Zwei Jahre #MeToo: „Die Welt hat sich verändert“
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In New York steht Harvey Weinstein vor Gericht: Frauen demonstrieren gegen den ehemaligen Hollywoodproduzenten.
© Quelle: Getty Images
Mehr als zwei Jahre ist es jetzt her, dass Harvey Weinstein öffentlich sexuelle Verbrechen vorgeworfen wurden. Der tief gefallene Hollywoodmogul steht in New York vor Gericht, hat seine Firma verloren und gilt als Persona non grata. Und doch will sich bei der infolge der Weinstein-Enthüllungen entstandenen #MeToo-Bewegung keine Erleichterung oder gar Genugtuung einstellen.
Das liegt zunächst einmal daran, dass ein juristischer Erfolg keineswegs sicher ist – im Fall des ebenfalls schwer beschuldigten Schauspielers Kevin Spacey sind inzwischen Klagen fallen gelassen worden. Weinstein soll sich in mehr als 30 Fällen mit außergerichtlichen Vergleichen freigekauft haben. Die Kosten von 25 Millionen US-Dollar übernehmen demnach seine Versicherungen.
Weinstein inszeniert sich als kranker alter Mann
Ebenso hat das dreiste Verhalten des Angeklagten seine mehr als 80 Opfer schockiert. Weinstein inszeniert sich als kranker alter Mann – und zugleich als Pionier der Frauenfilmförderung. Er hat die Welt wissen lassen, dass er mehr Filme als jeder andere ermöglicht habe, bei denen Frauen eine Hauptrolle gespielt oder Regie geführt hätten. Und das zu einem Zeitpunkt, als dies noch nicht Mode gewesen sei, sagte er der „New York Post“.
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Hat für nicht schuldig plädiert: Harvey Weinstein.
© Quelle: Getty Images
Auch im letzten Punkt irrt Weinstein gewaltig: Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Die aktuelle Bilanz der Oscar-Nominierungen spricht Bände.
Frauen kommen in der Regiesparte gar nicht vor. Fünf Männer (Sam Mendes, Martin Scorsese, Quentin Tarantino, Bong Joon-ho, Todd Phillips) machen die Sache unter sich aus – und erzählen vorzugsweise von Soldaten, Mafiosi, abgehalfterten Schauspielern oder Psychopathen. Aber kaum von Frauen. Kathryn Bigelow ist bislang die einzige trophäengeschmückte Regisseurin in 91 Jahren Oscar-Geschichte. Sie gewann vor zehn Jahren mit dem Irak-Kriegsdrama „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“.
Daran wird sich folglich auch am 9. Februar bei der 92. Oscar-Vergabe nichts ändern. Dabei hätten sich durchaus preiswürdige Frauen auf die Liste setzen lassen, allen voran Greta Gerwig mit ihrem Film „Little Women“. Die New Yorkerin ist zumindest im Rennen in der Königskategorie um den besten Film gemeldet – als einzige Frau.
Bislang ist die Vorherrschaft der weißen alten Männer nicht gebrochen
Die Academy arbeitet seit einigen Jahren daran, Vielfalt in ihre inzwischen rund 9000 Mitglieder zu bringen. Mehr Frauen und mehr Nichtweiße werden eingeladen, Mitglieder zu werden. Aber das scheint bislang noch nicht zu reichen, um die Vorherrschaft der weißen alten Männer zu brechen, die vorzugsweise alte weiße Männer auszeichnen. In den sozialen Netzwerken kursiert der Hashtag OscarsSoMale.
Was also hat der so furios gestartete Aufstand der Frauen in den vergangenen zwei Jahren bewirkt? Nach Ansicht der US-Schauspielerin Julianne Moore kündigt sich „so etwas wie eine dritte feministische Welle“ zumindest an. Doch noch immer seien grundlegende Dinge nicht gewährleistet: „Zunächst mal geht es um Sicherheit und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. Frauen sollen sich sicher fühlen und genauso viel Geld bekommen“, sagt Moore im Gespräch. Immerhin: „Die Leute sind aufgewacht und achten mehr darauf, wie sie einander behandeln. Ich fühle mich ermutigt“, erklärt die Darstellerin.
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Nach Ansicht der US-Schauspielerin Julianne Moore kündigt sich „so etwas wie eine dritte feministische Welle“ an.
© Quelle: dpa
In Hollywood wird daran gearbeitet, die Arbeitsbedingungen für Frauen strukturell zu verbessern. Der „Inclusion Rider“ findet seit dem flammenden Appell von Frances McDormand in ihrer Oscar-Rede 2018 bei neuen Filmen Beachtung. Hinter dem Begriff versteckt sich eine Vertragsklausel, wonach die Besetzung vor und hinter der Kamera möglichst ausgewogen sein soll. Ebenso gibt es Richtlinien fürs Verhalten am Set, Anlaufstellen und Fonds für Opfer sexueller Belästigungen – und sogar einen „Intimacy Coordinator“. Seine Aufgabe: In Sexszenen soll er darauf achten, dass sich die Beteiligten wohlfühlen und niemand zu Schaden kommt.
Kino ist ein Geschäft, das mit viel Zeitverzögerung arbeitet. Ein großer Apparat muss auch dann bewegt werden, wenn es sich um ausgesprochen persönliche Geschichten handelt. Doch inzwischen wird auch auf der Leinwand thematisiert, wie Frauen unter mächtigen Bossen gelitten haben.
Just in der kommenden Woche läuft das mit gleich drei Hollywoodstars – Nicole Kidman, Charlize Theron, Margot Robbie – besetzte Drama „Bombshell“ an. Es erzählt von einem Sieg mutiger Frauen aus der Medienwelt: Sie sorgten 2016 dafür, dass der seit Jahrzehnten sexuell übergriffige Fox-News-Chef Roger Ailes vom Senderthron steigen musste – nicht ohne ein Schmerzensgeld von 40 Millionen Dollar einzustreichen. Ailes war vielleicht der erste große #MeToo-Fall, bevor es #MeToo gab.
Mittlerweile erzählen viele Frauen ihre Geschichte
Längst melden sich Frauen über Hollywood hinaus zu Wort und erzählen ihre Geschichte – endlich auch in Frankreich, wo das patriarchalische Geschlechterverhältnis lange Zeit zementiert zu sein schien. Die Belästigung durch Männer galt vielfach als Kavaliersdelikt. Die Öffentlichkeit übte sich noch mehr im Wegsehen als anderswo.
Jüngst jedoch hat die Schauspielerin Adèle Haenel („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) einen landesweiten Aufruhr ausgelöst: Sie warf dem Regisseur Christophe Ruggia vor, sie als Kind sexuell belästigt zu haben. Die Justiz hat ein Ermittlungsverfahren gegen Ruggia eröffnet.
Haenel wurde gefragt, warum sie erst jetzt von ihrem Leid erzähle. Die 31-Jährige antwortete, sie habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass sie nicht mitschuldig gewesen sei. Und dann sagte sie: „Die Welt hat sich verändert.“