Schuhwunder made in Germany: Birkenstocks unglaublicher Imagewandel
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Reif für die Börse: Die Schuhe des Herstellers Birkenstock haben ungeahnten Zuspruch bekommen.
© Quelle: picture alliance / dpa
Diese Sandalen sind schon mit vielen Adjektiven in Verbindung gebracht worden – auf der einen Seite mit hässlich, unsexy, klobig, auf der anderen mit gesund, bequem oder auch unverwüstlich. Seit Kurzem werden Birkenstock-Schuhe noch mit einem ganz anderen Begriff gleichgesetzt: Sie stehen für die Suche nach der Wahrheit. Gesorgt dafür hat „Barbie“.
In Greta Gerwigs gefeiertem Kinofilm über die Spielzeugpuppe steht Barbie vor der alles entscheidenden Wahl, symbolisiert durch zwei Paar Schuhe: Soll Barbie die pinkfarbenen High Heels nehmen und ewig ohne kritisches Bewusstsein in ihrer rosaroten Kinderzimmerwelt herumstöckeln? Oder soll sie sich für die handfesten Birkenstock-Schlappen entscheiden und endlich die Wahrheit über das Universum und ihre eigene Existenz erfahren?
Gut, Barbie greift zunächst zu den Hochhackigen der Modemarke Manolo Blahnik. Jede Puppe macht mal einen Fehler. Barbie steht schließlich auch noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Schnell wird sie auf den rechten Weg der Erkenntnis geführt, nimmt die richtigen Schuhe und bricht alsbald in die Welt der Menschen auf.
Was Barbie trägt, wollen alle tragen
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, welchen Imagewandel die deutsche Schuhmarke vor allem in den USA hingelegt hat: In dieser Szene des erfolgreichsten Blockbusters mindestens im laufenden Kinojahr wird er erbracht.
In Shoppingportalen und auf Google gingen die Suchanfragen für Barbies Birkenstock-Modell „Arizona“ nach dem Kinostart durch die Decke. In manchen Orthopädiegeschäften soll zwischenzeitlich der Nachschub ausgegangen sein. Was Barbie in Gestalt von Margot Robbie an den Füßen trägt, wollen alle tragen. Und seien es Gesundheitssandalen.
Gefreut haben dürften sich über diese kostenlose PR‑Aktion – von einem Vertrag ist bislang nichts bekannt – vor allem ein Unternehmen mit Hauptsitz in Linz am Rhein im nördlichen Rheinland-Pfalz: Birkenstock hat angekündigt, an die Börse zu gehen. Das Kürzel „Birk“ steht dafür bereits fest. In der zweiten Oktoberwoche soll es so weit sein. Besser als mit diesem leinwandgroßen Werbespot konnte es für Birkenstock kurz vor dem Börsenstart gar nicht laufen.
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In der Produktion von Alsa in Görlitz (Sachsen), einem Tochterunternehmen des Schuhherstellers Birkenstock, werden Schuhe hergestellt.
© Quelle: picture alliance / ZB
Die Schuhproduzenten peilen nicht irgendeine Börse an, sondern die New Yorker Wall Street. Die größten Fans der Gesundheitslatschen sitzen in Hollywood und im Silicon Valley. Im Vorjahr wurde das letzte, schon ziemlich ausgetretene Paar des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs mal eben für 220.000 Dollar versteigert.
Was für ein Aufstieg für eine sogenannte Gymnastiksandale, der orthopädische Wirkung zugeschrieben wird! 1774 wurde ein Schuhmachermeister namens Johann Adam Birkenstock in dem kleinen hessischen Ort Langen-Bergheim erstmals urkundlich erwähnt. Das orthopädische Fußbett aus Kork und Latex steuerte Nachfahr Konrad Birkenstock 1913 bei.
Lederriemen, Fußbett, Korksohle
Lange führte das Schuhwerk ein unauffälliges Dasein. Die ersten Birkenstocksandalen kamen in der Bundesrepublik 1963 auf den Markt. Seitdem hat sich am Erscheinungsbild kaum etwas verändert: Lederriemen, Fußbett, Korksohle – und ein garantiert freies Spiel der Zehen. Von nun an sollten es Käsefüße schwerer haben.
Wer irgendwann in der späteren zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts im Krankenhaus einen Blick auf die Fußbekleidung von Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern warf, entdeckte dort Birkenstock. Auch Ökos mit geringen modischen Ambitionen entschieden sich für die praktische, quadratische, solide Ware und riskierten damit frohgemut die Einordnung als Spießer. Damals machten womöglich auch schon die Grünen ihre ersten Schritte in Richtung Bürgerlichkeit.
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Bunte Sandalen von Birkenstock.
© Quelle: picture alliance / Wolfram Steinberg
Klammheimlich weitete sich der Kreis der Birkenstock-Fans immer mehr aus. Zumindest in den eigenen vier Wänden fühlten sich Frau und auch Mann in den bequemen Tretern wohl, gern auch mit Socken in den Sandalen.
War es da nicht nur eine Frage der Zeit, bis das Schuhwerk irgendwann die zarten Füße von Models zieren würden? Mode will ja nicht nur schick sein, sondern vor allem auffallen. Hässlichkeit hilft da sehr. Bald kamen Modemacher auf die Idee, dass sich ein hübsches Kleid wunderbar mit einem hässlichen Schuh kombinieren lässt. Heute ist Birkenstock bei jeder Fashion‑Week dabei, egal ob in New York oder Paris.
