Nach Warnung des Expertenrates: Grüne drohen mit Blockade der Klimagesetzreform
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Schornsteine in einem Industriegebiet in Beeskow, Brandenburg.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Berlin. Wochenlang hatten die Ampelparteien gestritten, tagelang im Koalitionsausschuss gerungen. Doch mit den Plänen zur Aufweichung des Klimaschutzgesetzes, auf die sich SPD, FDP und Grüne jüngst geeinigt hatten, riskiert die Bundesregierung nun, die deutschen CO₂-Reduktionsziele zu verfehlen – und sogar den Verfassungsbruch. Zu diesem Urteil kommt der unabhängige Expertenrat für Klimafragen, wie er an diesem Montag in Berlin erklärte.
Zwar könnten einige der Ampelpläne das Klimaschutzgesetz auch verbessern, etwa die geplante Verpflichtung zur Aktualisierung der Klimaziele durch jede neue Bundesregierung, sagte der Vorsitzende der Sachverständigenrunde, Hans-Martin Henning. Insofern müsse man für eine abschließende Bewertung den konkreten Gesetzesvorschlag abwarten. Zumindest aber bergen Beschlüsse des Koalitionsausschusses „eine erhöhte Gefahr für eine Verfehlung der Ziele zur Minderung der Emissionen“, wie Henning höflich formulierte.
Treibhausgase in Deutschland 2022 etwas gesunken
Die Treibhausgasemissionen sind im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken.
© Quelle: dpa
Angesichts dieser Warnung droht die Grünen-Bundestagsfraktion damit, der Reform im Zweifel nicht zuzustimmen: „Der Expertenrat verweist zu Recht darauf, dass bei der im Koalitionsausschuss vereinbarten Änderung des Klimaschutzgesetzes strikte Vorgaben einzuhalten sind“, sagte ihr verkehrspolitischer Sprecher, Stefan Gelbhaar, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Deutschland darf nicht sehenden Auges die Pariser Klimavorgaben verletzen“
Deutschland dürfe nicht „sehenden Auges die gesetzlich verbindlichen Pariser Klimavorgaben verletzen oder sogar das Grundgesetz brechen“, warnte er. „Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass zu vage Sektorziele oder unklare CO₂-Reduktionsvorgaben verfassungswidrig sind. Eine Reform des Klimaschutzgesetzes, die gleich wieder in Karlsruhe kassiert wird, verdient keine Zustimmung.“
Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen prüft jährlich, ob die Reduktionsziele des Bundes erreicht wurden. Er wurde im Rahmen des Bundes-Klimaschutzgesetzes berufen und legt seine Berichte der Regierung und dem Bundestag vor. Die Prüfungen auf Basis von Daten des Umweltbundesamtes umfassen sieben Sektoren, darunter Energiewirtschaft, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Industrie.
Das Gremium hatte am Montag erklärt, bei der anvisierten Novelle sei unklar, ob ein Einsparziel jeweils punktgenau für ein bestimmtes Jahr gelten solle oder zusammengerechnet für den gesamten Zeitraum bis dorthin, wie der Vorsitzende Henning sagte: „An der Stelle plädieren wir nachdrücklich dafür, diesen Budgetgedanken auch zukünftig zu erhalten.“ Eine Änderung verstieße aus Expertensicht wohl auch gegen das wegweisende Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021.
CO₂-Ausstoß um 1,9 Prozent gesunken
Die Jahresbilanz für 2022, die das Gremium vorstellte, zeigte erneut: Schon jetzt reduziert die Bundesrepublik ihren CO₂-Ausstoß nicht ausreichend. Nur durch den Wirtschaftsstillstand während der Pandemie seien zuvor die Reduktionsziele eingehalten worden, betonte Hennig. Ohne diesen Effekt sei Deutschland nicht auf dem Pfad, seinen CO₂-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Mit einem „Weiter so“ würde man bei 55 Prozent davon landen, schätzte er.
Insgesamt ist der CO₂-Ausstoß im vorigen Jahr laut den Experten um 1,9 Prozent gesunken: 746 Millionen Tonnen Treibhausgase wurden freigesetzt, gut 15 Millionen weniger als 2021. Allerdings war wegen des Ukraine-Krieges das Wirtschaftswachstum geringer ausgefallen als erwartet. Klar verfehlt wurden die Ziele erneut in den Sektoren Gebäude und Verkehr. Im Bausektor wurden vier Millionen Tonnen Emissionen zu viel ausgestoßen, im Verkehr sogar 9,7 Millionen Tonnen. Alle weiteren Bereiche konnten ihre Ziele einhalten, obwohl die Emissionen im Energiesektor wegen zusätzlicher Kohleverstromung deutlich anstiegen.
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Wissing will erneut kein Sofortprogramm vorlegen
Laut dem aktuell gültigen Klimaschutzgesetz müssen nun Verkehrs- und Bauministerium zusätzliche Sofortmaßnahmen beschließen. Das von Volker Wissing (FDP) geleitete Verkehrsministerium verweigerte das allerdings bereits im Vorjahr. Stattdessen hatte die FDP die Aufweichung des Gesetzes durchgesetzt: Nachsteuern soll die Bundesregierung künftig erst, wenn die CO₂-Ziele in zwei aufeinanderfolgenden Jahren verfehlt werden – und zwar in allen Sektoren zusammen. Expertenratschef Henning nannte das eine „Schwächung der Ressortverantwortung“.
Passend dazu erklärten Bundesregierung und Verkehrsministerium am Montag, Wissing werde erneut kein Sofortprogramm vorlegen, da das Gesetz ohnehin „zeitnah“ geändert werde. Die Koalition werde dann ein sektorenübergreifendes Klimaprogramm erstellen.