Verhasste Tribals, Nacktfotos und Existenzängste: Ein Tattookünstler erzählt aus dem Alltag

Der Tattookünstler Daniel Symanski.

Der Tattookünstler Daniel Symanski.

Wuppertal. Daniel Symanski wirkt erst einmal entspannt. Und das überrascht, denn seit den Lockerungsentscheidungen von Bund und Ländern durfte er sein Tattoostudio Stechwerk in Wuppertal am 8. März das erste Mal nach Anfang November wieder öffnen. Die Wartelisten sind lang, und ein Kunde reiht sich an den nächsten. Doch ist es noch vor Ladenöffnung an diesem Dienstag – und Symanski nimmt sich Zeit. „Ich habe schon drei oder vier Tassen Kaffee getrunken und deswegen jetzt genug Energie für das Gespräch“, witzelt der Tattookünstler im Videocall mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Sein Studio betreibt er seit 2011, derzeit mit zwei Mitarbeitern. Er sitzt auf einem opulenten Ledersessel. Passend dazu stehen im Regal Bände zu Steampunk. Er will nicht nur über Corona und den Lockdown sprechen – er will auch aus seinem bunten Alltag im Studio erzählen.

Symanski musste seinen eigenen Weg aus der Krise finden

Auf die Inzidenzzahlen schaut Symanski nicht mehr jeden Tag. „Ich warte eigentlich, dass bald wieder eine neue Bestimmung aus irgendeiner Ecke kommt. Aber ich versuche, nicht die ganze Zeit daran zu denken“, erzählt er. Das hat Symanski vor allem im zweiten Lockdown gelernt. Denn der war hart – und der Tattookünstler musste sich den Weg aus seiner persönlichen Krise selbst erkämpfen. „Ich hatte Existenzängste. Klar.“ Das habe nicht sofort angefangen. Doch die Auszahlung der Corona-Hilfen dauerte – bis die zweite Hälfte der Novemberhilfen ausgezahlt wurde, sei es schon Februar gewesen. Und der Tattookünstler, der eine Familie mit zwei Kindern hat, musste seine Ersparnisse opfern, um sein Studio zu retten. „Jeder macht mal Fehler“, sagt er und meint damit die Regierung. Und dennoch sei er frustriert gewesen: „Das Geld, alles, was ich jemals seit meinem ersten Job gespart habe, musste ich einsetzen. Das ärgert mich am allermeisten. Dass das Geld völlig unverschuldet da einfließen und uns vor noch Schlimmeren bewahren musste.“ Doch sogar der Sparstrumpf habe nicht gereicht. „Es ist so, dass ich mir Geld leihen musste.“ Und er glaubt nicht, dass er durch irgendwelche Hilfen sein Geld von der hohen Kante zurückbekommt.

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Durch die Existenzängste, selbst gemachten Druck und die ständige Befeuerung aus den sozialen Medien kamen auch die Depressionen, wie er offen erzählt. „Ich musste als Häuptling meiner Familie funktionieren.“ Dazu kamen die ständigen Nachrichten über Corona, das wechselnde Sinken und Steigen des alles beherrschenden Inzidenzwertes. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich da etwas ändern muss.“ Er versuchte, die tagtäglichen Diskussionen und Debatten von sich wegzuschieben. „Das hat dann auch geklappt.“ Und Symanski konnte wieder in den beruflichen Alltag finden – sogar ohne Therapie.

„Wenn die beim Stechen so richtig leiden, kann ich auch was loswerden“

Jetzt, da er wieder Kunden bei sich auf der Liege hat, merkt er, dass der Gesprächsbedarf hoch ist. Auf beiden Seiten. Mit einem neuen Motiv auf der Haut kommt quasi eine Coaching-Session gratis dazu. „Und wenn die dann beim Stechen in einer langen Session richtig leiden, dann kann ich auch mal was loswerden. Die hören dann sowieso nicht mehr zu.“ Doch ist der Alltag im Studio eigentlich nicht sonderlich ernst. Beispiele liefert der Studio-Azubi, der unter dem Namen Basti Freshman bei Twitter ständig alle möglichen Kuriositäten aus dem Alltag berichtet.

