Newsletter „Hauptstadt-Radar“

„Wir haben die Bundesflagge eingerollt“

Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, war der letzte Mann in der Deutschen Botschaft in Kiew, als der Krieg vor einem Jahr ausbrach.

Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, war der letzte Mann in der Deutschen Botschaft in Kiew, als der Krieg vor einem Jahr ausbrach.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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Sie können bestimmt auch noch den Moment schildern, in dem Sie vom Überfall Russlands auf die Ukraine erfahren haben – die Morgennachrichten im Radio, das Frühstücksfernsehen oder die ersten Onlinemeldungen des Tages. Bei mir geht morgens der erste Blick auf das in der Nacht stumm gestellte Mobiltelefon. An diesem Morgen wusste ich um 6.15 Uhr und wenigen Sekunden, dass auch ganz Europa im Krieg aufwacht.

Einer, der ebenfalls sehr genau erzählen kann, wie ihn der Krieg erreicht hat, ist BND-Chef Bruno Kahl. Mein Kollege Can Merey und ich haben Kahl in der vergangenen Wochen interviewt. Dafür waren wir in dem riesigen gut geschützten Bau des BND in Berlin-Mitte, in dem rund 3200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Zum Chef wird man über das Gelände mit einem eigenen Fahrdienst eskortiert. Es war das erste Interview, das der Präsident des Auslandsnachrichtendienstes seit Beginn des Kriegs gegeben hat. Kahl war am Morgen des 24. Februar in Kiew. Nachdem der Geheimdienstchef aus der Ukraine evakuiert werden musste, stand im Raum, dass ausgerechnet er vom Einmarsch der Russen in die Ukraine überrascht worden sei. Er selbst schildert das anders.

Riesig und gut geschützt: der Bau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin-Mitte.

Riesig und gut geschützt: der Bau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin-Mitte.

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„Ich bin am 23. Februar abends reingeflogen, habe erste Gespräche mit den ukrainischen Kollegen geführt und habe dann mit der deutschen Botschafterin im Hotel gesprochen“, schildert Kahl die Ereignisse am Vorabend des russischen Angriffskriegs. Die Botschafterin habe gegen 22/23 Uhr den Anruf bekommen, dass sie noch in der Nacht mit ihrer Mannschaft ausreisen solle.

Und der Geheimdienstchef? „Ich habe überlegt und gesagt, ich fahre nicht mit, ich bleibe mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort, weil ich am nächsten Tag eben noch den Kontakt zu den Ukrainern wahrnehmen wollte“, sagt er. Die Kontaktpflege sei ja der Grund seiner Reise gewesen. „Die hatten mich eingeladen und angesichts der Umstände gebeten zu kommen. Das habe ich dann in Kalkulation des Risikos auch getan.“

Die deutsche Flagge weht wieder vor der Deutschen Botschaft in Kiew.

Die deutsche Flagge weht wieder vor der Deutschen Botschaft in Kiew.

Und dann ging es Kahl ganz offensichtlich wie Millionen anderen Europäerinnen und Europäern auch. „Am nächsten Morgen war klar: Der Angriff hat begonnen.“ Er habe mit seinem ukrainischen Kollegen über die aktuelle Lage gesprochen. Die ukrainische Seite signalisierte ihm, dass sie nicht mehr für seinen Schutz garantieren könne. Kahl schildert, der Ukrainer habe ihm geraten, das Land noch am selben Tag zu verlassen.

Dem ist er nachgekommen. „Wir haben dann die Botschaft zugeschlossen, unsere Sachen verpackt oder vernichtet und die Bundesflagge eingerollt. Dann haben wir uns auf vier, fünf Autos aufgeteilt und den Weg angetreten.“ Wenn die Bundesflagge noch eingerollt werden konnte, spricht das auf jeden Fall für einen geordneten Rückzug. Anfang Mai wurde die Flagge übrigens wieder ausgerollt. Nachdem es den Ukrainerinnen und Ukrainern gelungen war, die russische Armee vor Kiew zurückzudrängen, hat auch die Botschaft ihren Dienstbetrieb wieder aufgenommen.

Der Legende, der BND habe von dem bevorstehenden Einmarsch der Russen nichts gewusst, während die Regierung in Berlin vorgewarnt war, widerspricht Kahl vehement. „Wir waren genauso gut informiert wie andere Dienste auch, mit denen wir uns – damals wie heute – ständig austauschen“, sagte uns Kahl in dem Interview. „Auch wir waren schon vor dem Angriff sicher, dass es zum Krieg kommen würde.“ Was man aber nicht genau habe vorhersagen können, sei die Stunde gewesen, in der Putin den Befehl zum Angriff gab. Kahl versichert, dass er nicht unvorbereitet gewesen sei: „Als ich in die Ukraine geflogen bin, war ich gewappnet dafür, dass der Angriff kommen kann, wenn ich dort bin.“ Er verweist darauf, dass er sein „Dienstflugzeug“ sofort nach Landung zurückgeschickt habe – damit dieses für den Fall der Fälle eben nicht in Kiew stehen bleiben müsse.

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Ukrainische Soldaten stehen auf einem Panzer: Nur 18 Prozent der Deutschen glauben, dass der Krieg in den kommenden zehn Monaten beendet sein wird.

Ukrainische Soldaten stehen auf einem Panzer: Nur 18 Prozent der Deutschen glauben, dass der Krieg in den kommenden zehn Monaten beendet sein wird.

