Anwalt Mustafa Kaplan: Jan Böhmermann würde er lieber nicht vertreten
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„Anwalt der Bösen“?: So zumindest heißt das Buch von Mustafa Kaplan.
© Quelle: Kai Pfaffenbach/Reuters/Pool/dpa
Hannover. Herr Kaplan, wer war Claus Bastian?
Claus Bastian war Rechtsanwalt in München – und 1933 der erste Häftling im Konzentrationslager Dachau.
Sie erwähnen Bastian in Ihrem Buch, das Sie gerade über Ihre Biografie und Ihr Verständnis von Ihrem Beruf geschrieben haben – warum?
Weil es etwas an ihm gibt, das mich sehr beeindruckt hat. Claus Bastian ist im KZ schwer erkrankt, dann entlassen worden und hat danach in der Regel Opfer der Nationalsozialisten vertreten – aber einmal eben auch Karl Wicklmayr, einen SS-Mann, der in Dachau einen Kommunisten erschossen hat. Und wenn Bastian gefragt wurde, warum er das gemacht hat, antwortete er: „Weil ich Rechtsanwalt bin. Und weil der Wicklmayr weiß, dass seine Verteidigung durch mich, Claus Bastian, den größten Sieg des Rechtsstaats darstellt.“
Erklärt das, warum ein Anwalt mit türkischen Wurzeln ausgerechnet den Neonazi verteidigt, der den ersten Mord an einem deutschen Politiker aus rechtsextremen Motiven seit Ende der Nazi-Zeit begeht?
Claus Bastian hat eine ganz andere Vita als ich. Ich will mich nicht mit ihm vergleichen. Aber trotz seiner Geschichte einen SS-Mann zu verteidigen, das zeugt von einer unglaublichen Größe. Ich habe Stephan Ernst …
… der 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke getötet hat …
… natürlich nicht verteidigt, weil, sondern, obwohl er Neonazi ist. Und weil ich glaube, dass jedem, ungeachtet seiner politischen Einstellung, ein rechtlicher Beistand zusteht. Wobei es mich besonders motiviert, wenn der Widerspruch nach außen hin besonders groß ist: Das zeigt doch, in was für einem fantastischen Rechtsstaat wir leben.
Das Mandat für Stephan Ernst kam über einen Anruf zu Ihnen.
Das war am 4. Februar 2020, ich ging gerade zu meinem Auto. Rechtsanwalt Hannig war dran …
… Frank Hannig, damals erster Anwalt von Stephan Ernst …
… und sagte, dass Herr Ernst mich als zweiten Verteidiger verpflichten wolle.
Was haben Sie in dem Moment gedacht?
Ich habe gedacht, das müsse ein Missverständnis sein, der wollte bestimmt jemand anderen sprechen. Aber Herr Hannig hat mir versichert, dass Herr Ernst unbedingt mit mir sprechen wolle.
Rechtsextremisten suchen sich ja normalerweise eher Szeneanwälte.
Eben. Genau wie Linksextremisten oder Islamisten übrigens, aber dies nur am Rande. Ich habe dann gefragt, ob Herrn Ernst denn bekannt ist, dass ich eine türkische Vita habe. Was er bejahte. Und ob er wisse, dass wir politisch sehr konträre Ansichten haben.
Sie sind Mitglied der Grünen und hatten zuvor auch ein Opfer des NSU vertreten. Denkt man in so einem Moment nicht: Der soll sich bitte jemand anderen suchen?
Nein, das war gar nicht mein Impuls.
… zumal sich Stephan Ernst da ja schon durch sehr gegensätzliche Aussagen nicht gerade glaubwürdiger gemacht hatte. Erst wollte er die Tat allein ausgeführt haben, dann hat er alles dem Mitangeklagten Markus H. untergeschoben.
Da ging es in der Tat sehr drunter und drüber, das kenne ich so nicht. In so einem Verfahren muss Ruhe im Karton sein. Dass so viel gesprochen wird, nützt für gewöhnlich weder dem Ermittlungsverfahren noch dem Mandanten. Das alles hat mich stutzig gemacht, aber ehrlich gesagt auch ein Stück weit mein Interesse geweckt. Aber ich habe mir gesagt, wenn die Kommunikation mit dem Mandanten klappt und die Chemie stimmt, warum sollte das nicht gehen.
Und die Chemie stimmte?
Ich bin natürlich mit dem Bewusstsein zu ihm in die JVA nach Kassel gefahren, was er auch vor dem Attentat auf Herrn Lübcke schon alles getan hat. Und dann diese Tat, das schwerste Verbrechen im deutschen Strafrecht. Ich war, als ich zu ihm fuhr, auf alles vorbereitet. Da will man natürlich auch wissen: Was für ein Mensch ist das eigentlich? Aber ich habe dann einen recht offenen Mandanten vor mir sitzen gehabt, mit dem ich vom ersten Augenblick an auch gut gearbeitet habe.
In Ihrem Buch gewinnt man den Eindruck, dass er Ihnen mit der Zeit sogar durchaus ans Herz gewachsen ist und Ihnen sympathisch ist.
Die Frage nach Sympathie oder Antipathie ist völlig irrelevant. Das ist überhaupt kein Kriterium. Und Herr Ernst war mir nie sympathisch und ist mir auch nicht sympathisch.
Er hat sich Ihnen gegenüber dann aber zumindest sehr geöffnet.
Seine schwierige Kindheit, das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, der sowohl ihn als auch die Mutter schwer misshandelt hat, alles das musste man ihm regelrecht aus der Nase ziehen. Es ging mir nicht darum, aus dem Täter Ernst ein Opfer zu machen. Aber wenn jemand seit seiner Jugend kriminell ist und die schlimmsten Verbrechen begeht, dann muss es dafür einen Grund geben. Woher kommt der Hass, woher die Wut? Deshalb habe ich gesagt, darüber müssen wir reden, das muss sein.
Kann es sein, dass Sie sich ihm nicht trotz, sondern wegen Ihrer eigenen Geschichte nähern konnten?
Ich habe bis zu meinem achten Lebensjahr bei meinen Großeltern in der Türkei gelebt, habe mich da pudelwohl gefühlt und wollte gar nicht nach Deutschland. Meine Eltern haben mich dann mehr oder weniger gegen meinen Willen hierher gebracht. Damit habe ich lange gehadert. Meine Eltern waren für mich im Grunde wie Fremde. Daher konnte ich mich auch ein bisschen in die Lage von Stephan Ernst hineinversetzen. Es hat bei mir sehr lange gedauert, bis mein Vater und ich ein Vater-Sohn-Verhältnis zueinander entwickeln konnten.
Ihr Vater war Fabrikarbeiter, Ihre Mutter Putzfrau. Welchen Einfluss hatte Ihre Herkunft auf die Entscheidung, Anwalt zu werden?
Ich bin in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, das hat mich sicher sehr geprägt. Ich würde mich zum Beispiel im Umgang mit mir selbst als eher geizig bezeichnen. Ich sehe nicht ein, warum ich Anzüge für 1000 Euro kaufen soll.
Wie der eine oder andere Ihrer Berufskollegen.
Und ich brauche auch keine Rolex und keinen Porsche. Aber ich liebe meine Arbeit als Strafverteidiger sehr. Mir gefällt das wahnsinnig gut, mich zu Beginn eines Verfahrens mit verbundenen Augen in ein Labyrinth zu begeben und dann zu versuchen, den Ausweg zu finden.
Hatten Sie eigentlich nie den Verdacht, dass Stephan Ernst Sie verpflichtet, den türkischstämmigen, politisch linken Anwalt, um seine Läuterung zu demonstrieren? Dass er Sie und Ihre Geschichte also nur benutzt?
Diesen Gedanken hatte ich ganz am Anfang, als ich den Anruf bekommen hatte. Aber wenn ich im Gespräch dann auch nur ansatzweise diesen Verdacht gehabt hätte, dass meine Vita missbraucht werden soll, dann wäre ich aufgestanden und gegangen. Aber so war es nicht. Und so viel Menschenkenntnis traue ich mir nach 25 Jahren als Strafverteidiger auch zu.
Gibt es für Sie eine Grenze, wen Sie verteidigen und wen nicht?
Da müsste ich lange überlegen, aber selbst dann würde mir wohl nichts einfallen. In manchen Fällen merkt man, dass der Mandant selbst ganz konkrete Vorstellungen hat, wie man arbeiten soll. Das kann dann bei mir nicht funktionieren. Aber die politische Gesinnung ist für mich kein Gradmesser, ob ich ein Mandat übernehme oder nicht.
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Mustafa Kaplan (links) hielt es erst für ein Missverständnis, als die Anfrage kam, ob er Stephan Ernst verteidigen würde.
© Quelle: Thomas Lohnes/Getty Images Europ
Sie haben im Rechtsstreit mit Jan Böhmermann, als es um sein umstrittenes Gedicht ging, den türkischen Präsidenten vertreten – auch eine eher überraschende Konstellation. Ist der Eindruck dennoch richtig, dass es Ihnen so herum ganz recht war?
