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Fernfahrer-Protest in Südhessen

“Wir werden diesen Kampf beenden”: Einigung in wochenlangem Fahrerstreik

Edwin Atema (im schwarzen T-Shirt), Verhandlungsführer der niederländischen Gewerkschaft FNV, teilt den Streikenden auf der Raststätte Gräfenhausen-West das Ergebnis der Verhandlung mit.

Edwin Atema (im schwarzen T-Shirt), Verhandlungsführer der niederländischen Gewerkschaft FNV, teilt den Streikenden auf der Raststätte Gräfenhausen-West das Ergebnis der Verhandlung mit.

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Gräfenhausen. „Das ist das große Finale!“ macht Edwin Atema, der Unterhändler, der seit mehr als fünf Wochen in Gräfenhausen streikenden Fernfahrer, den Männern aus Georgien und Usbekistan Mut. Und er hat gute Nachrichten für die Fahrer, die seit Wochen auf der Autobahnraststätte für ausstehende Löhne streiken. Nun habe der polnische Speditionsunternehmer, für den sie fahren, die Bedingungen grundsätzlich akzeptiert. Letzte Einzelheiten sollen in den kommenden Stunden ausgearbeitet werden. Die Erleichterung ist groß: Einige Fahrer recken die Fäuste, aus einem Lautsprecher ertönt lebhafte Musik. So gelöst wie jetzt waren die Männer lange nicht.

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„Ich vermisse meine Familie so sehr”

Der Georgier Gela Pipia hat wie seine Kollegen seit Wochen auf sein Geld gewartet. Jetzt sitzt er an einem Tisch aus Holzpaletten mit einem Pappbecher voll Kaffee im Laderaum eines Lastwagens. „Unser Haus, unsere Küche, unser Schlafzimmer, das alles ist in diesen Anhängern.“

Die georgischen Lastwagenfahrer Gela Pipia (links) und Teimuraz Gvinianidze sitzen ihrem Sattelzug und trinken Kaffee. Pipia findet den Protest gut, es gehe nicht nur um die 60 aktuell betroffenen Fahrer, sondern um alle.

Die georgischen Lastwagenfahrer Gela Pipia (links) und Teimuraz Gvinianidze sitzen ihrem Sattelzug und trinken Kaffee. Pipia findet den Protest gut, es gehe nicht nur um die 60 aktuell betroffenen Fahrer, sondern um alle.

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In seiner Heimatstadt Tiflis, der georgischen Hauptstadt, warten seine Frau und seine beiden Söhne auf ihn. „Ich vermisse meine Familie so sehr. Sie findet den Protest gut, weil es dabei nicht nur um uns geht, sondern um alle Fahrer“, erklärt Pipia. Er wolle damit auch ein Zeichen setzen. „Aber es ist nicht einfach.“

Wenn er zurückkommt, will er einen Monat nicht arbeiten und mit seiner Familie ans Meer fahren. Doch dann muss er sich eine neue Arbeit suchen - und zum Arzt. “Seitdem ich hier bin, habe ich Herzprobleme.” Pipia klagt über Herzrasen und hohen Blutdruck. “Wahrscheinlich ist es der Stress, hier zu leben ist nicht schön.”

Die Ärzte, die ihn auf der Raststätte versorgten, gaben ihm zwar Medikamente, doch geholfen haben diese nicht. „Ich möchte mich bei allen Menschen bedanken, die jeden Tag zu uns gekommen sind, die uns Essen gebracht haben, Geld und uns geholfen haben. Ich finde dafür keine Worte“, sagt Pipia. „Wir werden diesen Kampf beenden“, sagt Pipia und lacht. „Und dann werden wir fliegen wie Vögel.“

Mit dem Protest in Gräfenhausen bekamen die von prekären Arbeits- und Vertragsbedingungen betroffenen Fahrer plötzlich ein Gesicht. Denn ein Einzelfall sind sie nicht. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, betont Anna Weirich vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität, das die Fahrer wochenlang unterstützt hat, zusammen mit Gewerkschaftern.

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Überhaupt, die Unterstützung: Der Streik der Fahrer löste eine Welle der Solidarität aus. Nicht nur Politiker und Gewerkschafter kamen, sondern auch Menschen aus der Umgebung, Fremde, die Nudelpackungen, Getränkekästen oder selbstgebackenen Kuchen vorbeibrachten. Andere Lastwagenfahrer, die vorbei an den streikenden Fahrern auf die Autobahn fuhren, reckten den Daumen, erhoben grüßend die Faust.

„Endlich schaut Deutschland hin“, sagte der rheinland-pfälzische Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD), einer der vielen Politiker, die die Fahrer in den vergangenen Wochen besucht hatten. Und nicht nur in Deutschland war der Kampf der gut 60 Männer um ihren ausstehenden Lohn plötzlich Thema. Im Europaparlament in Straßburg gab es eine Debatte. Einhelliger Tenor: Es müsse mehr Kontrollen geben, um die Einhaltung der geltenden Vorschriften zu überwachen und durchzusetzen.

Von Ausbeutung bedroht

„Es ist völlig inakzeptabel, dass heute in Europa, in der Europäischen Union, Arbeiter nicht ihr Gehalt erhalten“, sagte etwa Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte. Gerade Arbeiter aus Drittländern seien von Ausbeutung bedroht, da sie die geltenden Regeln oft nicht kennen. „Es gibt Speditionen in der EU, die die Ausbeutung ihrer Fahrer zum Geschäftsmodell gemacht haben”, sagte die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke in Straßburg. „Was da passiert ist, ist nicht irgendeine Form von Marktwirtschaft, das ist einfach nur kriminell.“

Der polnische Speditionsunternehmer, in dessen Auftrag die Fahrer seit Monaten in Europa unterwegs waren, sieht das naturgemäß anders. „Angesichts der schwierigen Marktsituation für Transportdienstleistungen im Januar und Februar dieses Jahres haben wir in Absprache mit den Fahrern und mit deren ausdrücklicher Zustimmung Sparmaßnahmen durchgeführt, um Unternehmen und Arbeitsplätze zu sichern“, schilderte der Anwalt des Unternehmens.

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Dies sei unter anderem aufgrund des sinkenden Auftragsvolumens und der hohen Benzinpreise nötig. „Wir gingen davon aus, dass unsere Fahrer die Maßnahmen kannten und mit diesem Programm einverstanden waren, um die Unternehmen auf dem Markt für Transportdienstleistungen zu halten“, hieß es in der Stellungnahme des Unternehmens. „Zu unserer Überraschung war dies jedoch nicht der Fall.“

Der Unternehmer hatte auch Anzeige erstattet. Doch inzwischen ist er selbst Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen, seit er am Karfreitag mit einer polnischen Sicherheitsfirma auftauchte, um die Kontrolle über die Lastwagen wieder zu übernehmen. Die Polizei, die insgesamt 19 Menschen vorübergehend festnahm, sprach angesichts der schwarz gekleideten und teils maskierten Sicherheitsmänner von einer ziemlich paramilitärischen Gruppe.

RND/dpa

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