Wollte laut Anklage „ein Zeichen setzen"

Prozessauftakt zu Idar-Oberstein — Anwalt: „Er wird die Tat gestehen, und er bereut sie sehr“

Bundesweit sorgte die Tötung eines Tankstellenmitarbeiters in Idar-Oberstein für Entsetzen. Nun hat am Montag der Prozess gegen den 50-jährigen Angeklagten begonnen.

Bundesweit sorgte die Tötung eines Tankstellenmitarbeiters in Idar-Oberstein für Entsetzen. Nun hat am Montag der Prozess gegen den 50-jährigen Angeklagten begonnen.

Ruhig, fast gelassen sitzt Mario N. zwischen seinen Verteidigern. Unscheinbar wirkt er mit seinem grauem Haar und dem ebenso grauem Bart, als er den Schwurgerichtssaal des Landgerichts im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach betritt. Die Maske, die er beim Betreten des Gerichtssaals vor Mund und Nase trug, wird er später unter sein Kinn ziehen. Er habe als Asthmatiker gesundheitliche Probleme deswegen, heißt es im Verlauf des Vormittags.

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Tankstellenmord in Idar-Oberstein: Prozess beginnt
BAD KREUZNACH, GERMANY - MARCH 21:  A 50-year-old man accused of shooting a petrol station attendant to death over a disagreement about wearing a protective face mask arrives for the first day of his trial for murder at the regional court on March 21, 2022 in Bad Kreuznach, Germany. According to prosecutors the man entered the petrol station in Idar-Oberstein on September 18 of last year, where upon the attendant demanded he wear a protective face mask in accordance with Covid regulations. The man allegedly went home, retrieved a gun, returned to the petrol station and shot the attendant in the face. The shooting sparked nationwide shock and outrage over the brutality of the crime. Germany has a strong anti-mask and coronavirus lockdown movement. (Photo by Andreas Rentz/Getty Images)

Der Angeklagte soll den Mitarbeiter einer Tankstelle erschossen haben, nachdem dieser den Kunden mehrfach auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte.

Weil er wohl schon früher mit dem Stück Stoff nicht zurechtkam, sitzt N. an diesem Montagmorgen auf der Anklagebank. Deswegen musste offenbar der Mitarbeiter einer Tankstelle im nahen Idar-Oberstein sterben. N. ist angeklagt, ihm in den Kopf geschossen zu haben, als dieser ihn auf die Tragepflicht hinwies. Die Staatsanwaltschaft nennt es Mord aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen.

Mutmaßlicher Täter soll Maske in Hosentasche getragen haben

Die Tat vom 18. September vergangenen Jahres sorgte nicht nur wegen ihrer Kaltblütigkeit für Entsetzen. Auch das vermutete Motiv des inzwischen 50 Jahre alten Angeklagten machte fassungslos: Weil er sich von den Corona-Einschränkungen belastet gefühlt und der junge Angestellte ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen habe, wollte N. laut Anklage „ein Zeichen setzen und beschloss, den Tankstellenmitarbeiter zu töten“. In dieses Vorhaben muss sich N. laut Staatsanwaltschaft richtiggehend hineingesteigert haben.

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Zunächst hatte er knapp zwei Stunden, bevor er den 20 Jahre alten Alexander W. gegen 21.19 Uhr niederstreckte, die an der Hauptstraße von Idar-Oberstein gelegene Tankstelle zum ersten Mal betreten, um Bier zu kaufen. Die vorgeschriebene Maske soll N. dabei in der Hosentasche getragen haben. Als das spätere Opfer sich daraufhin weigerte, N. das Bier zu verkaufen, verließ dieser laut Anklage zunächst verärgert die Tankstelle. Im Laufe des Abends sei jedoch zu dem Schluss gekommen, dass er den Vorfall „nicht auf sich beruhen lassen könne, sondern zeigen müsse, dass es Grenzen gebe“. Den Tankstellenmitarbeiter habe er „als mitverantwortlich für die Gesamtsituation angesehen, weil dieser die Corona-Regeln habe durchsetzen wollen.“ Mit einem Revolver, den er illegal besaß, sei er zur Tankstelle zurückgefahren, habe – mit Maske – einen Sechserträger Bier genommen und sei damit zum Verkaufstresen gegangen. Dort habe er die Maske heruntergezogen, um eine Reaktion des Tankstellenmitarbeiters zu provozieren, so die Anklage. Als der junge Mann ihn daraufhin aufforderte, den Mund-Nase-Schutz zu tragen, soll N. seinen Revolver aus der Hosentasche gezogen und ihm „aus kurzer Distanz in Tötungsabsicht in das Gesicht geschossen haben“. W. war sofort tot.

Die Mutter des Opfers kämpft bei diesen Worten mit den Tränen. Nur wenige Schritte trennen sie im Saal von dem Mann, der ihrem Kind das Leben genommen haben soll. Doch N. blickt nicht zu ihr herüber. Er sehe die Vorsitzende nicht richtig, meldet sich N. dagegen mit fester, klarer Stimme: „Es blendet.“ Auf den Trennscheiben, die wegen der Corona-Richtlinien zwischen den Sitzplätzen angebracht sind, spiegele sich das zu den Fenstern hereinfallenden Tageslicht. Viel mehr, als dass die Vorhänge daraufhin zugezogen werden, geschieht jedoch nicht mehr. Kurz nach Verlesung der Anklage wird bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz in einem anderen Verfahren gegen sogenannte „Querdenker“ und Corona-Kritiker ermittelt. Dabei habe sie unter anderem Chats ausgewertet, die N. verfasst haben soll. Diese könnten Rückschlüsse darauf geben, in welchen Strukturen sich N. im Netz bewegt hat und ob er vielleicht „zu der Tat bewegt worden ist“, wie es heißt.

„Er wird die Tat gestehen, und er bereut sie sehr“

Rund 1300 Seiten umfasst die Ermittlungsakte dazu, 26 davon gehören zu einem psychiatrischen Gutachten, das die Generalstaatsanwaltschaft über N. in Auftrag gegeben hat. Dieser nach Aktenlage verfasste Bericht ist den Verteidigern des Angeklagten, Alexander Klein und Axel Küster, erst am Morgen des ersten Verhandlungstags zugegangen. Ohne den Inhalt des Gutachtens zu kennen, möchten die Verteidiger aber nicht weiter verhandeln. Es folgt die erste von fünf Unterbrechungen. Die von den Anwälten angekündigte Einlassung des Angeklagten wird an diesem Tag nicht mehr verlesen. „Er wird die Tat gestehen, und er bereut sie sehr“, hatte Rechtsanwalt Klein vor Prozessbeginn gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erläutert. Der nicht vorbestrafte Softwareentwickler habe massiv unter den Corona-Regeln gelitten, die Pandemie habe ihm die Existenz geraubt.

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Einige Monate vor der Tat habe sein Vater Selbstmord begangen, und schließlich habe sich N. im Netz unter anderem in einschlägigen Foren für Corona-Leugner und Maßnahmengegner begeben. Ein „Querdenker“ oder Rechtsradikaler sei sein Mandant jedoch nicht, so Klein. Bislang stehen dem Gericht 13 Verhandlungstage zur Verfügung, um unter anderem das herauszufinden.

RND/Sonja Jordans

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