So wie sich die wenigsten Menschen in Deutschland und Europa vorstellen konnten, dass Putin tatsächlich auf Kiew marschiert, so sehr fehlt den allermeisten inzwischen die Hoffnung, dass dieser Krieg bald zu Ende gehen könnte. Nur 18 Prozent der Deutschen sind laut Forsa der Meinung, dass der Krieg im Laufe dieses Jahres, also in den nächsten zehn Monaten, beendet werden könnte.

 

Machtpoker

„Es ging heute erst mal ein Stück weit um die Bewertung des Wahlergebnisses.“

Franziska Giffey,

Regierende Bürgermeisterin von Berlin

Berlins Regierende Bürgermeisterin backt derzeit kleine Brötchen. Das Wahlergebnis in Berlin war eine Ohrfeige für die SPD. Doch trotz des klaren Wahlsiegs der CDU hat Giffey die Chance, im Amt zu bleiben. Mit einem vorerst defensiven Auftritt schafft sie die Voraussetzungen, ihren Chefsessel im Roten Rathaus weiter für sich zu sichern. Giffey muss dafür die ebenfalls geschrumpften Linken und Grünen erneut in eine Koalition einbinden. Mit ihrer öffentlichen Zurückhaltung signalisiert die SPD-Politikerin, dass sie sehr wohl begriffen hat, was ihr die Wählerinnen und Wähler mit dem Ergebnis sagen wollten.

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Die Unzufriedenheit der Berlinerinnen und Berliner mit ihrer Stadt und ihrer Verwaltung ist enorm. Schaut man auf das Wahlergebnis, dann lässt sich daraus sehr klar ablesen, dass sich ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger nach einem Neustart in der Hauptstadt sehnt. Schwarz-Grün könnte diesen verkörpern. Aber die CDU in Berlin hat es versäumt, Brücken zu SPD und Grünen zu bauen. Die Landesverbände von SPD und Grünen wiederum stehen im Vergleich zum Rest der Republik weit links. Der Weg für eine CDU-geführte Koalition in Berlin scheint also weiter zu sein, als dass sich die Wahlverlierer erneut zu einem Bündnis zusammenfinden.

Backt derzeit kleine Brötchen: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Backt derzeit kleine Brötchen: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey.

 

Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Nach Erkenntnis des Meinungsforschungsinstituts Forsa hat die Abgeordnetenhauswahl in Berlin und die Reaktion des bisherigen Bündnisses bundesweit Aufmerksamkeit erzeugt und der Union einen „Sympathieschub“ gegeben. „So sinken die Werte für die Berliner Wahlverlierer SPD und Grüne, während der Wert der Union um 3 Prozentpunkte auf 31 Prozent ansteigt“, heißt es im Forsa-Wochenbericht. Für die Union sei das seit März 2021, also vor der destruktiven Nominierung des Kanzlerkandidaten, der höchste Wert.

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Das ist auch noch lesenswert

Haben Sie schon Ihren Grundsteuerbescheid bekommen? Dass es entgegen der Versprechungen der Bundesregierung natürlich zu Erhöhungen kommt, überrascht wahrscheinlich nur wenige. Doch der Bescheid, der einer Rentnerin aus NRW ins Haus flatterte, ließ der Seniorin den Atem stocken. Ihr bescheidenes Eigenheim taxiert das Finanzamt auf einen Wert von 15 Millionen Euro mit entsprechend saftiger Grundsteuer. Meine Kollegin von der „Siegener Zeitung“, Anja Bieler-Barth, hat die erschrockene Seniorin besucht. (+)

Unser Krisenreporter Can Merey, der vergangene Woche noch in der Türkei im Erdbebengebiet war, ist zum Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine nach Kiew gereist. In den nächsten Tagen will er Richtung Ostukraine weiterfahren. Can kam am Montag in Kiew an, als gerade US-Präsident Joe Biden in der ukrainischen Hauptstadt eingetroffen war. Er beschreibt die bislang gefährlichste Reise des US-Präsidenten.

Den rhetorischen Schlagabtausch zwischen Biden und Russlands Machthaber Putin haben wir aus Berlin per TV-Übertragung gesehen. Das Resumée: Mehr als je zuvor hat der Tag gezeigt, dass sich im Ukraine-Krieg auch die systemische Auseinandersetzung zwischen Autokratien nach dem Vorbild Russlands und Chinas sowie Demokratien nach dem Vorbild der USA und der EU manifestiert.

An der ZDF-Moderatorin Dunja Hayali scheiden sich ja die Geister. Ich finde, sie ist eine hervorragende Journalistin. Mein Kollege Imre Grimm hat die 48-Jährige aus Anlass ihrer ersten Moderation des „heute journals“ porträtiert. Dringende Leseempfehlung! Man lernt durch den Text auch noch etwas über Haltung in einer unübersichtlichen Nachrichten- und Meinungswelt.

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Nun auch als Hauptmoderatorin beim "heute journal": die Journalistin Dunja Hayali.

Nun auch als Hauptmoderatorin beim "heute journal": die Journalistin Dunja Hayali.

Wer sich gerne in Billigmodenketten einkleidet und die Klamotten nach wenigen Wochen wegwirft, dem sei der Bericht von Tim Szent-Ivanyi aus Ghana empfohlen. Unser Korrespondent ist mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsministerin Schulze in Afrika unterwegs. Dort hat er gesehen, wie die Kleidung aus Europa die Umwelt in Ghana zerstört. „Wir versinken im Müll“ – sagen ihm die Menschen vor Ort.

Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!

Herzlichst

Ihre Eva Quadbeck

 

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