Waffenstillstand in Äthiopien: Hält der Frieden diesmal?
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Redwan Hussein (links), Verhandlungsleiter der äthiopischen Regierung, tauscht mit Getachew Reda (rechts), Verhandlungsleiter der Tigray, Dokumente aus, während Alhaji Sarjoh Bah, Direktor für Konfliktmanagement der Afrikanischen Union, nach der Unterzeichnung der Friedensgespräche zusieht. Nach fast zwei Jahren Krieg haben die äthiopische Regierung und die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) einen sofortigen Waffenstillstand vereinbart.
© Quelle: Themba Hadebe/AP/dpa
Äthiopiens Bürgerkriegsgegner haben den Frieden besiegelt. Das Abkommen, das am Mittwochabend in der südafrikanischen Verwaltungshauptstadt Pretoria unterzeichnet wurde, sieht die „Beendigung aller Feindseligkeiten“ im Norden des Landes vor. Daneben soll „systematisch, geordnet und koordiniert“ abgerüstet werden, hieß es vom Vermittler der Afrikanischen Union (AU) und Ex-Präsidenten Nigerias, Olusegun Obasanjo. Er verkündete „einen Neuanfang für Äthiopien“. Doch manche Beobachterinnen und Beobachter sind skeptisch: Erst im August wurde eine vereinbarte Waffenruhe gebrochen.
Endlich Frieden? Tatsächlich deuten die Erklärungen Obasanjos sowie der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor in Pretoria darauf hin, dass in die Unruheprovinz Tigray erstmals seit zwei Jahren Normalität zurückkehren könnte. Für Millionen Hungernde, Vertriebene, Witwen und humanitäre Helferinnen und Helfer kommt das Abkommen zwischen Äthiopiens Regierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) als Hoffnungsschimmer. Zuletzt hatte sich die Situation im vielerorts zerstörten Norden des Landes immer weiter zugespitzt.
Äthiopien seit zwei Jahren im Ausnahmezustand
Mehr als 90 Prozent der Tigrayerinnen und Tygrayer sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Hilfsorganisationen beschuldigen die Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed, Hunger gezielt als „Kriegswaffe“ einzusetzen. Blockiert waren nicht nur die Versorgungswege in den Norden, sondern auch Bank-, Internet- und Telefonverbindungen. „Nirgendwo auf der Welt erleben wir eine solche Hölle wie in Tigray“, sagte zu Jahresbeginn der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Ghebreyesus. Der Topdiplomat, der aus der Region stammt, beklagte angesichts der Blockade, nicht einmal zu wissen, welche seiner Verwandten noch am Leben seien. In Krankenhäusern fehlen unterdessen Antibiotika und andere lebensrettende Arzneien. Laut Ärztinnen und Ärzten am Ayder Hospital, der größten Klinik der Region, würden Patientinnen und Patienten „nach Hause geschickt, um zu sterben“.
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Seit zwei Jahren schon befindet sich Äthiopien im Ausnahmezustand. Im November 2020 war der frisch gekürte Friedensnobelpreisträger und Premier Abiy Ahmed gegen die Rebellen im Norden in den Krieg gezogen. Die TPLF, die selbst jahrelang Äthiopiens Politik beherrschte, hatte sich geweigert, Abiy Ahmed als legitimen Regierungschef anzuerkennen. Millionen Menschen mussten vor den Kämpfen fliehen, etwa 500.000 kamen ums Leben. Die International Crisis Group (ICG) sieht den Bürgerkrieg in Nordäthiopien als „einen der tödlichsten Konflikte“ der Welt. Zuletzt gelang es Äthiopiens Armee, in einer Offensive etliche Städte zu erobern. Noch wenige Stunden vor Bekanntwerden des Friedensabkommens warnte die ICG: „Ohne eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten könnten die Militäroffensiven in den kommenden Wochen zu Massengräueln gegen Tigrays Zivilbevölkerung führen.“
Einhaltung des Friedensabkommens wird überwacht
Ein Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte das Abkommen als „ersten Schritt, der den Millionen leidenden Zivilisten in Äthiopien hoffentlich ein wenig Trost bringt“. Neben einer Waffenruhe sieht der Friedensdeal auch eine Aufhebung der Blockade sowie einen humanitären Korridor vor. Allerdings sei das Abkommen von Pretoria „erst der Anfang“ des Friedensprozesses, erinnerte Vermittler Obasanjo. Die letzte Waffenruhe war erst im August gebrochen worden – dafür schoben beide Konfliktgegner nach fünfmonatiger Pause einander die Schuld zu.
Die Konfliktursache bleibt trotz Friedensabkommen ungelöst: Es geht um Macht und Souveränität in einem Land, in dem sich laut Expertinnen und Experten zunehmend „ethnischer Nationalismus“ ausbreite. Äthiopien ist Afrikas zweitbevölkerungsreichste Nation. Die Gräben zwischen den mehr als 90 verschiedenen Volksgruppen sind tief. Verkompliziert wird das Kräftemessen durch die Tatsache, dass sich rund um viele der ethnischen Gruppen Politparteien mit eigenen Armeen formierten. Einige davon betrachtet die Zentralregierung in Addis Abeba als „Terrororganisation“, so auch die Tigray-Verwaltung.
Laut Obasanjo werde die Einhaltung des Friedensabkommens von einem Gremium der Afrikanischen Union überwacht. Wie andere Beobachter wertet er die Einigung als Sieg für Afrika und den kontinentalen Entwicklungsfahrplan: „In der Unterzeichnung der heutigen Friedensvereinbarung erkennen wir auch die Umsetzung der Agenda 2063, die die Waffen in Afrika zum Schweigen bringen will“, so der Politveteran. Zuvor hatte der AU-Kommissionsvorsitzende Moussa Faki Mahamat der südafrikanischen Regierung für die Austragung des Friedensgipfels „im Sinne einer panafrikanischen Solidarität“ gedankt. Es gelte, „afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme zu finden“.