So hat zum Beispiel eine Kundin mal ein Foto von ihren Brüsten geschickt. Angeblich, um ein Tattoo umsonst zu bekommen. Daniel Symanski lacht über die Geschichte: „Ja, das Foto gab es tatsächlich. Aber die Frau hatte gepiercte Nippel. Vielleicht wollte sie eine Meinung dazu hören.“ Aber trotzdem ist nicht jeder Tag im Stechwerk eine wilde Party. „Der verrückte Tätowiereralltag ist gar nicht so verrückt. Wir sind ganz normale Menschen. Wir sind nur bunt“, sagt Symanski. Trotzdem, das Leben genießen der Tattookünstler und seine zwei Kollegen. Und zwar in vollen Zügen. „Wir haben Momente, wo wir uns abends betrunken gegenseitig tätowieren. Wir gehen nachts raus und machen nackig Purzelbäume.“ Diese Leichtigkeit wollen die drei gerade jetzt im Studio beibehalten. Coronakonform natürlich.

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„Politische Motive stechen wir nicht“

Tattoos sind Kunstwerke, die mit der Haut verschmolzen sind, die permanent sind. Das hat Symanski auch am eigenen Leib erfahren. Denn in seinem Nacken sitzt sein erstes Tattoo: ein Skorpiontribal, das er mit 16 Jahren von seiner Tante geschenkt bekommen hat. „Ich kann eigentlich keinen Trend, der mal Trend war, mehr sehen.“ Und davon gab es in seiner Karriere als Tätowierer viele. „Als ich angefangen habe zu tätowieren, da waren die Tribals ganz groß. Solche Motive kann man nicht mehr sehen. Das sind Ideen von Leuten, die ein Tattoo haben wollen, fernab von irgendwelchen persönlichen Bedeutungen. Da geht es nur um Verzierungen.“ Nach den Tribals seien Federn, Vögel, Unendlichkeitszeichen und Totenköpfe aufgekommen. Immer wieder kommt beim Erzählen der weiche Zungenschlag beim Wuppertaler durch, ein sanfter Singsang.

Da Symanski vor allem realistische Tattoos sticht, ist er aber nicht so sehr von dem Hoch und Runter der Trends betroffen. „Aber wenn dann mal dasselbe Motiv kommt, lehne ich einen Auftrag auch mal ab“, sagt er. Und aus noch einem Grund können potenzielle Kunden wieder weggeschickt werden: „Politische Motive stechen wir nicht.“

Tattoos altern wie die Haut – und die Seele

Doch die Dauerhaftigkeit von Tattoos beschränkt sich ja nicht nur auf die Motivwahl. „Das Tattoo altert mit der Haut“, sagt der zweifache Familienvater. So gebe es Stellen, die besonders faltig werden im Alter. „Da muss man sich im Sommer ja nur anschauen, wo es bei den alten Menschen faltig wird.“ Schwierig wird es mit einem Tattoo auch, wenn der Träger viel zunimmt. Dann kann sich das Tattoo dehnen und seine Form verlieren. Damit im Laufe eines Lebens realistische Porträts nicht zu Fratzen werden, sollte die Hautstelle mit Bedacht gewählt werden. Nach dem Lockdown bemerkt er, dass die Kunden sich wieder in ihrer Motivwahl mehr im Netz orientiert haben und dadurch feste Vorstellungen haben.

Auch die Haut der Kinder ist manchmal schon bunt bemalt: aber nur mit Kugelschreiber. „Bei denen ist das Interesse für Tattoos schon da. Die freuen und begeistern sich und staunen über die Kunst, die der Papa macht.“ Einen Tattoowunsch würde Symanski durchaus unterstützen. „Ich würde mit denen zusammen ein Motiv ausarbeiten.“ Doch würde er sie warten lassen, bis sie 18 Jahre alt sind. „Das hätte ich mir bei meinem ersten Tattoo im Nachhinein auch gewünscht.“ Selbst wenn heute Kunden zwischen 16 und 18 Jahren bei ihm mit Einverständnis der Eltern kommen, gibt er ihnen aus persönlichen Gründen die Chance, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. „Alle Tattooideen, die ich hatte, bis ich 20 war, hätte ich heute noch einmal deutlich länger überdacht.“

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Seinen eigenen Skorpion im Nacken würde Symanski behalten, auch wenn er das Motiv heute nicht mehr so ausgewählt hätte. Aber dafür bekommt das Bild bald Gesellschaft: Auf seinem Rücken plant er ein großes Kunstwerk. Wenn es erst einmal gestochen ist, wird das Motiv für immer mit seiner Haut verschmelzen – und damit von größerer Dauer sein als die Corona-Krise.

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