Ein Monat nach Corona-Lockerungen: Wie steht es um die Kulturbranche?
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Ein nicht ausverkauftes Konzert in der Hamburger Barclays-Arena.
© Quelle: picture alliance/dpa
Über zwei Jahre Leidenszeit haben die Veranstalter von Volksfesten, Konzerten und anderen Großveranstaltungen mittlerweile hinter sich. Mit dem 20. März 2022, dem Tag, an dem weite Teile der Corona-Maßnahmen aufgehoben wurden, waren in der Branche entsprechend große Hoffnungen auf eine deutliche Verbesserung der Situation verbunden. Doch wie ist die Lage einen Monat nach dem Stichtag? Das Zwischenfazit der Veranstalter fällt durchaus gemischt aus.
„Wir haben in ganz Deutschland Ostervolksfeste gehabt und dabei ganz tolle Signale, beispielsweise aus München, Stuttgart, Bremen und Hamburg bekommen“, freut sich Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Überall, wo wir öffnen durften, sind die Leute gekommen. Es hat sich sehr deutlich gezeigt, dass die Menschen wieder wollen. Dafür sind wir sehr dankbar“, unterstreicht Ritter.
Aber natürlich treibe die Schausteller, neben aktuellen Problemen wie gekündigten Stromverträgen, hohe Benzin- und Speiseölpreise sowie einem Mangel an Personal, auch der ungewisse Blick in die Zukunft um. „Die Hauptfeste sind im Herbst und die Weihnachtsmärkte. Wenn es dann mit Corona wieder richtig losgeht, wird es eng“, weiß Ritter. Zumal die Finanzmittel des Bundes endlich seien. „Aber wir wollen unser Geld auch mit der eigenen Hände Arbeit verdienen“, betont der Präsident.
An Spontaneität gewöhnt
Ein Vorteil sei, dass man keine monatelangen Vorbereitungen brauche. „Wir brauchen eigentlich nur Mietverträge. Mit Maßnahmen wie Plexiglasscheiben und Einbahnsystemen kennen wir uns zur Not auch aus“, können die Schausteller auf reichlich Erfahrung im Umgang mit dem Coronavirus der vergangenen beiden Jahre zurückgreifen. „Zumal wir ja draußen an der frischen Luft sind. Das ist nicht mit Hallenveranstaltungen zu vergleichen.“
Denn dort ist die Situation häufig weiterhin schwierig, bestätigt auch Christian Dietzel vom Bündnis „Alarmstufe Rot“, das sich für die Interessen der Veranstalter einsetzt. Insbesondere drei große Probleme gebe es. „Leider hat die Politik es versäumt, frühzeitig Regeln aufzustellen, wie Veranstaltungen möglich sind“, moniert Dietzel. Man habe sich daher nicht vorbereiten können und für Großveranstaltungen brauche es einen Vorlauf von sechs Monaten. „Bis dahin sind wir noch auf Unterstützungshilfen angewiesen, die im Juni aber schon auslaufen sollen.“
„Scherbenhaufen des Vertrauens“
Zudem habe man nach zwei Jahren Kurzarbeit 30 bis 50 Prozent der Mitarbeiter verloren. Selbst wenn die Auftragsbücher voll wären, müsste man manches absagen, weil das Personal abgewandert ist. „Dazu haben wir einen Gesundheitsminister, der Killervarianten aufzeigt, wodurch die Leute nicht das Vertrauen haben, zu Veranstaltungen zu gehen, weil dieses Schreckgespenst immer vorhanden ist“, kritisiert Dietzel. „Was in den vergangenen zwei Jahren stattgefunden hat, war eine komplette Vertrauensvernichtung. Es wurde suggeriert, dass auf Veranstaltungen der Tod lauert.“ Man stehe vor einem „Scherbenhaufen des Vertrauens“.
Ein unterschiedliches Verhalten der Gäste hat derweil Axel Ballreich, Vorsitzender des Deutschen Musikspielstättenverbandes Livekomm und selbst Konzertveranstalter, im Gespräch mit dem RND ausgemacht. „Bei Partys, egal in welche Richtung, ist der Zulauf recht groß. Das Partyvolk ist angstfreier und strömt ähnlich wie in Vor-Corona-Zeiten auf die Partys“, berichtet Ballreich. Das sehe bei Konzerten anders aus. Viele Leute, häufig 15 bis 40 Prozent der Besucher und Besucherinnen, kämen trotz gültiger Karten nicht.
