien Jungfernstieg als Zukunftsszenario, als wäre dieses gesellschaftlich längst ausgehandelt. Wenn Engelke etwa neidisch durch das autofreie Gent in Belgien rennt, rät sie den Bürgermeistern der Städte „Kiel, Chemnitz oder Krefeld“, sie könnten sich doch mal ein Beispiel an der Stadt nehmen.
Hätte man wirklich den Anspruch, konstruktiven Journalismus zu betreiben, dann würde man in Kiel, Chemnitz oder Krefeld vielleicht einfach mal nachfragen. Es wird ja einen Grund geben, warum die Krefelder Innenstadt nicht aussieht wie das Blumenkübelparadies des Niederrheins. Vielleicht würde man sogar die gescheiterten Verkehrskonzepte wie in Bielefeld oder Berlin mit denen aus dem Ausland vergleichen und analysieren, was da eigentlich schiefgelaufen ist.
Da könnte dann alles Mögliche rauskommen. Vielleicht, dass man das Problem ganz anders angehen muss. Vielleicht, dass man falsch geplant oder die Bürgerinnen und Bürger nicht richtig mitgenommen hat. Vielleicht aber auch, dass drei Topfpflanzen auf einer Straße in Krefeld gar nicht die große Lösung für das Klimaproblem sind.
Harmonie und bunte Grafiken
Auf Recherche und Konstruktives hat die Redaktion der Doku aber offenbar keine Lust. Die Konzepte sind alle da, sie müssten nur noch umgesetzt werden, lautet der Tenor. Vielleicht, so wird an mehreren Stellen deutlich, wird dann einfach alles ein bisschen teurer. Bedenken daran werden allenfalls alibimäßig erwähnt und dann übergangen.
Engelke, Mädel und ihre Kollegen kippen dem Publikum einen riesigen Bauchladen Zukunftskonzepte in den Bildschirm – vom Bürgerbus bis zum nachhaltigen Müslishop. Die gesamte Doku ist gedreht wie eine Waschmittelwerbung. Man sieht knallige Farben, Drohnenbilder und Kamerafahrten, die selbst ein Stahlwerk in Duisburg wie ein Kunstwerk erscheinen lassen.
Ständig fahren Fahrräder in Slow Motion durchs Bild, im Vordergrund Töpfe mit Frühlingsblumen, die Abendsonne schimmert durch Engelkes Haare. Alles ist immer ruhig und harmonisch, selbst wenn Frier und Axel Prahl vor einem in der Realität eigentlich ziemlich rauschenden Windrad stehen. Zwischen den Beiträgen erklären bunte Grafiken anhand von Pizzen und Tennisfeldern, wie die Welt so funktioniert – als seien die Zuschauerin und der Zuschauer nicht in der Lage, irgendeinen Zusammenhang zu verstehen.
ARD-Doku „Wir können auch anders“: wie im Werbefilm
Die vorgestellten Betreiber der „Zukunftsprojekte“ dürften sich derweil über die Doku freuen. Einmal preisen Engelke und Mädel das Ridesharing-Angebot des Volkswagen-Konzerns in höchsten Tönen. Dieses ist zwar vergleichsweise klimafreundlich – in den vergangenen Jahren gab es aber auch immer wieder Kritik an dem Modell. Die „Hamburger Morgenpost“ berichtete etwa über Leerfahrten, mit denen der Anbieter die Hamburger Straßen verstopfe – das Unternehmen wies dies zurück. Später berichtete die „taz“ über fragwürdige Arbeitsbedingungen: Fahrerinnen und Fahrer müssten selbst Toilettenpausen per Knopfdruck im digitalen System beantragen – diese würden dann aus der bezahlten Arbeitszeit herausgerechnet. Engelke und Mädel sind zu begeistert von dem „schicken“ Fahrzeug, um das zu erwähnen.
Ein anderes Mal darf der Chef der Hamburger Verkehrsbetriebe sein „Elbmobil“ hochjubeln, das Leute per App vom Land in die Stadt bringt. „Sieht aus wie ein ganz normaler Bus, ist aber die Zukunft“, schwärmt Mädel. Auch für Frauen sei das total sicher, stimmt Engelke mit ein. Die bittere Wahrheit: In Hamburg ist die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge trotz aller Bemühungen und Ridesharing-Angebote auf Rekordniveau – und fast 90 Prozent der Zulassungen haben einen Verbrennungsmotor. In der Doku wird das mit keinem Wort erwähnt.
