Als Gerhard Schröder in Nordrhein-Westfalen seine Kanzlerschaft verlor
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Gerhard Schröder redet im November 2005 vor der Willy-Brandt-Statue bei einem Abschiedsempfang der SPD-Fraktion.
© Quelle: picture alliance / AP Photo
Der 22. Mai 2005 ist ein Tag für die Geschichtsbücher. Und damit ist noch nicht einmal das Wahlergebnis gemeint.
Seit 1966 hatte die SPD in Nordrhein-Westfalen ununterbrochen die Landesregierung geführt – erst mit der FDP, dann allein und schließlich mit den Grünen. Doch im Jahr 2005 – auf einem Höhepunkt des Unmuts über die Hartz-IV-Reformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) – war Schluss damit. Die CDU erreichte 44,8 Prozent, fast 8 Punkte mehr als die SPD. Und der Christdemokrat Jürgen Rüttgers konnte gemeinsam mit der FDP die Landesregierung bilden.
Eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale kündigte SPD-Chef Franz Müntefering an, eine Neuwahl des Bundestags für den Herbst anzustreben. Kurze Zeit später bestätigte auch Bundeskanzler Schröder diesen Plan. Das Argument: Die SPD wolle den Wählerinnen und Wählern die Chance geben, über die Reformen der Agenda 2010 zu entscheiden. Der Wahlabend in NRW markiert damit den Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Schröders.
Wechsel zwischen CDU und SPD
Das, was im bevölkerungsreichsten Bundesland politisch passiert, hat immer wieder politische Rückwirkungen auch auf den Bund gehabt. Die Sozialdemokraten waren hier lange führend – aber eben nicht schon immer. In den Nachkriegsjahren regierten zumeist die Christdemokraten. Bei der Landtagswahl 1966 zog die SPD erstmals an der CDU vorbei und erreichte mit 49,5 Prozent fast eine absolute Mehrheit. Aber eben nur fast.
CDU und FDP vereinbarten damals zunächst eine Fortsetzung ihrer Koalition, die aber schon wenige Monate später platzte. SPD und FDP wählten noch im Jahr 1966 gemeinsam den Sozialdemokraten Heinz Kühn ins Amt des Ministerpräsidenten – die sozialliberale Koalition in Düsseldorf war auch ein Vorbild für das spätere Bündnis aus SPD und FDP ab Herbst 1969 im Bund. Gustav Heinemann nannte es „ein Stück Machtwechsel“, als er im Frühjahr 1969 mit Stimmen von SPD und FDP zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Das war die sozialliberale Koalition in Nordrhein-Westfalen auch.
Es folgte eine jahrzehntelange, weitgehende Dominanz der SPD in NRW – eben bis 2005. Auf den Bund ließ sie sich so nicht übertragen. Johannes Rau, der an Rhein und Ruhr für die SPD mehrfach absolute Mehrheiten holte, scheiterte als Kanzlerkandidat im Bund. Mit seinem Motto „Versöhnen statt spalten“ wurde er aber später noch Bundespräsident.
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Der spätere Bundespräsident Johannes Rau war von 1978 bis 1998 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.
© Quelle: picture alliance/Ulrich Baumga
Als Nordrhein-Westfalen ab dem Jahr 1995 von Rot-Grün regiert wurde, galt auch dies als Testfall für den Bund. Die Wahrheit ist aber: Das Bündnis an Rhein und Ruhr hielt zwar, aber es knirschte von Anfang an erheblich. Im Bund fanden SPD und Grüne ab 1998 unter Kanzler Schröder und Außenminister Joschka Fischer erheblich besser zusammen.
Seit dem Wahlsieg der CDU im Jahr 2005 ist Nordrhein-Westfalen das, was wir in den USA einen „Swing State“ nennen würden, also ein Land, in dem eigentlich nie sicher ist, wer die Wahl gewinnt. Die Sozialdemokratin Hannelore Kraft wurde nach der Wahl 2010 mit einer Minderheitsregierung Ministerpräsidentin. In einer vorgezogenen Neuwahl im Jahr 2012 holte sie dann die Mehrheit für Rot-Grün.
Hannelore Kraft wurde zu einer mächtigen Frau in der SPD, legte sich aber fest: „Ich will nie, nie Kanzlerkandidatin werden.“ Im Landtagswahlkampf 2017 verbat sie sich, in Verkennung der Situation, allzu viel Einmischung von der Bundespartei – und verlor die Wahl aufgrund von ihrer mäßigen Bilanz in Sachen Verkehrspolitik und Schulen. Gegen den späteren CDU-Chef Armin Laschet, den in der nordrhein-westfälischen SPD noch bis kurz vor der Wahl kaum jemand so richtig ernst nehmen mochte. Mit der Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war auch die Kampagne von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz endgültig geschreddert.
Wenige Tage vor der Landtagswahl kam Schulz damals noch zu einer Kundgebung in seiner Heimatstadt Würselen. Es war böig. Und während Schulz sprach, kippte auf einmal das hinter ihm aufgestellte, riesige Transparent mit der Aufschrift „Zeit für mehr Gerechtigkeit, Zeit für Martin Schulz“ nach vorn. Helfer fingen das Plakat gerade noch rechtzeitig auf. Kanzlerkandidat Schulz schaute überrascht nach hinten und dann wieder nach vorn. „Da steht der Armin Laschet dahinter“, sagte er süffisant. Das Publikum lachte. Am Wahlabend herrschte in der SPD bitterer Ernst.
Weder SPD noch CDU haben sich in den vergangenen 20 Jahren sicher auf ihre Wählerschaft in Nordrhein-Westfalen verlassen können. So geht es jetzt auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seinem Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD).