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MrBeast-Mitglied Chris Tyson unterzieht sich Hormontherapie

Wie das Coming-out eines Youtube-Stars eine Hasswelle auslöste

Chris Tyson hat eine Hormontherapie begonnen. Auf Twitter wird der Youtube-Star mit Hassnachrichten überschüttet.

Chris Tyson hat eine Hormontherapie begonnen. Auf Twitter wird der Youtube-Star mit Hassnachrichten überschüttet.

Hannover. Es waren nur drei Worte, die für Chris Tyson alles verändern sollten: „bro wtf happened“ („Bro, was zum Henker ist passiert?“).

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Ein Twitter-Nutzer mit dem Namen „Blix“ postete diesen kurzen Satz, dazu zwei Fotos, die Chris Tyson zeigen. Auf der linken Seite ist das Youtube-Idol vor ein paar Jahren zu sehen, mit schwarzem Pullover, einer Kette um den Hals, Bart und Kurzhaarfrisur. Auf der rechten Seite: Tyson heute. Mit langen Haaren, lackierten Fingernägeln und geschminkt, herausgeschnitten aus einem aktuellen Youtube-Video. Der Post wurde inzwischen 59 Millionen Mal angesehen und Zigtausende Male kommentiert.

Chris Tyson hatte sich gar nicht selbst geoutet. Der Youtube-Star hatte nicht über die eigene Geschlechtsidentität gesprochen, nicht über Pronomen, nicht über die eigene Transition, keine Regenbogenfarbe ziert Tysons Twitter-Profil. Es waren andere, die das Thema aufbrachten – mit Folgen.

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Hasswelle überrollt Youtube-Star

Seit Anfang April wird Chris Tyson von einer Welle des Hasses überrollt. Das Youtube-Idol sei Opfer der „Wokeness“, heißt es in einem noch vergleichsweise harmlosen Kommentar auf Twitter. Andere stricken Verschwörungserzählungen: „Die Matrix hat ihn“, schreibt ein anderer. Ein weiterer beleidigt Tyson als „Ding“, ein anderer als „ekelhaft“. Und: „Was für ein Niedergang.“ Viele der Tweets sind noch extremer und daher an dieser Stelle nicht zitierfähig.

Viele der Posts, die aktuell auf der Plattform zu lesen sind, sind mit einem blauen Haken versehen und äußert prominent platziert – ein Zeichen dafür, dass die Verfasser zahlende Abonnenten von Elon Musks Dienst „Twitter Blue“ sind. „Ich vermisse die Welt, als sie noch normal war“, meint einer von ihnen. Tyson sei schlichtweg „gebrainwashed“, glaubt ein amerikanischer Meinungsblogger zu wissen.

Immer wieder wird dem Youtube-Star vorgeworfen, die Entscheidung schade vor allem dem eigenen Sohn. Dieser würde nun durch die vermeintliche „Trans-Propaganda“ verdorben. Einer schreibt: „Du hast deine Familie zerstört und deinem Sohn die Vaterfigur genommen, nur damit du dir die Finger lackieren kannst.“ Das sei egoistisch.

Bei Kommentaren auf Twitter bleibt es nicht. Auf Youtube und Tiktok wird Tysons Transition zu einem regelrechten Drama hochgejazzt. Meinungsblogger kommentieren Tysons Entscheidung, Tiktoker philosophieren über die ihrer Ansicht nach „seltsame“ Entscheidung. Hunderte Videos mit teils Millionen Klicks auf Youtube befassen sich einzig und allein mit einem Thema, mit einer Person: Chris Tyson.

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Die Marke MrBeast

Um diese Aufregung, das Drama und den Hass zu verstehen, ist ein wenig Kontext notwendig. Chris Tyson ist Ensemblemitglied von MrBeast, dem mit Abstand größten und erfolgreichsten Youtube-Kanal und -Franchise der Welt. An dessen Spitze steht der 25-jährige Jimmy Donaldson, der mit aufwendig produzierten Gameshows Klicks im hohen Millionenbereich macht, aber auch Merchandise verkauft, Burgerketten hochzieht und riesige Charityprojekte auf die Beine stellt.

