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Bundestag debattiert über Ukraine-Krieg

Bundestagsdebatte und Großdemo in Berlin: ein Tag gegen den Krieg

Mehr als Hunderttausend demonstrierten am Sonntag in Berlin gegen den Krieg gegen die Ukraine.

Mehr als Hunderttausend demonstrierten am Sonntag in Berlin gegen den Krieg gegen die Ukraine.

Berlin. Als der Bundestag mit seiner Debatte fertig ist, wird er von Bürgerinnen und Bürgern umzingelt. Zehntausende laufen am Reichstagsgebäude entlang – hin zur Demonstration gegen den russischen Krieg in der Ukraine. Viele tragen blau-gelbe Fahnen bei sich, die Landesfarben des angegriffenen Staates, andere haben Plakate in russischer oder ukrainischer Sprache dabei.

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Die Stimmung ist entspannt, bisweilen heiter. Hier sind Menschen unterwegs, die sich ihrer Sache sicher sind. Das verbindet sie mit den meisten Abgeordneten im Inneren des Gebäudes, an dessen Mauern man noch Schriftzeichen jener russischen Soldatinnen und Soldaten sehen kann, die 1945 Berlin befreiten.

+++ Alle Entwicklungen zur russischen Invasion in der Ukraine im Liveblog +++

Kein Zweifel, dieser 27. Februar 2022 ist vier Tage nach Beginn des Krieges im Herzen Europas ein weiterer historischer Tag – und das nicht nur, weil der Bundestag erstmalig an einem Sonntag zusammenkommt.

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Der Druck kommt von innen und außen

Der Samstag war ein Tag großer Spannung gewesen. Bei den Grünen gibt es kontroverse Debatten über Russlands Ausschluss aus dem Zahlungssystem Swift, die nur mühsam unter der Decke gehalten werden können. Eine Grünen-Abgeordnete, die sich am Freitag noch kritisch zur Weigerung der Bundesregierung geäußert hat, will davon plötzlich nichts mehr wissen. Offenbar hat die Parlamentarierin Druck gekriegt.

Druck herrscht auch bei der SPD, in der sich nach Wochen des Zögerns nun ein Spitzenvertreter nach dem anderen kritisch zum mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verbandelten Altkanzler Gerhard Schröder äußert. Am meisten Fett bekommt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) weg, die ein Foto des Landtages in den ukrainischen Landesfarben postet – obwohl sie lange zum Putin-freundlichen Teil der Sozialdemokratie gezählt wurde.

Gegen Abend überschlagen sich die Ereignisse. Nachdem mehrere europäische Staaten ihrerseits Druck ausgeübt haben, wird bekannt, dass Deutschland zum Swift-Ausschluss Russlands bereit ist – wenn auch nicht vollständig. Eine Spitzen-Grüne sagt, das Zögern habe mit der Sorge zu tun gehabt, Deutschland könne im Herbst ohne russische Energielieferungen im Kalten sitzen.

Applaus für den ukrainischen Botschafter – fast von allen

Ebenfalls bekannt wird, dass Deutschland nun doch Waffen an die Ukraine liefert: 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Bundeswehrbeständen. Kanzler Olaf Scholz spricht von einer „Zeitenwende“ und der „Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen“. Bis zuletzt hatte es geheißen, man werde wie bisher keine Rüstungsgüter in Krisengebiete exportieren – und hinter vorgehaltener Hand, dass sie der hoffnungslos unterlegenen Ukraine ohnehin nichts nutzen würden.

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Der ein ums andere Mal Waffen fordernde ukrainische Botschafter Andrij Melnyk wird belächelt, bisweilen auch getadelt, so vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich – nach dem Motto: Was nimmt sich der Mann heraus?

Am Sonntag sitzt derselbe Melnyk auf der Ehrentribüne des Bundestages, neben ihm der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck als Vertreter von Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier. Als Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) den Botschafter zu Beginn der Sitzung begrüßt, erheben sich die fast vollzählig erschienenen Abgeordneten und spenden minutenlangen Applaus. Lediglich die AfD bleibt sitzen. Auch an der folgenden Debatte sieht man: Die Welt ist durch den Krieg eine andere geworden.

Scholz: „Putin von seinem Kriegskurs abbringen“

Der Kanzler spricht abermals von einer „Zeitenwende“ und beklagt, Putin habe „kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen“. Dem müsse man begegnen. Der Sozialdemokrat beteuert, dass Deutschland „die Ukrainer in dieser verzweifelten Lage unterstützen“ werde, eben auch mit Waffen. Er spricht davon, dass man „Putin von seinem Kriegskurs abbringen“ müsse und sich die Sanktionen allein gegen ihn und seine Gefolgschaft, nicht gegen das russische Volk richteten.

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Schließlich hätten in vielen russischen Städten Bürgerinnen und Bürger gegen Putins Krieg demonstriert und dabei „Verhaftung und Verfolgung in Kauf genommen“. Ihnen ruft der Kanzler zu: „Geben Sie nicht auf. Freiheit, Toleranz und Menschenrechte werden sich auch in Russland durchsetzen.“

Für das meiste Aufsehen sorgt freilich Scholz‘ Ankündigung, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Ertüchtigung der maroden Bundeswehr bereitzustellen. Da sieht man die Linken-Abgeordneten Jan Korte, Amira Mohamed Ali und Janine Wissler mit dem Kopf schütteln. So viel Geld – die drei können es nicht glauben.

Merz: „Wir sind bedrückt und beschämt“ – weil man nicht früher half

Einem starken Kanzlerauftritt folgt ein starker Auftritt des Oppositionsführers Friedrich Merz, der an Scholz gerichtet sagt: „Ich möchte Ihnen danken für Ihre Regierungserklärung.“ Der Vorsitzende der Unionsfraktion bekundet dem ukrainischen Volk Bewunderung für „den Mut und den Willen, um seine Freiheit zu kämpfen“ und fährt fort: „Wir sind bedrückt und beschämt, dass wir diesem Land nicht schon früher helfen konnten.“

Dann knöpft er sich Putin vor und stellt fest: „Aus diesem lupenreinen Demokraten, der er nie war, ist nun für alle sichtbar ein Kriegsverbrecher geworden.“ Erst im zweiten Teil geißelt Merz in Anspielung auf Schröder und andere Teile der SPD Putins Netzwerke in aller Welt. Die Formulierung „nützliche Idioten“ sei dafür „noch eine freundliche Umschreibung“.

Baerbock: „Er wollte diesen Krieg – whatever it takes“

Bei Merz‘ Auftritt sieht man Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nicken. Der Grüne dürfte sich ebenso freuen, als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) anmahnt, die Rohstoffabhängigkeit von Russland müsse reduziert werden, verbunden mit der Anmerkung: „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien.“ Womöglich ist Habeck da bloß ein bisschen neidisch, dass ihm diese hübsche Formulierung nicht selbst eingefallen ist.

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Schließlich ist da Außenministerin Annalena Baerbock, die gemünzt auf den Ukraine-Krieg konstatiert: „Wir haben es bis zur letzten Minute mit Diplomatie versucht. Doch der Kreml hat uns hingehalten und belogen. Er wollte diesen Krieg – whatever it takes.“ Was immer es koste.

Als nach drei Stunden alle Reden im Hohen Haus gehalten sind, sieht man draußen immer mehr Menschen. Am Ende sollen im Berliner Tiergarten mehrere Hunderttausende gegen Putins Krieg auf den Beinen gewesen sein.

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