Erlebnisse im Ahrtal lassen Helfer nicht los: „Mit Kollegen und der Familie reden hilft“

Bilder der Zerstörung, die belegen, mit welcher Kraft sich unvorstellbar große Wasser- und Schuttmassen durch das Ahrtal geschoben haben.

Etliche Helfer und Helferinnen sind nach der Flutkatastrophe im Ahrtal tätig geworden. (Archivbild)

Mainz/Bad Neuenahr-Ahrweiler. Auch viele Monate nach der Flutkatastrophe im Ahrtal wird es Michael Planz noch mulmig, wenn ein Unwetter aufzieht. Armeen Kolians ist über die Monate hinweg vor allem die Verzweiflung der Menschen im Gedächtnis geblieben, die bei der Sturzflut Familienmitglieder verloren haben. Beide Männer haben den Bewohnern im Katastrophengebiet geholfen - der eine spontan, der andere hauptamtlich. Beide hat der Weg in Bad Neuenahr-Ahrweiler zusammengeführt, wo sie jetzt längerfristig am dortigen Stützpunkt des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) für die Hochwasserhilfe arbeiten.

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„Ich war früher als Helfer nach Naturkatastrophen unter anderem in Ländern wie den Philippinen, Indonesien und Haiti“, berichtet Kolians. „Die Wucht der Zerstörung und die Schäden, die ich dort gesehen habe, waren vergleichbar mit dem, was im Ahrtal passiert war. Es war aber eine ganz andere persönliche Erfahrung, weil sich die Katastrophe nun praktisch vor der eigenen Haustür ereignet hatte.“

Sorge ums Vergessenwerden

Kolians, der damals für den ASB in Worms arbeitete, wurde in der Flutnacht vom 14./15. Juli zunächst in die Leitstelle nach Mainz und ein paar Tage später als Gruppen- und Zugführer zum Einsatz nach Bad Neuenahr-Ahrweiler entsandt. In einer Betreuungsstelle im Stadtteil Heimersheim waren er und andere Helferinnen und Helfer für insgesamt rund 400 Betroffene zuständig. Immer wieder bemerkte Kolians in den Gesprächen mit den Bewohnern dort neben der Verzweiflung auch die Sorge, dass sie eines Tages wieder vergessen werden. „Das war auch ein Ansporn für mich, nun länger im Ahrtal zu bleiben und dort zu helfen“, sagt der 32-Jährige.

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Die ASB-Helfer Armeen Kolians (l) und Michael Planz entladen einen LKW, der Waschmaschinen geladen hat.

Die ASB-Helfer Armeen Kolians (l) und Michael Planz entladen einen LKW, der Waschmaschinen geladen hat.

„Was mich nach dem Ahrtal-Einsatz belastet hat, war der Kontrast: Eine halbe Autostunde vom Katastrophengebiet gehen das Leben und der Alltag der Menschen unberührt von den Ereignissen dort weiter“, erzählt Kolians. „Ich bin seit 15 Jahren für den ASB tätig und habe gelernt, mit solchen Situationen umzugehen. Es gibt da ganz gute sogenannte Coping-Strategien zur Bewältigung von Stress und belastenden Situationen. In der Akutphase beim Einsatz haben wir uns in Abendrunden im Kollegenkreis zusammengesetzt und die Erlebnisse des Tages besprochen. Reden hilft - der Austausch mit Kollegen und der Familie. Mir persönlich hilft auch Sport.“

„Ich bin ganz gut mit dem Erlebten zurecht gekommen“, berichtet Kolians. „Ich möchte aber nicht ausschließen, dass das bei anderen Kollegen nicht der Fall ist.“

Helfende erhalten psychologische Unterstützung

Alle ASB-Helferinnen und -Helfer bekommen nach ihrem Einsatz eine psychologische Nachsorge, wie der Notfallsanitäter und Diplom-Psychologe Alexander Strombach berichtet. Der 41-Jährige aus Wettenberg (Landkreis Gießen) kümmert sich für den hessischen ASB-Landesverband um Helfer, die aus Katastrophengebieten zurückkehren und koordiniert die Hilfen. Auch er unterstreicht, dass Reden hilft. Dazu werden den Helfern Gesprächsrunden angeboten, die von speziell geschulten Betreuern geleitet werden.

