Deutsche „Vollkaskomentalität“? Ökonom warnt vor weiteren Entlastungspaketen
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In diesen Zeiten sind auch Sonderangebote nicht wirklich billig zu haben.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Der Ökonom Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat vor dem Versuch gewarnt, mit immer neuen staatlichen Entlastungspaketen die Inflation aus der Welt schaffen zu wollen. Geldwertstabilität lasse sich nicht politisch simulieren, gefragt sei jetzt die Notenbank. „Deutschland diskutiert zu viel über das Handeln der Regierung und zu wenig über das bisherige Nichthandeln der EZB“, sagte Kooths dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Kooths betonte, die Inflation sei ein vielschichtiges Geschehen und werde nicht allein von den Gaspreisen getrieben. Auch der demografische Wandel, der Finanzaufwand beim Umbau der Energiewirtschaft und der Ruf nach mehr Selbstständigkeit gegenüber China ließen derzeit die Preise steigen.
Inflation in Deutschland: Rate nähert sich 8-Prozent-Marke
Die Verbraucherpreise in Deutschland ziehen wieder deutlich an. Volkswirte halten in den kommenden Monaten sogar zweistellige Teuerungsraten für möglich.
© Quelle: dpa
„Was hier gerade passiert, macht uns in Deutschland alle miteinander ärmer“, sagte Kooths und plädierte für mehr Ehrlichkeit in den aktuellen Debatten: „Ich würde mir wünschen, dass die Regierung dies klar ausspricht. Allzu oft wird versucht, eine in der Öffentlichkeit noch immer spürbare Vollkaskomentalität zu bedienen.“
Kooths betonte, der staatliche Versuch, durch Instrumente wie den zeitweiligen Tankrabatt die Realitäten zu verkleistern, mache sogar alles noch schlimmer. Dies sei, „als würde die Feuerwehr mal ein bisschen Benzin ins Feuer gießen“. Auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas auf 7 Prozent sei falsch. Der Staat solle sich auf soziale Ausgleichsmaßnahmen für Bedürftige konzentrieren, statt mit hohem Aufwand Signale des Marktes verwässern zu wollen.
Neue Euro-Krise? „Diese Sorge ist berechtigt“
Eine weitere Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank nannte Kooths überfällig. Die EZB habe leider den richtigen Zeitpunkt zum Eingreifen längst verpasst. Offenbar fürchte die Mehrheit des EZB-Rats, durch höhere Zinsen eine neue Euro-Krise auszulösen.
„Diese Sorge ist berechtigt“, sagte Kooths. „Denn wir Europäer haben die Ursache dieser Krise – die vor allem im Süden der EU viel zu hohe Staatsverschuldung – nie wirklich bereinigt. Stattdessen haben wir die nötigen Entscheidungen einfach durch eine extrem expansive Geldpolitik immer wieder vor uns hergeschoben – so wie man eine Bierdose die Straße runter kickt.“ Auf diese Art werde Europa den Ausweg aus der Inflation nicht finden. „Nötig ist, auch wenn es schwerfällt, der Mut zu unpopulären Maßnahmen. Die Zinsen müssen steigen, und die Staatsschulden müssen sinken. Anders bekommt man die Geldentwertung nicht in den Griff.“
Mit Blick auf die Parlamentswahlen in Italien am 25. September warnte Kooths vor neuen Belastungen für die Euro-Zone: „Linke wie rechte Populisten umgarnen mittlerweile europaweit dieselbe Klientel mit denselben falschen Versprechungen: Wir lösen eure Probleme durch eine laxe Geldpolitik, durch höhere Staatsschulden und durch Nichteinhaltung der vereinbarten Regeln zur Stabilität des Euro.“ In Wirklichkeit seien die größten Verlierer der Inflation jene Menschen, die kein Vermögen haben und keine nennenswerten Sachwerte. „Ohne stabiles Geld“, betonte Kooths, „ist jede Sozialpolitik auf Sand gebaut.“