Bandenkrieg, Drogengeschäfte, Entführungen: Das Rätsel um die Folterkammer in den Niederlanden

In einem isolierten Container steht ein Zahnarztstuhl – in dem von den Verdächtigen als “Behandlungszimmer” bezeichneten Raum wurden auch zahlreiche Folterinstrumente gefunden.

In einem isolierten Container steht ein Zahnarztstuhl – in dem von den Verdächtigen als “Behandlungszimmer” bezeichneten Raum wurden auch zahlreiche Folterinstrumente gefunden.

Die niederländische Polizei hat bei einer umfangreichen Drogenfahndung in einer Lagerhalle in der südniederländischen Provinz Brabant nördlich von Eindhoven sieben Container entdeckt, die zu Zellen und Folterkammern umgebaut worden waren. In diesen Folterkammern, die schalldicht abgeschlossen und mit dicker Isolierfolie verkleidet waren, sodass man die Schreie der potenziellen Opfer nie hätte hören können, fanden die Polizisten unter anderem: chirurgische Instrumente, Zangen, Sägen, Hämmer, Handschellen, Sturmmützen, kugelsichere Westen und eine große Menge Drogen, darunter Kokain, Crystal Meth, Marihuana.

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Die kriminelle Drogenbande, die diese Folterkammern eingerichtet hatte, nannte sie verharmlosend “die Behandlungskammern”. Einer der sieben Container war als Schlafplatz eingerichtet. Darin sollten wohl die Entführer und das Bewachungspersonal der Entführten nächtigen. Auch zwei schnelle BMW standen als Fluchtwagen in der Lagerhalle für die Entführer parat.

Robin van O. und seine Drogenbande: Wer steckt dahinter?

Kopf dieser Drogenbande ist der 40-jährige Niederländer Robin van O. aus Den Haag. Er gehöre einer der führenden Drogenbanden des Landes an, berichten niederländische Medien. Er und fünf seiner Komplizen wurden von der Polizei verhaftet. Robin van O. war lange Zeit gut getarnt. Er betrieb in Utrecht ein Fitnesscenter.

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Der Drogenbande kam die Polizei erstmals auf die Spur, als das Fitnesscenter von Robin van O. im vergangenen Jahr mehrmals von Unbekannten beschossen wurde. Auch schon 2017 soll sein vorheriges Fitnessstudio laut der niederländischen Tageszeitung “AD” beschossen worden sein, 2018 schloss er es dann demzufolge.

Nach den Vorfällen 2019 wurden dann alle Telefongespräche von Robin van O. abgehört. Auch seine Chats und Kontakte aus dem Internet und in den sozialen Medien wurden von der Polizei überwacht. Die Kripo bekam Zugang zu dem inzwischen geschlossenen Netzwerk Encrochat, das vor allem von Kriminellen genutzt wurde. Es war von europäischen Ermittlern geknackt worden. Monatelang konnten sie Telefon- und Chatgespräche abfangen – so auch die von Robin van O. und seiner Bande.

Bereits seit April war der Hauptverdächtige somit im Visier der Polizei unter dem Verdacht des Drogenhandels und der Vorbereitung einer Liquidierung. Am 22. Juni wurden Robin van O. und seine fünf Komplizen verhaftet. Im Zuge der laufenden Ermittlungen entdeckte die Polizei am vergangenen Dienstag die sieben Container, die zu Folterkammern umgebaut worden waren.

Was hatte die Drogenbande mit der Folterkammer vor?

Die Drogenbande um Robin van O. hatte offenbar vor, prominente und reiche Niederländer zu entführen, zu foltern und Lösegeld zu erpressen. Für ihre geplanten Entführungen hatten sie einen perfiden Plan. Sie wollten sich als Polizisten verkleiden und dachten, so ihre Opfer leichter überwältigen zu können. Denn in den Foltercontainern fanden die Fahnder Polizeiuniformen, aber auch jede Menge Drogen und Waffen, darunter Schnellfeuergewehre.

Die Polizei hatte nach eigenen Angaben aufgrund ihrer Abhöraktionen Informationen darüber, wen die von Robin van O. geführte Bande entführen wollte. Sie hat diese Personen gewarnt und sie bewacht. Manche der potenziellen Entführungsopfer sind untergetaucht. Sie sollen zum Teil auch aus der Unterwelt stammen.