In 90 Prozent der Fälle gehen Trauma-Symptome und belastende Eindrücke nach Einschätzung des Psychologen nach vier bis sechs Wochen auf ein „nicht belastendes Maß“ zurück. Doch bei zehn Prozent der Rückkehrer säßen die Probleme erfahrungsgemäß tiefer. Bei ihnen könnte sich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, die längerfristig behandelt werden muss.

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Bei den Rückkehrern aus dem Ahrtal liegt diese Quote nach seiner Beobachtung nicht höher als bei anderen Katastropheneinsätzen. „Es gibt Menschen, die sehr daran geknabbert haben, aber der Anteil hat sich nicht als größer erwiesen“, erklärte Strombach. „Die Besonderheit und auch die mediale Wahrnehmung der Katastrophe scheint keine Auswirkungen gehabt zu haben.“

„Es gab anfangs keine Hilfe von offizieller Seite“

Michael Planz aus Heimersheim hat die Flutkatastrophe ganz unmittelbar selbst erlebt. „Meine Frau, die drei Kinder und ich hatten uns in der Flutnacht auf den Dachboden unseres Hauses geflüchtet. Die Kinder haben gezittert wie Espenlaub“, erzählt er. „Wir verfolgten bang, wie das Wasser immer höher stieg. In den frühen Morgenstunden bemerkten wir, dass das Wasser nicht weiter anstieg.“

Am Morgen stand das Wasser aber weiter rund 1,50 Meter hoch im Erdgeschoss. „Wir hatten nichts zu essen, nichts zu trinken und das Handynetz funktionierte nicht richtig. Die Einsatzkräfte waren anfangs alle überlastet, es gab keine Hilfe von offizieller Seite.“ Schließlich sei sein Schwager, der in der Nähe von Koblenz wohnte, zur Hilfe geeilt und habe ein Schlauchboot mitgebracht. „Wir haben nacheinander die ganze Familie herausgeholt. Nach ein paar Stunden hatten wir schließlich auch fast alle Nachbarn aus unserer Straße in Sicherheit gebracht.“

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In den ersten Tagen nach der Flut kümmerte sich der 41-Jährige um seine Familie, den Schaden am Haus und die Nachbarn in seiner Straße. Über „Mund-zu-Mund-Propaganda“ habe er erfahren, dass auf dem Marktplatz einen Stützpunkt des ASB errichtet worden sei. „Ich bin da rein und habe gesagt: „Ich kann helfen. Sagt mir, wo ich anfangen soll“. Dabei habe er auch Armeen Kolians kennengelernt und gemerkt, dass sie auf einer Wellenlänge liegen.

„Ich bin von einem Betroffenen zu einem Spontanhelfer geworden. Ich habe beispielsweise Bautrockner ausgeliefert und bin dabei immer wieder dem Leid der Menschen begegnet. Das war schon heftig“, erzählt Planz. Er sei dann schrittweise in diese Aufgaben hineingewachsen und inzwischen vom Spontanhelfer zum hauptamtlichen Helfer geworden. Seit Januar ist Planz Projektmanager Hochwasserhilfe beim ASB und arbeitet zurzeit an Konzepten für die Kinder- und Jugendhilfe mit. „Ich bin in Heimersheim großgeworden, das ist meine Heimat. Jetzt hier weiter helfen zu können, ist eine Herzensangelegenheit.“

Planz‘ Haus ist immer noch nicht bewohnbar. Die Familie musste vorübergehend wegziehen und wohnt jetzt 20 Minuten entfernt in der Eifel. „Wir sind heilfroh, dass wir überlebt haben“, sagt er. Die Eindrücke der Naturkatastrophe lassen ihn, seine Frau und Kinder noch nicht los. Gewitter und starker Regen beispielsweise lösen bei den Familienmitgliedern Angst und Anspannung aus.

RND/dpa

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