In Kalifornien heißen sie „Birks“
Ihren Weg über den Atlantik hatten Birkenstock-Produkte früh angetreten. Die deutsch-amerikanische Designerin Margot Fraser brachte sie 1966 nach Kalifornien. Alsbald schlüpften Hippies in das Qualitätsprodukt aus Deutschland, an der Pazifikküste liebevoll „Birks“ abgekürzt. Zeig, was du an den Füßen trägst, und schon gehörst du zum Anti-Establishment. An der Weltrevolution ließ sich auch auf Korksohlen arbeiten
Bereits in den Neunzigern gab es erste Kooperationen mit Luxusmarken wie Dior oder Valentino. Kate Moss schlüpfte für eine komplette Fotostrecke in einem Lifestylemagazin in die Marke aus deutschen Landen. Heidi Klum ging später eine Kooperation mit Birkenstock ein. Und dann trug die von allen geliebte Frances McDormand 2019 bei der Oscarverleihung Birkenstocks, aufgehübscht mit einem giftgelben Valentino-Touch.
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Frances McDormand trug bei den Oscars 2019 Birkenstock-Schuhe – da staunte auch Kollege Sam Rockwell.
© Quelle: picture alliance/AP Images
Der Auftritt der Schauspielerin ließ sich getrost als Statement begreifen: Frauen sollten sich auf roten Teppichen die Füße nicht mehr durch ungesunde Stiletto-Absätze ruinieren lassen.
Allerdings: Markenbotschafterin war McDormand auch. Für sie bedeutete der Gang auf die Bühne nur ein paar Schritte, für den Konzern einen Riesenschritt. Zuvor hatten sich bei weniger offiziellen Anlässen schon Julia Roberts oder Kristen Stewart im Gesundheitsfußbett gezeigt.
Fast alle Birkenstocks werden in Deutschland produziert
Heute produziert Birkenstock nach eigenen Angaben immer noch zu 95 Prozent in Deutschland. Der Konzern beschäftigt mehr als 6000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Zuletzt wurde für 120 Millionen Euro ein neues Werk in Mecklenburg-Vorpommern eröffnet.
Mehr als die Hälfte der Kunden und Kundinnen aber leben auf dem amerikanischen Kontinent, nur ein gutes Drittel in Europa. Rund zwei Drittel sind weiblich. Der größte Markt ist in den USA, die New Yorker Weltleitbörse deshalb eine naheliegende Entscheidung.
Der Marktwert von Birkenstock wird auf mindestens 8 Milliarden Dollar beziffert. Manche reden auch schon von 11 Milliarden. Tendenz jedenfalls steigend. Der Jahresumsatz vervierfachte sich innerhalb von zehn Jahren auf mehr als 1,2 Milliarden Euro. Diese Angaben dürften weiter in die Höhe schnellen, auch aus weniger schönen Gründen: Der Konzern verdient auch deshalb mehr, weil er die Preise anzieht.
Der gelungene Imagewandel dürfte nicht zuletzt mit dem Rückzug der Birkenstock-Brüder aus der Führungsetage zu tun haben. Deren Geschäftsgebaren war genauso konservativ wie das von ihnen produzierte Schuhwerk. Lange sträubten sie sich gegen Betriebsräte. Frauen verdienten weniger als Männer.
Die Mehrheit des Unternehmens liegt inzwischen in Händen des Finanzinvestors L Catterton – und hinter dem steht Bernard Arnault, der reichste Mann Frankreichs und zwischenzeitlich auch der Welt. Arnault wiederum repräsentiert mit seinem Konzern LVMH Luxusmarken wie Dior, Bulgari, Tiffany und Louis Vuitton. Legeres und Luxus sind bei Birkenstock eine unzertrennliche Verbindung eingegangen.
Der entscheidende Mann im Konzern heute heißt Oliver Reichert, früher tätig beim Deutschen Sportfernsehen (DSF). Reichert nimmt für sich in Anspruch, Birkenstock in eine „globale Supermarke“ verwandelt zu haben. Gegenüber dem „Tages-Anzeiger“ in der Schweiz sagte Reichert: Auf den Laufstegen und im Publikum würden Models High Heels vorzeigen, aber sie reisten in Birkenstocks an.
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Oliver Reichert, CEO der Birkenstock Group.
© Quelle: picture alliance/dpa
Fashionikone mit zwei Lederriemen
Der Mann ist so überzeugt von seinem Produkt, dass er Amazon kündigte: Die Onlineplattform gehe nicht entschieden genug gegen Produktfälschungen vor. Und mit denen hat Birkenstock mächtig zu kämpfen.
So hat sich das hässliche Entlein made in Germany mit erkennbarem Erfolg zumindest im Auge der Betrachter zum schönen Schwan gemausert. Mögen die Exportzahlen von VW einknicken, deutsche Fußballer und Fußballerinnen auf internationalem Niveau versagen und zweiprozentige Kriegsetats zum Ärger der Nato-Partner niemals erzielt werden: An den Füßen tragen die Vertreter der globalen Glitzer- und Glamourwelt ein deutsches Schuhwunder, eine hässliche Fashionikone mit zwei Lederriemen dran.
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Sie trägt die richtigen Schuhe, er noch nicht: Barbie und Ken unterwegs zu den Menschen.
© Quelle: Warner Bros. Pictures via AP
Selbstverständlich auch im „Barbie“-Film: Die Menschwerdung Barbies wird am Ende mit einem Besuch bei der Gynäkologin abgeschlossen. Und mit welcher Schuhbekleidung schlappt die strahlende Barbie in die Praxis? Genau.