Mindestens genauso bekannt wie Donaldson ist inzwischen das Ensemble des Kanals, bestehend aus mehreren Jugendfreunden Donaldsons. Dazu zählen etwa Karl Jacobs und Chandler Hallow – und eben auch Chris Tyson. Tyson galt viele Jahre als einer dieser „Bros“, wie sie oft in amerikanischen Vloggingformaten zu sehen sind: laut, schräg, waghalsig, für jeden Quatsch zu haben, immer einen grenzwertigen Witz auf den Lippen.

Im vergangenen Jahr dann allerdings trennte sich Tyson von Katie Tyson, mit der das Youtube-Idol einige Jahre verheiratet war und auch einen Sohn hat. Auch outete sich Tyson als bisexuell. Schon darauf reagierten einige MrBeast-Fans verärgert. Später postete Tyson Bilder, auf denen lackierte Fingernägel zu sehen sind. Kurz darauf veränderte Tyson das eigene Aussehen deutlich.

Hormontherapie „hat mein Leben gerettet“

Dieses sei das Resultat einer Hormontherapie, wie nun Tyson als Reaktion auf die Hasskommentare auf Twitter erklärte. Eine Behandlung, die typischerweise von transgender oder nicht-binären Menschen eingesetzt wird, um ihren Körper an ihre Geschlechtsidentität anzugleichen. Die Behandlung habe, so formuliert es Tyson selbst, schon vielen Menschen das Leben gerettet – so auch das eigene.

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Tyson selbst ordnet sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zu. Der Youtube-Star sei vielmehr dabei, seine eigene Identität zu finden, wie er in einem Tweet schreibt. Darum akzeptiere Tyson auch alle möglichen Personalpronomen, wenn über ihn gesprochen oder geschrieben wird – also „er“, „sie“ oder das englische „they“.

Und an dieser Stelle könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein. Tyson, 26 Jahre alt, eine erwachsene Person, hat eine Entscheidung über den eigenen Körper getroffen, die eigentlich niemanden etwas angeht.

Die Realität jedoch sieht anders aus.

MrBeast: Ein Youtuber für Machertypen

MrBeast ist nämlich nicht einfach nur ein Youtube-Kanal. Jimmy Donaldson gilt als der cleverste Geschäftsmann der Szene und als der unangefochtene Youtube-König. Nicht nur Jugendliche schauen MrBeast-Videos – sondern auch diejenigen, die in Donaldson eine Art Vorbild, einen Guru sehen, zu dem sie heraufschauen.

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MrBeast verkörpert den amerikanischen Traum des Tellerwäschers, der durch ununterbrochene Arbeit und kluge Businessentscheidungen zum Millionär wurde. Er gilt als Idol für junge Start-up-Typen, die genauso erfolgreich werden wollen wie er. Seit Donaldson zum erfolgreichsten Youtuber der Welt aufgestiegen ist, wird jeder seiner Schritte bis ins kleinste Detail analysiert, in Hunderten Videos besprochen und nachgeahmt.

Diese ganz spezielle Youtube-Blase kann ein hochgiftiges Umfeld sein. Sie besteht aus Machertypen – oder solchen, die es gern wären. Es geht viel um Hustle Culture und Männlichkeit, teure Autos, Geld und Konsum im Überfluss, Fame und Erfolg um jeden Preis. Und nicht zuletzt diese Zielgruppe scheint die Transition Chris Tysons nun völlig zu überfordern.

Wenn das Coming-out zum Youtube-Drama wird

Hunderte Youtube-Kanäle sezieren das eher unfreiwillige Coming-out bis ins kleinste Detail. In einem aktuellen MrBeast-Livestream versuchen sie Zeichen dafür zu finden, dass Tyson nun vom restlichen Team gehasst und ausgestoßen werde. Meinungsbeiträge selbst kleinerer Youtuber zum Thema erreichen Millionen von Aufrufen. Sogar ein angeblicher Coach für Körpersprache springt auf das Thema auf. Er glaubt zu erkennen, dass sich Jimmy Donaldson alias MrBeast mit der Situation unwohl fühle.

