Eine Barbie mit Trisomie 21: Ist die Puppe jetzt ein „gutes“ Spielzeug?
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Das britische Model Ellie Goldstein präsentiert die erste Barbie mit Downsyndrom.
© Quelle: IMAGO/Cover-Images
Barbie kann alles sein, du kannst alles sein, verspricht der US-Spielzeughersteller Mattel und um seinen Punkt zu unterstreichen, ist Barbie inzwischen alles. Sie ist als Präsidentin oder Astronautin eine Überfliegerin. Sie gibt sich liebevoll dem Frühjahrsputz hin, sie ist Babysitter, sie ist Fashionista, sie ist trans, sie ist mal größer und mal kleiner, hat viele verschiedene Hauttöne, hat einen Rollstuhl, hat Prothesen, sie ist mal unrealistisch schmal und mal rundlicher. Vor allem ist sie aber immer noch in allem: die schönste und perfekte Version ihrer selbst. Und seit dem 26. April gibt es auch eine Barbie mit Trisomie 21.
Früher, und mit früher meine ich die 1990er-Jahre, war es noch so: Meine Mutter hatte so gar keinen Bock darauf, dass ihre drei Töchter mit diesem überschlanken und vollbusigen Sexsymbol spielten. Denn was sollten wir davon lernen? Die überholten altbackenen Träume der Stereotypen aus den 1950ern-Jahren? Die realitätsferne ursprüngliche Barbie war so dünn, dass sie gar nicht überlebensfähig wäre: Ihre Organe hätten in der Wespentaille zu wenig Platz. Trotz des Widerwillens meiner Mutter aber landeten Barbies bei uns in den Kinderzimmerregalen, wahrscheinlich durch gut meinende Großmütter in Sondereinsätzen eingeschmuggelt. Aber, oh, welch traurige Modelle diese Puppen waren. Durch Nichtbeachtung war ihr Haar verfilzt, ihre Accessoires verloren in den Lücken des Alltags, einzelne Hochhackschuhe waren unwiederbringlich in den Ritzen des Holzbodens versenkt. Einer haben wir die Haare raspelkurz geschnitten, um sie notfalls zu einem Ken umarbeiten zu können. Kaum mehr war etwas übrig von diesem Schein, der die Puppen in ihren Originalverpackungen umgibt. Ich wusste im Grundschulalter noch nicht, was Mode ist. Aber ich wusste, dass unsere drei Barbiepuppen älter und verbrauchter waren als die meiner Klassenkameradin Katharina. Dass sie keine hübschen Häuser, Cabrios oder Wohnmobile in Pink besaßen. Barbie lehrte mich rückwirkend die erste Lektion zum Kapitalismus: Wer dazugehören will, muss konsumieren.
Barbie kann auch zeitgemäß
Nun sieht Barbie aber nicht mehr wie das ursprüngliche realitätsferne sexistische Modell aus, was viele noch im Kopf haben. Der Spielzeughersteller Matell hat sich von dem patriarchal geprägten Image des überschlanken vollbusigen Sexsymbols getrennt, sich diversifiziert. Und das kam so: Anfang der 2000er waren die Umsatzzahlen von Matell im Keller. Man gab erst einmal der Digitalisierung die Schuld: Mit Puppen wolle keiner mehr spielen, die Kinder hingen doch an den Konsolen. Oder kam die Problem-Barbie einfach nicht mehr an? Die Krise zwang den Barbie-Hersteller, der die Puppen seit 1959 in die Regale bringt, zum Umdenken. Also wurde 2016 die Reihe der Fashionistas eingeführt: Barbie durfte nun kleiner sein, auch mal „curvy“, Kens Bauchmuskeln durften auch mal weniger definiert sein. Sie waren schwarz, lateinamerikanisch, asiatisch. 2018 kam zum Weltfrauentag eine Reihe von Puppen „inspirierender Frauen“ heraus. Und bei Instagram klärt Barbie über Rassismus auf und stellte sich an die Seite von Black Lives Matter. Und siehe da: Die Umsätze stiegen. Von 4,8 Milliarden US-Dollar 2000 auf 5,4 Milliarden US-Dollar 2022.
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Viele bunte Barbies – die Reihe Fashionista.
© Quelle: IMAGO/Cover-Images
Und nun ist es nicht mehr so wie in meiner Kindheit. Nun müssen Eltern nicht mehr die Angst haben, dass ihre Mädchen mit Barbie in eine altbackene sexistische Welt abtauchen und mit den Träumen einer perfekten Hausfrau im Teenager-Alter wieder auftauchen. Oder dass sich die unrealistischen Körpermaße in die beeinflussbaren Kinderhirne brennen. Schließlich haben Studien darauf hingewiesen, dass Kinder unzufriedener mit ihrem eigenen Körper selbst seien, wenn sie mit Barbies spielten. Okay, gut. Barbie ist nicht mehr der Feind einer aufgeklärten Erziehung. Ist Barbie jetzt also ein „gutes“ Spielzeug?