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Davon auszugehen ist deshalb auch, dass die von Robin van O. geleitete Drogenbande Mitglieder einer anderen, rivalisieren Drogenbande entführen und foltern wollte, mit dem Ziel, Informationen über deren Drogendealernetz zu erhalten und sich so die Vorherrschaft auf dem niederländischen Drogenmarkt zu sichern. Auch soll es laut niederländischen Medien Verbindungen zu einem in Marokko wegen Kokainschmuggels festsitzenden Drogenhändler namens Mustapha F. aus Amersfoort geben. Und der gilt als großer Gegenspieler der von Ridouan T. geleiteten, rivalisierenden Drogenbande.

Wer ist die rivalisierende Drogenbande?

Die mit Robin van O. rivalisierende andere Drogenbande wird von Ridouan T. (41) geleitet, der Ende 2019 in Dubai verhaftet und dann an die Niederlande ausgeliefert wurde. Robin van O. soll laut der niederländischen Tageszeitung “AD” auf der Todesliste von T. gestanden haben – genauso wie Mustapha F. Letzterer soll demzufolge 2017 in Marrakesch nur knapp dem Tod entgangen sein: Ein anderer Mann wurde erschossen, doch offenbar sollten die Kugeln eigentlich ihm gelten. Laut marokkanischen Behörden, auf die sich die Zeitung beruft, gilt T. als Auftraggeber für den Mord.

T. war 1980 mit seinen Eltern in die Niederlande gekommen. 2018 setzte die dortige Polizei ihn an die Spitze der Liste der meistgesuchten Tatverdächtigen des Landes – bis zu seiner Verhaftung 2019.

Hatte die Region Brabant schon zuvor Probleme mit dem Drogenmilieu?

Laut “ntv” wurden in der niederländischen Region Brabant in den vergangenen Jahren bereits Hunderte Drogenlabore aufgedeckt. Auch Lokalpolitiker in der Region sollen Morddrohungen erhalten haben. Trotzdem war die Entdeckung der Folterkammer für die Niederländer ein Schock. Folter ist als Druckmittel in der Unterwelt zwar nicht neu. Doch noch nie zuvor waren eigens dafür eingerichtete und umgebaute Räume entdeckt worden. “Das ist doch eine neue Dimension auch bei Kriminellen”, sagte ein Polizeisprecher.

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Ist die Entdeckung in den Niederlanden Teil einer größeren Aktion?

Durch das Entschlüsseln von Verbrecherchats auf Encrochat ist Ermittlern aus mehreren Ländern ein großer Schlag gegen die organisierte Kriminalität in Europa gelungen. Es gab Hunderte Festnahmen. 19 Drogenlabore wurden ausgehoben, Tausende Kilo Kokain, Crystal Meth und andere Drogen beschlagnahmt.

Der Polizei in den Niederlanden und Frankreich gelang es, mehr als 20 Millionen geheimer Nachrichten abzuschöpfen, wie die europäische Justizbehörde Eurojust am Donnerstag in Den Haag mitteilte. Das Eindringen in die technische Infrastruktur des Anbieters von verschlüsselten Kurznachrichten in Encrochat habe “Schockwellen durch organisierte Verbrecherbanden quer durch Europa” geschickt.

Zahlreiche Verbrechen konnten unterbunden werden, so Eurojust – darunter Mordversuche und Drogentransporte. In den Niederlanden wurde demnach Bargeld in Höhe von fast 20 Millionen Euro beschlagnahmt.

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Britische Behörden bezeichneten die Operation als “massiven Durchbruch im Kampf gegen schwere und organisierte Kriminalität” und die größte Ermittlungsoperation ihrer Geschichte. Der inzwischen geschlossene Kurznachrichtendienst Encrochat habe 60.000 Nutzer weltweit gehabt, davon allein 10.000 in Großbritannien. Er sei ausschließlich zu illegalem Handel, Geldwäsche und für Mordkomplotte gegen rivalisierende Kriminelle genutzt worden.

Allein in Großbritannien habe es 746 Festnahmen gegeben, hieß es in einer Mitteilung der National Crime Agency und dem Verband der britischen Polizeibehörden am Donnerstag. Zudem seien 54 Millionen Pfund (umgerechnet knapp 60 Millionen Euro), 77 Schusswaffen und mehr als zwei Tonnen Drogen sichergestellt worden.

In Frankreich waren mehr als 60 Sonderermittler unter dem Codenamen Emma 95 beteiligt. In den Niederlanden seien in die dort Lemont genannte Operation mehrere Hundert Ermittler einbezogen gewesen. Das Hacken der Chatnachrichten zwischen Tausenden von mutmaßlichen Kriminellen sei auf der Grundlage behördlicher Genehmigungen erfolgt.

mit dpa

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