Polizeiausbilder: „Entscheidungen müssen in Sekundenschnelle getroffen werden“

Fahrzeugkontrolle durch einen Polizisten. Kommen jetzt neue Aufgaben dazu?

Fahrzeugkontrolle durch einen Polizisten: Ein Themenfeld, das in der Polizeiausbildung eine wichtige Rolle spielt.

Hannover. Weil Entscheidungen manchmal in Sekundenschnelle getroffen werden müssen, werden Polizeischüler in den Polizeiakademien bei Trainings auch unter simuliertem Stress geschult. Damit es im Fall eines Falles keiner Überlegung mehr bedarf, wie Polizeioberrat Marc-Dennis Pülm (43), Studiengebietsleiter an der Polizeiakademie Niedersachsen für Polizeitraining, im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) betont.

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Herr Pülm, aus US-Filmen kennt man Polizeitrainings, in denen die Auszubildenden in völlig unerwartete, haarsträubende Situationen kommen und sie meistern müssen. Werden solche Situationen, wie sie zuletzt bei der Fahrzeugkontrolle im rheinland-pfälzischen Kusel zum tragischen Tod zweier Beamter führten, bei uns auch geübt?

Den Vorgang in Kusel kann ich nicht kommentieren, da hier noch Details fehlen und der Sachverhalt noch nicht abschließend geklärt ist. Situationen, die sich jedoch aus alltäglichen Kontrollsituationen, zum Beispiel während einer Streifenfahrt ergeben können, werden natürlich studiert und abgebildet – denn solche besonderen Situationen können jederzeit eintreten. Was die USA betrifft, herrscht dort natürlich ein anderes Gefährdungspotenzial und Gefährdungslagebild. Der Zugang zu Waffen ist dort ganz anders geregelt, die Bewaffnung eines Kontrollierten ist dort ein sehr häufiger Fall. Zudem ist die Ausbildung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den USA eine ganz andere als bei uns in Deutschland. Bei uns spielt zudem immer die Verhältnismäßigkeit eine Rolle.

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Die Dienstpistole kommt erst ganz zum Schluss?

Polizistinnen und Polizisten haben das Notwehrrecht und die Nothilfeverpflichtung – Notwehr, wenn es um das eigene Leben geht, und Nothilfe, wenn es um andere Personen geht, die Gefahren ausgesetzt sind. Das Polizeirecht gibt eine abgestufte Maßnahmentreppe vor: Erst Kommunikation, dann einfache körperliche Gewalt, dann kommen Hilfsmittel körperlicher Gewalt wie Pfefferspray oder Schlagstock. Wenn die alle nicht erfolgversprechend sind, etwa mein Gegenüber mit einer Schusswaffe hantiert, dann kann die Dienstpistole zum Einsatz kommen.

Kann man im Einzelfall die Maßnahmentreppe hochspringen, statt jede Stufe zu nehmen?

Üblicherweise drohen wir Zwangsmaßnahmen an, wie man das auch aus Filmen kennt: „Stehenbleiben, oder ich schieße!“ oder „Waffe fallen lassen, oder ich schieße!“. Wenn ich aber erkenne, da richtet jemand seine Waffe schon auf mich und hat den Finger schon am Abzug, und ich wäre somit bei Einhaltung dieser Vorgehensweise tot, dann kann und darf ich die Waffe auch im „Sofortvollzug“ einsetzen.

Eine Fahrzeugkontrolle, die eskaliert – so etwas geschieht ja meist sehr rasant. Man muss viel gleichzeitig machen auch einen Notruf absetzen und vielleicht auch darauf achten, rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Ist es überhaupt möglich, das Prozedere einzuhalten?

Da sprechen Sie ein Spannungsfeld unseres Berufs an – dass Entscheidungen in Sekundenschnelle getroffen werden müssen. Schusswaffengebräuche laufen unter hohem Stress ab, das wird sehr häufig und auch unter simuliertem Stress geübt – sowohl auf dem Schießstand als auch in Situationstrainings. Damit es im Fall des Falles keiner Überlegung mehr bedarf, sondern Verhaltensmuster vorhanden sind, die in dem entsprechenden Sekundenbruchteil greifen können.

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Wie häufig ist polizeilicher Schusswaffengebrauch in Deutschland?

