Das missglückte Attentat von Berlin: Wie Hitler der Bombe entkam

"Heldengedenktag": Am 21. März 1943 begrüßt Adolf Hitler verwundete Soldaten - ein Anschlag auf ihn am selben Tag schlug fehl.

„Heldengedenktag“: Am 21. März 1943 begrüßt Adolf Hitler verwundete Soldaten – ein Anschlag auf ihn am selben Tag schlägt fehl.

Berlin. Der Sonntag des 21. März 1943 war in Berlin ein warmer, sonniger Frühlingstag. Unter den Linden waren Tausende Menschen zusammengeströmt, Wehrmachtseinheiten hatten das Zeughaus weiträumig abgesperrt, vor dem sich die führenden Köpfe des Dritten Reiches versammelt hatten, um den alljährlichen „Deutschen Heldengedenktag“ zu feiern. Alles wartete auf Adolf Hitler, der dort seinen ersten Auftritt nach der vernichtenden Niederlage von Stalingrad haben würde.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Niemand der Versammelten ahnte, dass einer der anwesenden Offiziere zwei Bomben in seiner Manteltasche trug, um den „Führer“ mit seinem Gefolge – samt sich selbst – in die Luft zu sprengen. Es war Oberstleutnant Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, der entschlossen war, dem unvorstellbaren Wahnsinn ein Ende zu setzen. Der 37-Jährige gehörte zur Verschwörergruppe um General Henning von Tresckow, die ihn als Attentäter ausgewählt und mit großen Schwierigkeiten seine Teilnahme am „Heldengedenktag“ organisiert hatte.


Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Festprogramm sah vor, dass Hitler nach einem Konzert seine Rede halten würde, die je nach Laune zwischen ein paar Minuten und zwei Stunden dauern konnte. Anschließend sollte er im Zeughaus die Ausstellung sowjetischer Beutewaffen „Kampf in Zentralrussland“ eröffnen. In dieser Ausstellung, so der Plan, sollte von Gersdorff die Bomben in nächster Nähe Hitlers zur Detonation bringen.

„Ich habe in dieser Nacht“, erinnerte sich von Gersdorff in seiner Autobiografie, „kein Auge zugemacht und hatte ähnliche Empfindungen wie ein Verurteilter in der Todeszelle in der Nacht vor seiner Hinrichtung.“ Am Morgen nahm er das Aufputschmittel Pervitin, um seine Angst zu mindern. Da Hitler die Angewohnheit hatte, lange zu schlafen, ließ seine Ankunft auf sich warten. Erst kurz vor 13 Uhr traf das Führerbegleitkommando mit dem Mercedes-Benz-Cabrio ein. Gefolgt von seiner Entourage betrat Hitler das Gebäude. Im Lichthof des Zeughauses erklang der erste Satz von Anton Bruckners 7. Sinfonie. Einige Plätze neben dem „Führer“ saß von Gersdorff mit den zwei Bomben.

War entschlossen, Hitler und sich selbst in die Luft zu sprengen: Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff.

War entschlossen, Hitler und sich selbst in die Luft zu sprengen: Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff.

Nachdem das Philharmonische Orchester verstummt war, ging Hitler zum Rednerpult, das vor einer imposanten Freitreppe stand, über der ein riesiges Eisernes Kreuz prangte. Dort sprach er zwölf Minuten lang von der „satanischen Zerstörungswut“ der Russen, während zur selben Zeit 600 Kilometer entfernt in Auschwitz zahllose Juden in Gaskammern ermordet wurden.