Überangebot im Sommer erwartet
Generell habe man festgestellt, dass Open-Air-Veranstaltungen deutlich besser angenommen werden als Indoorveranstaltungen. „Es hängt aber auch immer von den Altersklassen ab“, weiß Ballreich. Generell erwartet der Vorsitzende durch die zahlreichen Verlegungen und Neuansetzungen im Sommer ein wahres Überangebot an Veranstaltungen. Was besonders für neue Events problematisch werden könnte. „Die Leute haben noch viele Tickets an der Wand hängen und wollen diese erstmal abarbeiten, bevor sie neue kaufen. Das kann man ja auch verstehen“, so Ballreich.
„Die Leute haben noch viele Tickets an der Wand hängen und wollen diese erstmal abarbeiten, bevor sie neue kaufen.“
Axel Ballreich
Vorsitzender des Deutschen Musikspielstättenverbandes Livekomm und selbst Konzertveranstalter
Sorgen machen dem Vorsitzenden allerdings die Preissteigerungen. „Das sind im Catering und bei der Security oft 30 bis 50 Prozent. Mit den Preisen, die 2020 angesetzt waren, ist das nicht mehr zu refinanzieren“, zeigt Ballreich auf. Daher könnte es auch für die Besucher deutlich teurer werden. „Das können bei uns 20 bis 30 Prozent werden. Wir können die Preissteigerungen aber nicht komplett so weitergeben, wie sie uns erreichen.“ Generell erwarte die Veranstaltungsbranche in den nächsten ein bis drei Jahren eine weiter angespannte Situation.
Der Blick in die Zukunft bereitet auch Jens Michow, Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, Kopfschmerzen. „Wir brauchen für den Fall, dass es wieder Einschränkungen gibt, jetzt – und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist – einen wirtschaftlichen Rettungsschirm, den wir nutzen können, sofern es wieder Kapazitätsbeschränkungen oder gar einen erneuten Lockdown für unsere Branche gibt“, fordert Michow. Generell liefe der Vorverkauf für Konzerte im Herbst dieses und Frühjahr nächsten Jahres sehr schleppend. „Einerseits wollen die Menschen abwarten, ob sie sich auf Konzertankündigungen überhaupt verlassen können. Einige Menschen haben nach wie vor Angst, sich zu infizieren“, weiß Michow. Teilweise habe sich während der Pandemie aber auch das Freizeitverhalten geändert.
Zudem könnten die Menschen, aufgrund der allseits steigenden Kosten, nicht mehr so viel Geld für Veranstaltungsbesuche ausgeben. „Die Branche rechnet daher damit, dass sie unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie wohl noch bis ins Jahr 2024 leiden wird.“ Während andere Wirtschaftszweige schon seit Monaten die Krise wirtschaftlich überwunden hätten, werde es bei der Veranstaltungsbranche noch lange dauern, bis zumindest das Niveau des Jahres 2019 wieder erreicht werde. „Unsere Abhängigkeit von staatlichen Hilfen wird daher nicht so schnell enden. Ich mache der Politik daher täglich klar, dass Veranstalter nicht von heute auf morgen wieder auf 100 Prozent hochfahren können“, betont Michow. Einige Veranstalter, die in den vergangenen Monaten alles abgesagt haben, würden daher frühestens Mitte nächsten Jahres wieder Einnahmen haben.
Kinos: Zahlen unter Vor-Corona-Niveau
Mit den Problematiken von Indoorveranstaltungen haben auch Kinobetreiber zu kämpfen. Man bewege sich noch bei weitem nicht auf Vor-Corona-Niveau, erklärt der Hauptverband Deutscher Filmtheater auf RND-Anfrage. „Dies hängt wiederum auch damit zusammen, dass wir uns auch mit dem Filmangebot noch nicht wieder auf Normalniveau bewegen“, heißt es. Als zu Beginn des vergangenen Herbstes James Bond anlief und andere tolle Filme liefen, hätten die Kinos jedoch sehr gute Zahlen geschrieben.
Man wolle bis zum Sommer nun eine Kampagne starten, mit der wieder richtig Lust auf Kino gemacht werden soll. „Die weiter sinkenden Corona-Zahlen werden sicherlich auch das Ihrige dazu beitragen, dass sich die Menschen wieder sicherer fühlen und verstärkt zurückkommen werden“, ist der Verband zuversichtlich.