Das älteste Spielzeug der Welt
Puppen grundsätzlich sind ja nicht das Problem. Sie gelten als das älteste Spielzeug der Welt. Meine Schwestern und ich hatten, wie alle möglichen Kinder zu allen möglichen Zeiten, alle möglichen Puppen, haben ihnen Höhlen unterm Hochbett gebaut, haben sie durch die Gegend getragen, haben mit ihnen verloren gehen im Wald gespielt. Mit Puppen können Kinder Erlebtes nachspielen, sich ausprobieren, Gedanken aussprechen, Emotionen nachspüren. Sie können mit Puppen ihre Realität nachzeichnen.
Was stört mich also noch an Barbie? Und warum sehe ich es heute genauso wie meine Mutter, nämlich dass ich keine Lust darauf habe, dass meine Kinder mit Barbie spielen? Während ich dies schreibe, muss ich grinsen, weil ich das Gefühl habe, dass der Fakt, ob Kinder mit Barbies spielen oder nicht, mehr über die Eltern und ihre Wünsche aussagt als über die Kinder selbst. Die Barbie-Welt ist immer noch eine gleißend heile Welt. Wirkliche Hässlichkeit hat keinen Platz. Die Augen sind riesig, die Haut makellos, die Puppen stehts adrett gekleidet. Schon in den Anfangsphase der Marketingkampagne für Barbie beobachtete der Werbepsychologe Ernest Dichter, dass die Kinder die Barbie vor allem aus- und wieder anziehen. Um schwierigen Fragen auszuweichen, sollten übrigens damals im prüden Amerika deshalb keine Genitalien an den Puppen modelliert worden sein.
Und so wird über jeder Normalität des Lebens eine perfekte Entsprechung in der Barbie-Welt gestülpt, sie wird von Barbie einverleibt. Aber zurück zur überbordenden Schönheit. Sie ist trotz Diversität und intellektueller Attribute, die Mattel Barbie anheftet, noch immer dominant. So hatte beispielsweise die Frida-Kahlo-Puppe 2018 keine Monobraue. Ihre Erben klagten vor einem mexikanischen Gericht und haben so den Verkauf in Mexiko unterbunden. „Mit einem schmalen Gesicht, Mandelaugen und nur ein paar Haaren zwischen den Brauen sieht die Barbie nur entfernt wie die echte Frida Kahlo aus“, kritisierte Kahlos Großnichte Maria de Anda Romeo. Sie forderte eine Umgestaltung der Puppe. Frida Kahlo habe für Individualität gestanden, wie habe man sie in eine Barbie verwandeln können.
Alles wird zu Barbie gemacht
Marketingtechnisch hat Barbie eines geschafft: als divers zu gelten und bei all den neuen Gesichtern und Schönheitsdarstellungen das typische „Barbie-Gesicht“ beizubehalten: mit großen Mandelaugen, vollen Lippen, einem absurd schmalen Hals. Beim genauen Hinsehen erfüllt auch die Trisomie-21-Puppe exakt dieses Bild. Die Trisomie 21 wird mit passenden Modeaccessoires ausgestattet. Trotzdem sind die Reaktionen bei Instagram euphorisch. Eltern von Kindern mit Downsyndrom feiern diese Puppe, freuen sich euphorisch, dass ihre Kinder nun eine Barbie haben können, die aussieht wie sie selbst. Denn warum ist es wichtig, über Barbie zu reden? Wer über Barbie redet, kommentiert die heutige Welt. In einer Barbiepuppe manifestiert sich die Rezeption unserer Umwelt. Seit heute, seit Ende April 2023, ist eben auch Trisomie 21 Teil der gleißenden Barbie-Welt.
Und das ist schön, denn in unserer Welt würde ihr erst einmal eine Wand aus Bürokratie entgegenschlagen. Eltern von Kindern mit Trisomie 21 erzählen, wie schwierig es ist, eine passende Schule zu finden. Eine, die einschließt, eine die das Kind nicht zum Sonderling macht und ihm das eigene Tempe lässt. Sie erzählen von kraftraubenden Behördengängen und mangelnder Sensibilität des Umfelds. Sie erzählen davon, dass es noch eine lange Strecke ist, bis Menschen mit Behinderungen im Alltag keine Diskriminierung erfahren. Menschen mit Trisomie 21 haben es auf dem (ersten) Arbeitsmarkt schwerer. 11,8 Prozent der schwerbehinderten Menschen, zu denen auch die mit Trisomie 21 zählen, sind arbeitslos gemeldet – im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent. Bei Barbie aber heißt der Slogan: Du kannst alles sein.