Der Zünder brauchte zehn Minuten Reaktionszeit

Als nach der Rede, wie üblich, der Applaus toste und alle Blicke auf den Redner gerichtet waren, hatte sich von Gersdorff bereits zum Eingang des Ausstellungsbereiches begeben. „Es dauerte jedoch noch eine ganze Weile, bis Hitler erschien“, erinnerte er sich. „Neben ihm ging Göring, der in seinen weißen Saffianstiefeln den Eindruck eines Operettenfürsten machte; zudem war er auf grotesk auffallende Weise geschminkt.“ In der Tür wandte Hitler sich plötzlich um und bat Feldmarschall von Bock, sich ihm anzuschließen. „Diesen Augenblick, als die Aufmerksamkeit aller auf Hitler (…) gerichtet war, benutzte ich, um den Zünder der in meiner linken Manteltasche steckenden Clam-Haftmine zu betätigen“, so von Gersdorff weiter. Der geräuschlose Zünder hatte, abhängig von der Umgebungstemperatur, eine Reaktionszeit von zehn Minuten; im ungeheizten Zeughaus musste allerdings mit mindestens zwölf und maximal 15 Minuten gerechnet werden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Dann begann der Rundgang, wobei ich mich dicht an Hitlers linke Seite drängte“, berichtete der Oberstleutnant. Zu beiden Seiten waren sowjetische Geschütze, Maschinengewehre und Granatwerfer ausgestellt, am Ende des Ganges befand sich ein Ehrenmal für die in Stalingrad gefallenen Soldaten der 6. Armee. Während von Gersdorff Hitler die Exponate erklärte, lief in den Taschen seines Wehrmachtmantels langsam und lautlos die chemische Reaktion der Säurezünder ab.


Die Gruppe erreichte das Stalingrad-Ehrenmal, dem gegenüber – was sich als verhängnisvoll herausstellen sollte – ein Gegenstand aus dem Russland-Feldzug Napoleons von 1812 ausgestellt war. Es handelte sich um den Adler einer Patronentasche vom westfälischen Korps Jérôme, dem jüngsten Bruder Napoleons. „Als ich ihn auf einen napoleonischen Adler aufmerksam machte, den deutsche Pioniere beim Brückenbau über die Beresina (1941) im Flussbett gefunden hatten, erhielt ich keine Antwort“, so von Gersdorff. „Stattdessen ging – oder besser gesagt lief – Hitler auf kürzestem Weg in die Richtung des seitlichen Ausgangs.“

Die Gründe, warum Hitler in genau diesem Augenblick die Ausstellung derart abrupt verließ, sind naheliegend: Der Adler Napoleons, dessen Grande Armée 1812 in Russland vernichtend geschlagen worden war, musste ihn zwangsläufig an den erst kurz zurückliegenden Untergang der 6. Armee in Stalingrad erinnern. „Zu diesem Zeitpunkt“, erklärte der Philosoph Hans Blumenberg später, „muss er reizbar geworden sein für jede Erinnerung an Napoleon (…). Das nach so langer Zeit und unter diesen Umständen geborgene Feldzeichen musste in die mythische Denkform als Omen einrasten. Man hätte wissen können, dass er dem Satz nie wirklich getraut hat, die Geschichte wiederhole sich nicht.“ Auf diese Weise hatte Hitler sein Aberglaube an jenem Sonntag das Leben gerettet, was in den kommenden beiden Jahren, die der Zweite Weltkrieg noch dauern würde, viele Millionen Menschen das Leben kosten sollte.

Zwei scharfe Bomben in der Manteltasche

Der Oberstleutnant von Gersdorff hatte nun aber ein Problem: Er hatte zwei scharfe Bomben in den Manteltaschen, die in Kürze explodieren würden. Mit aschfahlem Gesicht eilte er, Übelkeit vortäuschend, zur Toilette, wo es ihm gerade noch rechtzeitig gelang, die Bomben zu entschärfen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Von Gersdorff bewahrte Sprengstoff und Zünder auf, die dann am 20. Juli 1944 durch Graf von Stauffenberg zum Einsatz kamen. Weder die Gestapo noch Goebbels erfuhren jemals, wie knapp der Diktator an jenem Frühlingssonntag einem mit höchster Wahrscheinlichkeit tödlichen Anschlag entgangen war, der die Geschichte entscheidend verändert hätte.

Mehr zum missglückten Attentat ist zu lesen in Thomas Schulers Buch: „Auf Napoleons Spuren. Eine Reise durch Europa“ (C.H. Beck, 2021, 408 Seiten, 26,95 Euro) und auf der Seite www.aufnapoleonsspuren.de

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken