Die Wagner-Kämpfer, die es nicht geben darf
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Ein Soldat der Wagner-Gruppe bewacht ein Gebiet in der Stadt Artyomovsk (Bachmut). Artjomowsk liegt im von Kiew kontrollierten Teil der Volksrepublik Donezk.
© Quelle: picture alliance/dpa/TASSpicture alliance/dpa/TASS | Valentin Sprinchak
Die Masche ist simpel: Mindestens 100.000 Rubel wird Männern aus Kirgistan und Usbekistan in Stellenanzeigen versprochen, für einen Job als Wachmann bei einem privaten Sicherheitsunternehmen. Bei einem Anruf heißt es dann, die Stelle sei bereits besetzt, doch man könne mehr als das Doppelte für eine „Tätigkeit in der Zone der Spezialoperation in der Ukraine“ verdienen. Wer darauf eingeht, landet als Kämpfer für die berüchtigte Wagner-Gruppe an der Front.
Wie viele Menschen aus Zentralasien auf russischer Seite gegen die Ukraine kämpfen, ist nicht bekannt. Es gibt aber Berichte aus fast allen zentralasiatischen Staaten über Wagner-Rekrutierungen. In Gefängnissen und unter Wanderarbeitern hat die Söldnergruppe demnach Kämpfer für den Krieg angeworben. Nicht alle sollen freiwillig in die Ukraine gegangen sein, sagt András Rácz, Experte für die russische Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Kriegsgefangene haben bestätigt, dass auch entführte und zwangsrekrutierte zentralasiatische Gastarbeiter für Wagner kämpfen“, so Rácz im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die hätten sich nicht freiwillig für die Wagner-Gruppe gemeldet. „Sie wurden von ihren Arbeitsplätzen abgeholt, um in der Ukraine zu kämpfen“, beschreibt der Experte Fälle von zwangsrekrutierten Gastarbeitern aus Kasachstan und Tadschikistan.
Die Wagner-Forscherin Karen Philippa Larsen vom Danish Institute for International Studies (DIIS) hat von ähnlichen Fällen gehört. „In russischen Gefängnissen werden Inhaftierte aus Zentralasien gezwungen, Verträge mit Wagner oder den regulären Streitkräften für den Kampf in der Ukraine zu unterzeichnen“, sagt sie dem RND. Wanderarbeiter, die vor allem aus Zentralasien stammen, würden eingeschüchtert, damit sie Verträge unterschreiben. Die Familien der zwangsrekrutierten Wagner-Kämpfer bleiben meist ahnungslos und erfahren von alledem nichts.
Nach Schätzungen westlicher Geheimdienste hat Wagner zwischen 40.000 und 50.000 Männer allein in Gefängnissen für den Krieg gegen die Ukraine rekrutiert. Wie viele von ihnen aus Zentralasien stammen, ist nicht bekannt. Für einen sechsmonatigen Einsatz wird den Insassen Geld und Straffreiheit angeboten. Im Februar wurde der Gruppe Wagner die Rekrutierung in Gefängnissen schließlich verboten. „Seit sie gezwungen sind, die Rekrutierung in Gefängnissen zu stoppen, haben sie nach anderen Wegen gesucht, um Soldaten zu gewinnen“, so Larsen. Im Allgemeinen sei Wagner für unkonventionelle Rekrutierungsmethoden bekannt und werbe unter anderem bei Pornhub und in Sportvereinen.
G7 wollen Sanktionen gegen Russland verschärfen
Die G7-Länder sind zu einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine bereit.
© Quelle: dpa
Die für ihre brutale Vorgehensweise bekannte Wagner-Gruppe braucht ständig neue Kämpfer. Tausende sind in den vergangenen Wochen bei der Schlacht um Bachmut ums Leben gekommen. Viele sterben als Kanonenfutter an vorderster Reihe, erklärt Larsen: Bei „Selbstmordmissionen“ werden sie vorgeschickt, damit die Ukrainer das Feuer auf sie eröffnen und so ihre Position preisgeben. Wagner greift daher auf alle Arten von Söldnern zurück, die es bekommen kann. „Es gibt vereinzelt Fotos von afrikanischen und syrischen Söldnern, die in den Reihen von Wagner in der Ukraine kämpfen“, sagt Experte Rácz. Einige stammen seiner Einschätzung nach aus afrikanischen Regionen, in denen Wagner auch vorher schon aktiv gewesen ist. Er geht davon aus, dass es sich dabei aber nur um eine kleine Gruppe Söldner handelt.
„Wenn diese Wagner-Kämpfer getötet werden, können sie nicht nach Russland gebracht werden, weil sie offiziell nicht in der Ukraine gekämpft haben“, sagt Rácz über die vielen auf zwielichtige Weise angeworbenen Söldner. Er glaubt, dass solche Gefallenen in Massengräbern bestattet werden, wie dem großen Gräberfeld, das in der vergangenen Woche auf Satellitenbildern nahe Bachmut entdeckt wurde. Markierungen, Kreuze oder Tafeln mit Namen sind auf den Bildern nicht zu sehen. „Wenn die Leichen in der Nähe der Frontlinie vergraben werden, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie jemals gefunden und identifiziert werden.“
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Das dem RND von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenfoto zeigt den Ort Wolodymyriwka in Donezk am 1. April 2023 mit neuen Massengräbern.
© Quelle: Satellite image ©2023 Maxar Technologies.
Doch die Gastarbeiter aus Zentralasien und die Söldner aus Afrika und Syrien sind nicht die Einzigen, die auf fragwürdige Weise bei Wagner landen. „Es sind auch Fälle bekannt, in denen mobilisierte Russen illegal an die Wagner-Gruppe verkauft wurden“, sagt DGAP-Experte Rácz. Es ist eine verlockende Möglichkeit für die russischen Kommandeure, den eigenen Sold aufzubessern.
Für die betroffenen Soldaten ist es ein großer Unterschied, ob sie für die russische Armee kämpfen oder illegal an Wagner verkauft wurden: Werden Soldaten der Armee verwundet oder getötet, erhalten die Familien eine Entschädigung. Bei Wagner gibt es keine Garantie, dass die Familien ebenfalls Geld erhalten. Ein weiterer wichtiger Unterschied: „Die Soldaten in der Armee haben einige wenige Grundrechte und können zumindest nicht auf der Stelle hingerichtet werden“, sagt Russland-Experte Rácz. Wer Mitglied von Wagner ist, habe keinen Schutz und keine Rechte. „Soldaten werden zu einem Wechsel in die Wagner-Gruppe gezwungen, niemand wechselt freiwillig“, stellt der Experte klar.
Erst vor wenigen Tagen war die Hinrichtung von 80 Wagner-Kämpfern bekannt geworden, die erschossen wurden, weil sie Befehlen nicht gehorchen wollten. Ein Einzelfall ist das nicht. Immer wieder bestätigten festgenommene Wagner-Söldner, dass jeder hingerichtet werde, der sich den Befehlen widersetzt. „Es ist unwahrscheinlich, dass ihre Leichen nach Russland zurückgebracht werden“, so die Einschätzung von Rácz. Er hält es für möglich, dass auch solche Wagner-Kämpfer auf Gräberfeldern wie dem nahe Bachmut begraben und ihre Spuren verwischt werden.
Inzwischen hat das russische Verteidigungsministerium einige Rekrutierungsstrategien der Wagner-Gruppe übernommen. Es führt Kampagnen in Gefängnissen durch, stellt Gastarbeitern aus anderen Ländern Einberufungsbescheide aus und setzt sie mit einer drohenden Abschiebung unter Druck, schreibt der US-Thinktank Jamestown Foundation. Millionen kampffähiger Männer aus Zentralasien in Russland würden dem Kreml einen großen Pool neuer Soldaten für das ukrainische Schlachtfeld bieten.