„Gesprächsbedarf zur Genüge“: Netanjahus schwieriger Besuch bei Bundeskanzler Scholz
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/V5JLBVVOTVDTVDMILQ32XCO5KI.jpeg)
Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, leitet die wöchentliche Kabinettssitzung.
© Quelle: Maya Alleruzzo/Pool AP/dpa
Berlin. Für den Gast gilt die Sicherheitsstufe eins in Berlin. Umfangreiche Straßensperrungen im Regierungsviertel bedeutet das. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ist in der Stadt, zum Antrittsbesuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz. Es ist ein schwieriger Besuch: Netanjahus rechtsreligiöse Regierung ist unter anderem wegen der Ausweitung des Siedlungsbaus und einer Justizreform in der Kritik, die die Kontrollrechte der Gerichte beschneiden soll.
Seit Wochen gibt es große Demonstrationen gegen die Reform. Selbst Staatspräsident Izchak Herzog hat sich mittlerweile eingemischt und vor einer Staatskrise gewarnt. Mehrere Hundert Intellektuelle riefen Deutschland und auch Großbritannien, wo Netanjahu demnächst erwartet wird, auf, den Premierminister wieder auszuladen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/NBPBSWOOAJAHNNDCX6JPAEDW7M.jpeg)
In den Abendstunden wird der Politiker in Berlin erwartet.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Die Bundesregierung ist dem nicht nachgekommen. Netanjahu sei „gewählter Premierminister Israels und dann auch ein normaler Gast in Deutschland“, so sagt es Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Und fügt hinzu: „Der Bundeskanzler freut sich auf diesen Besuch.“
Scholz werden deutliche Worte ans Herz gelegt
Der beginnt am Donnerstag mit einem gemeinsamen Gang zum Mahnmal „Gleis 17″ in Berlin-Grunewald. Von hier aus ließ das Nazi-Regime Tausende Juden in Arbeits- und Konzentrationslager deportieren, unter anderem nach Auschwitz. Im Anschluss ist ein „Arbeitsmittagessen“ geplant, zum Austausch über politische Positionen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der erst vor wenigen Tagen bei einem Israel-Besuch ungewöhnlich deutlich seine Bedenken gegen die Justizreform geäußert hatte, empfängt Netanjahu.
Für die Beratungen mit dem Premier werden auch Scholz deutliche Worte ans Herz gelegt. Der frühere Botschafter Israels, Schimon Stein, lehnte eine Ausladung ab, forderte aber von der Regierung eine klaren Positionierung. „Wenn Deutschland seine historische Verantwortung ernst nimmt, muss Deutschland für Israels Sicherheit in solchen Zeiten Taten folgen lassen“, sagte Stein dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wenn sich die liberale Ordnung zur Autokratie in Israel entwickelt, muss der Bundeskanzler eine Mahnung aussprechen. Er sollte keine Rote Karte zeigen, aber eine Gelbe. Macht Scholz das nicht, hat er seine Mission verfehlt.“ Unter Freunden müsse es möglich sein, Kritik zu üben.
Die Lage seines Landes beschreibt Stein in drastischen Worten: „Netanjahu hat eine Koalition zusammengestellt, die im helfen soll, eine Amtsenthebung wegen seines Korruptionsprozesses sowie eine Gefängnisstrafe zu umgehen. Das ist der einzige Grund für diese Justizreform. Und an dieser Koalition, die zum Teil missionarisch und faschistisch ist und ihn erpressen kann, hängt Netanjahus Schicksal.“ Die Demokratie in Israel sei ohnehin brüchig und könne jetzt unterwandert werden. „Sollten sich Netanjahu und sein Lager durchsetzen, wird Israel keine liberale Demokratie mehr sein.“ Der Diplomat setzt auf Druck von innen und von außen. Netanjahu könnte sich dann gezwungen sehen, Neuwahlen auszurufen.
Großes Vertrauen in die israelische Zivilgesellschaft
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte, die gesellschaftliche Spaltung in Israel werde „durch die von der aktuellen Regierung vorangetriebene Justizreform noch sichtbar verstärkt“. Er betonte: „Jüdinnen und Juden in aller Welt sind stolz darauf, dass der jüdische Staat die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Ein Abbau demokratischer Strukturen wäre auch für die jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels nicht akzeptabel.“
Jüdinnen und Juden in aller Welt sind stolz darauf, dass der jüdische Staat die einzige Demokratie im Nahen Osten ist.
Josef Schuster,
Präsident des Zentralrats der Juden
Scharfe Kritik kam auch vom Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) außenpolitisch beraten hatte. Netanjahus Regierung sei dabei, das Fundament eines jüdischen und demokratischen Staates zu zerstören, sagte Heusgen dem RND. Mit der massiven Ausweitung des jüdischen Siedlungsbaus sei zudem die von Deutschland unterstützte Zweistaatenlösung „praktisch tot“. In einer Einstaatenlösung sei die Diskriminierung der Palästinenser absehbar. „Damit würde sich Israel aber aus dem Kreis der demokratischen Staaten verabschieden“, sagte Heusgen. Die Justizreform sei dafür „ein weiteres trauriges Anzeichen“.
SPD, FDP und CDU betonten die Bedeutung Israels für den Konflikt mit dem Iran. Es gebe „Gesprächsbedarf zur Genüge“, befand der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), gegenüber dem RND. Dazu gehörten unter anderem Ukraine-Krieg, Irans Atomprogramm und Rüstungskooperationen. Differenzen, etwa beim Siedlungsbau oder zur Justizreform, müssten vom Kanzler thematisiert werden. Er habe da aber auch großes Vertrauen in die israelische Zivilgesellschaft. „Öffentliche Belehrungen aus Berlin brauchen die nun wirklich nicht.“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/7Q3562FC6FAQDGQXCADLY3WZHI.png)
Krisen-Radar
RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im neuen wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage. Jetzt kostenlos anmelden und in Kürze die erste Ausgabe erhalten.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Gemischte Reaktionen im Bundestag
Der Besuch Netanjahus sei ein gutes Signal, sagte CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt dem RND. „Die reale Bedrohung Israels und des Friedens in der gesamten Region durch den Iran spitzt sich zu“, sagte er. Scholz müsse klarstellen, dass das Existenzrecht Israels weiter deutsche Staatsräson sei und seine Iran-Politik eng mit Israel abstimmen, und dabei die „konstruktiven Teile“ der Regierung ansprechen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Saraj sagte dem RND, kein Land könne den Iran so gut einschätzen wie Israel. „Da sollten wir genau zuhören.“ Zudem müsse Scholz Netanjahu deutlich machen, „dass demokratische Werte wie rechtsstaatliche Prinzipien und die Unabhängigkeit der Justiz nicht zur Disposition stehen dürfen“.
Für die Ausladung Netanjahus plädierte die Vizevorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, Martina Renner (Linke): „Die Bundesregierung sollte der erzkonservativ-religiösen Agenda von Netanjahu kein Podium bieten, sondern die israelische Demokratiebewegung einladen und stärken. Die enge Verbundenheit mit dem Land und seiner Geschichte heißt auch Solidarität mit denen, die es nicht der autoritären Rechten überlassen wollen.“