Warum?
Es wirkt, als hätten Sie keine hohe Meinung von Jan Böhmermann.
Ich sage es mal so: Ich hatte mit Präsident Erdogan keinen persönlichen Kontakt, sondern nur mit seinem Büro. Da habe ich gute, hilfreiche Unterstützung bekommen. Und es ist ja am Ende auch gut ausgegangen.
Erdogan hat sich in dem Prozess durchgesetzt.
Bei Herrn Böhmermann, den ich nicht persönlich kenne, kann ich mir vorstellen, dass er ein sehr schwieriger Mandant ist, der sich gerne in die Arbeit des Anwalts einmischt. Ich mag seinen Humor nicht, und er scheint mir alles ein wenig zu skandalisieren, um so den größtmöglichen Knalleffekt hervorzurufen. Deshalb ist es am Ende vielleicht ganz gut, dass ich Herrn Erdogan vertreten habe.
Er wünscht sich, dass der Mitangeklagte verurteilt wird
Hilft es eigentlich, als Anwalt eine Rampensau zu sein? Sie haben sich selbst mal so bezeichnet.
Zumindest ist es kein Nachteil, das zu beherrschen. Es gibt in einer Hauptverhandlung Situationen, in denen man sich mit Gericht, Staatsanwaltschaft oder auch Zeugen anlegen muss. Und eine meiner Fähigkeiten ist es, dann mal kontrolliert die Rampensau zu geben.
NSU, Erdogan versus Böhmermann, der Lübcke-Mord: Sie kümmern sich bevorzugt um sehr prominente Fälle. Wie wichtig ist das für Sie?
Jedenfalls sind mir viele andere Punkte wichtiger. Was kann ich erreichen? Was ist das für ein Mandant? Ist das rechtlich reizvoll? Erst wenn diese Punkte abgehakt sind, schaue ich auf die Publicity. Aber dann sage ich nicht: Da ist mir zu viel Aufmerksamkeit, das lehne ich ab.
Im Lübcke-Prozess in Frankfurt konnte man glauben, Sie genössen die Aufmerksamkeit.
Ganz im Ernst: Ich blende das komplett aus. Im Saal sehe ich die Öffentlichkeit überhaupt nicht.
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Gibt es Revision im Fall Lübcke? Der Bundesgerichtshof gibt seine Entscheidung Ende August bekannt.
© Quelle: Uli Deck/dpa Pool/dpa
Am 25. August verkündet der Bundesgerichtshof seine Entscheidung über die Revision im Fall Lübcke. Sehen Sie eine Tendenz für eine Entscheidung?
Ich kann Ihnen sagen, was wir uns wünschen: Dass der Mitangeklagte Markus H. verurteilt wird und der Freispruch meines Mandanten vom Vorwurf, einen irakischen Geflüchteten mit einem Messer attackiert zu haben, bestehen bleibt. Aber aus dem Verlauf der Revisionsverhandlung kann ich keine Tendenz erkennen, das wäre Kaffeesatzleserei.
Erst Jugendgang, dann Jurastudium
Grenzen? Kennt Mustafa Kaplan nicht. Jedenfalls keine, die es ihm von vornherein verbieten würden, ein Mandat zu übernehmen. So wurde er Nebenklagevertreter im NSU-Prozess. Später verteidigte er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, als der wegen eines Gedichts gegen den Satiriker Jan Böhmermann stritt, und schließlich den rechtsextremen Attentäter Stephan Ernst, der 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke wegen dessen geflüchtetenfreundlicher Haltung erschossen hat.
Kaplan wächst zunächst in der Türkei auf – und in Deutschland in dem, was man „einfache Verhältnisse“ nennt: Die Mutter war Putzfrau, der Vater Fabrikarbeiter. Als Kind in Deutschland wird Kaplan, so schildert er es in seinem Buch („Anwalt der Bösen“. Piper Verlag, 256 Seiten, 18 Euro), rassistisch beschimpft. Er tritt einer türkischen Jugendgang bei, von der er schreibt: „Wir waren Asoziale, und wir benahmen uns auch so.“ Später studiert er Jura, nebenbei arbeitet er etwa als Psychiatriepfleger und freier Journalist, wird Praktikant bei der Grünen-Bundestagsfraktion.
Ausführlich schildert er in seinem Buch die Gespräche mit Stephan Ernst im Gefängnis. Dessen Schilderungen folgte das Oberlandesgericht Frankfurt, anders als Kaplan, nur bedingt: Es verurteilte ihn zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Am 25. August entscheidet der Bundesgerichtshof über die Revision in dem Fall.