Die A-Prominenz spielt lieber Pressesprecher. Pheline Roggan und Aurel Merz knabbern in der Fabrik eines Burgerpattyproduzenten begeistert an gegrilltem Erbsenprotein, Annette Frier liefert ihrem Interviewpartner, einem Windradbetreiber, die passenden Stichworte für den perfekten Werbespruch. „Die Technik ist da, der Platz ist da, los geht’s. Man muss es nur machen“, stimmen beide im Chor ein.
Der Bericht über einen nachhaltigen Knabbershop, in dem Mädel vorbeischaut und Müsli bestellt, wurde von diesem offenbar so begeistert angenommen, dass das Unternehmen auf seiner Website aktuell ein selbst ernanntes „ARD‑Set“ anbietet. Für 30 Euro kann dort das Früchtemüsli nachgekauft werden, das schon in der Sendung geknuspert wurde. Freuen dürfte sich die öffentlich-rechtliche Anstalt über diese ausgefuchste Werbeidee wahrscheinlich nicht. Aber andersrum: Wer sechsteilige Dokus im Werbestil dreht, muss sich auch nicht wundern.
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Der Betreiber eines regionalen Internetshops freut sich über die ARD‑Doku – und nutzt sie umgehend fürs eigene Marketing.
© Quelle: regionique.de, Screenshot RND
Aus der Zeit gefallen
Man kann nicht sagen, dass die vorgestellten Zukunftskonzepte der Sendung nicht interessant wären. Es gibt da auch Neues, Ungewöhnliches zu sehen. Etwa das Interview mit einem Algenbauern, der die Landwirtschaft ins Meer verlagert hat. Oder die Klimaschutzansätze in der Schwerindustrie – Engelke besucht dazu ein Thyssen-Werk in Duisburg. Und trotz all dieser Bemühungen wirkt die Doku völlig aus der Zeit gefallen.
Mit Windrädern und Solaranlagen und regionalen Knabbereien hätte man das Publikum vielleicht vor ein paar Jahren hinter dem Ofen hervorlocken können. Heute, viele Dosen Kartoffelbrei auf Gemälden und Sekundenkleber auf Kraftfahrstraßen später ist die Diskussion in der Klimadebatte aber an einem ganz anderen Punkt.
Jeder weiß inzwischen, dass es Fleischersatzprodukte gibt. Und dass man theoretisch auch mit „cleveren Verkehrskonzepten“ und zwölfmal Umsteigen zum Arbeitsplatz kommt. Es ist hinlänglich bekannt, dass Busse besser sind als Autos. Und Windräder besser als Kohlekraftwerke. Und Kühe auf der Weide besser als Massentierhaltung. Dafür braucht es keine Promi-Hochglanzdoku mehr.
Journalismus statt Aktivismus
Die Frage ist doch vielmehr, was man mit all diesen Ideen jetzt macht. Wie lassen sich solche Zukunftsideen wirklich umsetzen? Lässt sich so was überhaupt großflächig auf alle Regionen übertragen? Wenn ja: Wie macht man das, ohne den einen Teil der Bevölkerung komplett zu verlieren – und ohne den anderen völlig zu radikalisieren? Und wenn nicht: Wie könnte man es anders machen?
Es wäre durchaus möglich, seriös und journalistisch Zukunftsszenarien zu zeichnen, wenn man es nur wollen würde. Das funktioniert aber nicht, indem man fancy Werbesprüche von hippen Start‑up-Bauern nachbetet und diese dann auch noch mit einem furchterregenden Motivationslied von Max Mutzke unterlegt, das mit der Zeile „Wir lassen keinen zurück“ endet.
Zukunftsromantik am Tempelhofer Feld
Die Doku „Wir können auch anders“ endet so klischeehaft wie sie enden muss. Engelke und Mädel sitzen in der Abendsonne auf einer Sitzgelegenheit auf dem Tempelhofer Feld in Berlin, wo sonst? Mit dabei ist auch Politökonomin und Klimaaktivistin Maja Göpel. Engelke schwärmt von all den „Geschichten“, die sie nun „weitererzählen“ könne. Man könne das „gut teilen“, wenn man irgendwo inspiriert wurde und gemerkt habe: „Das geht.“
Mädel stimmt ein: Man müsse sich „nur entscheiden“, sich den „Menschen anzuschließen, die schon unterwegs sind, und wir müssen die Rahmenbedingungen miteinander so aushandeln, dass sich das Gute auch durchsetzen kann“.
Dann endet das Stück mit dem Titel der Doku, den beide Protagonisten gleich mehrfach wiederholen: „Wir können auch anders.“ Die Doku selbst allerdings hat dieses Versprechen nicht mal im Ansatz erfüllt.