Wieder ein Schwarzer erschossen: Ein fatales Déjà-vu vor dem Gerichtssaal

Menschen umarmen sich während einer Mahnwache in Brooklyn Center nach der Tötung von Daunte Wright.

Menschen umarmen sich während einer Mahnwache in Brooklyn Center nach der Tötung von Daunte Wright.

Minneapolis. Im Gerichtsgebäude von Minneapolis ging der Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd gerade in die dritte Woche, als Bürgermeister Jacob Frey und der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, ein paar Blocks weiter eilig vor die Kameras traten. „Diese Gleichzeitigkeit ist grausam“, beklagte Frey. „Mitten in einem Verfahren, das die ganze Welt verfolgt, wiederholt sich nun die Situation“, sagte Walz erregt.

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Tatsächlich heizt der Tod eines weiteren Schwarzen bei einem Polizeieinsatz in Minnesota die bereits angespannte Stimmung in dem Bundesstaat weiter an und befeuert den landesweiten Streit über eine grundsätzliche Reform der Sicherheitskräfte. Der 20-jährige Daunte Wright war am Sonntag in Brooklyn Center, einem Vorort der Metropole Minneapolis, wegen einer angeblich abgelaufenen Kfz-Zulassung angehalten worden. Wenige Minuten später starb der unbewaffnete Vater eines zweijährigen Sohnes durch eine Polizeikugel.

Nach Darstellung der Behörden wurde Wright das Opfer eines tragischen Versehens. Die Polizistin, die den Schuss abfeuerte, habe ihren Elektroschocker (Taser) mit der Pistole vertauscht, berichtete Tim Gannon, der Polizeichef von Brooklyn Center. Als Beleg führte er die Aufzeichnung der Körperkamera der Beamtin vor. Darin ist zu hören, wie die 48-jährige Weiße mehrfach „Taser“ ruft. Dann fällt ein Schuss. „Heilige Scheiße, ich habe ihn angeschossen“, flucht die Polizistin.

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Barack Obama fordert „volle und transparente Untersuchung“

„Herzzerreißend und einfach unfassbar“ sei der Vorfall, sagte Mike Elliott, der schwarze Bürgermeister von Brooklyn Center und setzt etwas unglücklich hinzu: „Das hätte zu keiner schlechteren Zeit passieren können.“ Was er meinte, war klar: In der Region um Minneapolis liegen seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd, der im vergangenen Mai unter dem Knie eines Polizisten auf seinem Hals starb, die Nerven ohnehin blank. Die afroamerikanische Gemeinde dringt auf „Gerechtigkeit für George Floyd“. Doch der neuerliche tödliche Vorfall zeigt, dass selbst eine Verurteilung des angeklagten Polizisten Derek Chauvin wegen Mordes das Problem der rassistisch motivierten Polizeigewalt in USA nicht lösen würde.

Doch der neuerliche tödliche Vorfall zeigt auch, dass mit einer Verurteilung des wegen des Floyd-Mordes angeklagten Polizisten Derek Chauvin alleine das Problem der rassistischen Polizeigewalt in Amerika nicht gelöst wäre. In diesem Sinne meldete sich am Dienstag auch Barack Obama mit einer höchst seltenen Anmerkung zur Tagespolitik zu Wort. In einer gemeinsamen Erklärung mit seiner Frau Michelle forderte der Ex-Präsident eine „volle und transparente Untersuchung“, mahnte jedoch zugleich ein „Überdenken der Polizeiarbeit und der öffentlichen Sicherheit“ in den USA an. Dies kann man als Plädoyer für eine grundsätzliche Polizeireform werten, wie sie vor allem vom linken Flügel der Demokraten gefordert wird.

Nachdem es bereits am Sonntagabend zu Protesten und Krawallen gekommen war, versammelten sich am Montagabend trotz einer vom Gouverneur verhängten Ausgangssperre erneut Hunderte Demonstranten in Brooklyn Center. Die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschosse und Blendgranaten ein. Aus den Reihen der Protestler wurden Flaschen geworfen und Feuerwerkskörper abgeschossen. Mehrere Geschäfte sollen geplündert worden sein. Nach Berichten örtlicher Medien wurden 40 Menschen festgenommen und mehrere Beamte verletzt.

Dass die Situation nicht noch weiter eskalierte, dürfte den eindringlichen Appellen führender schwarzer Aktivisten zu verdanken sein, die – wie auch die Mutter des Getöteten – ausdrücklich zum friedlichen Protest mahnten. „Friedlicher Protest ist verständlich“, sagte Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Für Gewalt gebe es jedoch „absolut keine Rechtfertigung“. Biden betonte, dass noch unklar sei, ob es sich bei dem Schuss um einen Unfall oder um Absicht handele. Verwechslungen von Pistolen und Tasern durch Beamte sind zwar selten, aber nicht ausgeschlossen. Bei zwei Vorfällen in Kansas 2018 und Pennsylvania 2019 waren die Polizisten deswegen entlastet worden.

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George-Floyd-Prozess: Zeugen belasten Ex-Polizisten

Nach Darstellung seiner hinterbliebenen Angehörigen war Wright von der Polizei auf der Fahrt zur Autowaschstraße angehalten worden. Seiner Mutter berichtete der 20-Jährige kurz vor seinem Tod am Telefon, die Beamten hätten ein Duftbäumchen an seinem Rückspiegel bemängelt. Laut Polizei ging es um die abgelaufene Zulassung des weißen Buick. Allerdings musste Polizeichef Gannon inzwischen einräumen, dass es bei seiner Behörde einen monatelangen Antragsstau für Fahrzeugplaketten gibt.

Auf dem Video der Körperkamera sieht man, wie die Beamten Wright zunächst aus dem Auto zerren und versuchen, ihm Handschellen anzulegen. Bei der Überprüfung der Personalien sollen sie festgestellt haben, dass gegen den Afroamerikaner ein Haftbefehl im Zusammenhang mit unerlaubtem Waffenbesitz vorlag. Bei der Verkehrskontrolle war Wright unbewaffnet. Offensichtlich in Panik entwand er sich den Polizisten und stieg wieder in seinen Wagen. Daraufhin fiel der tödliche Schuss.

Der Vorfall weist also auch Unterschiede zum Tod von George Floyd auf. Floyd hatte nicht versucht zu fliehen, war bereits gefesselt und wurde von Chauvin trotzdem neun Minuten lang absichtlich und brutal stranguliert. Bislang haben alle Zeugen in dem Prozess den Ex-Polizisten belastet. Ein Kardiologe widersprach am Montag der Behauptung der Verteidiger, Floyd sei an einer Drogenüberdosis gestorben: „Wenn er nicht so behandelt worden wäre, hätte er den Tag überlebt.“ Im Laufe dieser Woche könnte die Zeugenanhörung beendet werden. Für die nächste Woche werden die Schlussplädoyers erwartet.

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