Die Schusswaffengebrauchsstatistik weist eine niedrige Zahl von polizeilichen Schusswaffengebräuchen aus. Der hauptsächliche Anteil ist im Bereich des Tötens von Tieren nach Wildunfällen. Gegen Menschen ist das in Niedersachsen im niedrigen einstelligen Bereich.

In Filmen absolvieren meistens zwei Beamte oder Beamtinnen eine Fahrzeugkontrolle. Muss es ein Team sein oder könnte das ein Polizist auch alleine tun?

Es gibt in Deutschland keine rechtliche Vorgabe, dass Polizeivollzugsbeamtinnen oder -beamte nur im Team vorgehen dürfen. Es ist nicht verboten, auch alleine Kontrollen durchzuführen. Aber aus Gründen der Eigensicherung, die bei uns eine hohe Bedeutung hat, gehen wir im Regelfall zu zweit vor und es wird auch in der Ausbildung so gelehrt, in nahezu allen Situationen im Team zu agieren.

Gibt es da eine Aufgabenteilung?

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Es gibt Vorgehensweisen in immer wieder vorkommenden Situationen, die bundeseinheitlich in einem Leitfaden zur Eigensicherung hinterlegt sind. Da ist eine gewisse Aufgabenteilung vorgesehen. Bei Kontrollen im Straßenverkehr gibt es den „einschreitenden Beamten“, der die Kommunikation mit den betroffenen Personen führt und verantwortlich die Maßnahmen trifft, während der andere Kollege für die Sicherung der Situation zuständig ist.

Das heißt?

Dass ich mich nicht in ein Gespräch verwickeln oder ablenken lasse. Dass ich die Situation im Auge behalte, um unvorhergesehene Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen und den Kollegen oder die Kollegin warnen zu können oder sofort eingreifen zu können, um diesen oder diese zu schützen.

Wie stark ist das Thema Fahrzeugkontrolle in der Ausbildung eines Polizisten verankert?

Da das eine Alltagstätigkeit ist, die im Streifendienst regelmäßig vorkommt, ist das – sich aufbauend und steigernd – über das dreijährige Studium hinweg immer wieder Thema. Im Grundlagenstudium beginnt das mit normalen Verkehrskontrollen und führt dann bis hin zum „Heraussprechen aus Fahrzeugen“. So nennen wir das, wenn Hinweise auf schwere Delikte und gefährliche Personen mit Bewaffnung vorliegen, und man nicht an das Fahrzeug herantritt, sondern die Insassen über die Lautsprecheranlage auf dem Dach des Streifenwagens auffordert, die Waffen abzulegen und auszusteigen. Das alles wird relativ häufig praktisch trainiert, aber da fließt auch viel theoretisches Wissen mit ein, das im Vorfeld vermittelt wurde: Was sind meine Eingriffsbefugnisse? Wie mache ich das taktisch am besten? Was sind geeignete Anhaltepunkte? Wie sichere ich den fließenden Verkehr? Das geht auch bis hin zu psychologischen Aspekten: Wie fühlt sich eigentlich der Verkehrsteilnehmer, den ich kontrollieren will? Das ist Teil der Ausbildung im Bachelor-Studiengang und wird auch in Fortbildungen im Anschluss weiter trainiert.

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Wie bewältigt man als Polizist seine Angst? Wenn ich von vornherein weiß, die Fahrzeugkontrolle dient dem Ergreifen eines Schwerverbrechers oder wenn eine Situation sich jäh zuspitzt wie in Kusel?

Die Bewältigung von Hochstress in lebensgefährlichen Situationen ist auch Teil der Ausbildung. Dazu gibt es ebenfalls spezielle Trainings. Unsere Studierenden beschäftigen sich im Zusammenhang mit dem Diensteid aber schon auch damit, was es in maximaler Konsequenz bedeutet, Polizeibeamtin oder -beamter in Deutschland zu sein. Wir hatten die Diskussion sehr stark, als das Amokphänomen nach Deutschland gekommen ist. Grundsätzlich bringen wir bei schwerbewaffneten, schwerkriminellen Tätern speziell geschulte und ausgerüstete Spezialeinheiten zum Einsatz. Amok hat aber deutlich gemacht, dass wir nicht immer auf diese Spezialisten warten können. Wenn ein solcher Täter ungezielt und ungerichtet gegen einen größeren Personenkreis fortgesetzte Tötungshandlungen vornimmt, dann ist es die Verpflichtung einer jeden Polizistin und eines jeden Polizisten, diesen Zustand zu beenden, Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

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