Eine Gossip-Youtuberin namens Anna veröffentlicht angebliche Chatverläufe des MrBeast-Teams, das darin angeblich darüber berät, wie man mit der Situation umgehen will – ganz offensichtlich sind sie frei erfunden und gefälscht. Und wiederum andere streuen Gerüchte, das MrBeast-Team habe sich inzwischen von Tyson getrennt, weil das Coming-out der eigenen Karriere schade.

Das wohl am meisten beachtete Video dieser Art stammt von einem australischen Meinungsblogger namens SunnyV2. Es trägt den Titel „Warum Chris Tyson bald ein Albtraum für MrBeast werden wird“ und hat 7,5 Millionen Aufrufe. Wenn wegen Tyson künftig weniger Menschen MrBeast-Videos schauen würden, könne Tyson nicht einfach aus dem Team entfernt werden, philosophiert der Youtuber – das würde schließlich einen Entrüstungssturm auslösen. Die beste Lösung für alle sei, wenn Tyson einfach selbst gehe. „Entweder ist es Arroganz oder Ignoranz, aber Chris scheint nicht zu wissen, wie diese ganze Sache Jimmy treffen könnte.“ Dieser habe seinen riesigen Erfolg nur deshalb erreicht, weil er in der Vergangenheit auf ein solches „Drama“ verzichtet habe.

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Transfeindlichkeit grassiert in den USA

Die Eskalation innerhalb der amerikanischen Youtube-Szene kommt nicht von ungefähr. Transfeindlichkeit in den USA hat eine neue Dimension erreicht, seit Konservative und Rightwing-Aktivistinnen und -Aktivisten darin ein neues Lieblingsthema erkannt haben. Sie vermuten eine Indoktrination ihrer Kinder, sprechen von „Trans-Propaganda“, von einem Modetrend und von angeblicher Gefahr, die von trans Menschen ausgehe.

Ex-Präsident Donald Trump wetterte Anfang des Jahres, er werde im Falle einer Wiederwahl eine umfassende Rücknahme der Transgenderrechte in den USA auf Bundesebene umsetzen. „Der linke Geschlechtswahnsinn, der unseren Kindern aufgezwungen wird, ist ein Akt des Kindesmissbrauchs. Ganz einfach.“

Republikaner versuchen derweil, die Rechte von trans Menschen in ihren Bundesstaaten zu beschränken. In Tennessee etwa sind geschlechtsaffirmierende Behandlungen von Jugendlichen unter 18 Jahren seit März verboten. Ebenso dürfen sich Drag-Darstellerinnen und -Darsteller nicht mehr in der Öffentlichkeit aufhalten oder an einem Ort auftreten, der Jugendliche nicht strikt ausschließt.

Andere Bundesstaaten haben andere Pläne. In Florida gibt es Gesetzesentwürfe, die Eltern ins Visier nehmen. Sollten diese ihre transgeschlechtlichen Kinder unterstützen, könnte das künftig als Kindesmisshandlung gelten und schlimmstenfalls zu einer Entnahme des Kindes aus der Familie führen. Des Weiteren gibt es Vorschläge, die Änderung von staatlichen Geschlechtseinträgen zu verbieten und geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Minderjährigen zu untersagen.

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MrBeast-Team unterstützt Tyson

Der Fall Chris Tyson zeigt nun: Selbst die sonst so aufgeschlossene Youtube-Szene kann sich dieser Stimmung nicht entziehen.

Vergleichsweise souverän reagierte angesichts der Hasswelle das MrBeast-Team selbst. Mehrere Ensemblemitglieder sprachen Chris Tyson Unterstützung aus – allen voran Jimmy Donaldson selbst. Das Drama sei „absurd“, schrieb der Youtube-Star auf Twitter. „Chris ist nicht mein ‚Albtraum‘, er ist mein verdammter Freund und alles ist gut. Diese ganze Transphobie macht mich langsam wütend.“

Auch Tyson hat in einem Livestream erklärt, dass weitere Videos mit MrBeast geplant seien – daran werde auch die eigene Transition nichts ändern. Das Coming-out sieht Tyson – trotz allem – als Schritt in die richtige Richtung. „Ich war super nervös, öffentlich darüber zu sprechen, weil ich immer so privat war“, so Tyson in einem Tweet. Insbesondere der Post über die Hormontherapie habe aber Öffentlichkeit dafür geschaffen – und das sei es wert.

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