Überblick: In welchen Ländern Frauen seit 2000 das Sagen haben
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„Femme d‘état“ – Staatsfrau: Plakat für die Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs von Marine Le Pen.
© Quelle: AP
Zwar gilt Staatspräsident Emmanuel Macron bei der Wahl am Sonntag als Favorit, dennoch hat die Rechtsextreme Marine Le Pen Aussichten, die erste Präsidentin in der Geschichte Frankreichs zu werden – ein Land mit 67 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen. Nur die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in der jüngeren Geschichte Verantwortung für mehr Menschen.
Wie viele Länder wurden weltweit seit dem Jahr 2000 von Frauen regiert? Und wofür stehen die Regierungschefinnen jeweils? Wir haben die Daten des Projekts Parlgov, das akribisch Buch führt über die Regierungen der meisten OECD-Staaten, analysiert.
Demnach haben Staatsfrauen in Nordeuropa die längste Tradition. In den skandinavischen und baltischen Ländern haben die Wählerinnen und Wähler bereits zum wiederholten Mal Frauen in das höchste Regierungsamt gewählt. In Finnland beispielsweise regiert derzeit die jüngste Ministerpräsidentin der Welt, die 36-jährige Sanna Marin. Die Sozialdemokratin ist Chefin einer Koalition aus fünf Parteien, die alle von Frauen geführt werden.
In Dänemark konnte Mette Frederiksen 2019 die Macht erringen, nachdem Helle Thorning-Schmidt dort bereits von 2011 bis 2015 als Staatspräsidentin amtiert hatte. Auch in Schweden, Island, Estland und Litauen regieren aktuell Frauen. Alle anderen Staaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) mit Ausnahme Neuseelands, dort regiert Jacinda Ardern, werden hingegen von Männern geführt.
Animation zeigt die Entwicklung in Europa
Die folgende Animation der Entwicklung in Europa seit dem Jahr 2000 verdeutlicht das europäische Nord-Süd-Gefälle. Zwar hatten einige südliche Länder wie Kroatien, Rumänien und Slowenien bereits ein weibliches Oberhaupt. Doch die Amtszeit war meist von kurzer Dauer. Klicken Sie einfach auf den Play-Button, um die Animation zu starten.
Die längste Amtszeit einer Frau hat es in Deutschland gegeben. Am Ende überschnitt sich die Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel mit der ihrer Amtskollegin Theresa May aus Großbritannien und Beata Szydlo aus Polen. Gleichzeitig regierten 2016 auch in Dänemark und Norwegen Frauen. Mit der Amtsübernahme von Kanzler Olaf Scholz werden aber wieder 96 Prozent der Menschen in den entwickelten Demokratien von Männern regiert.
Marine Le Pen hat nun die Chance, die männliche Vorherrschaft in Europa zu brechen. Allerdings gilt diese Perspektive vielen Beobachtern und Beobachterinnen weniger als Verheißung, sondern vielmehr als Schreckensszenario. Denn Marine Le Pen vertritt eine rechtsextreme Politik, auch wenn sie einige radikale Positionen wie den EU-Austritt Frankreichs in den vergangenen Jahren aufgegeben hat.
Macron gegen Le Pen: TV-Duell vor der Stichwahl am Sonntag
Die Stichwahl in Frankreich findet am Sonntag statt. Es sind die gleichen Kandidaten wie bereits bei den Wahlen im Jahr 2017.
© Quelle: Reuters
Die folgende Grafik zeigt, wie das Programm von Le Pens Partei Rassemblement National (früher Front National) im Vergleich mit den Parteien anderer Regierungschefs und ‑chefinnen abschneidet. Das Projekt Parlgov hat alle Parteien der entwickelten Demokratien in einem Punktesystem politisch verortet. Die Skala reicht von staatsnah auf der linken Seite bis marktnah auf der rechten Seite, und von einem liberalen Führungsstil auf der unteren Seite zu einem autoritären Führungsstil auf der oberen Seite.
Wie die Staatschefinnen politisch ticken
Die Punktwerte zwischen null und zehn entsprechen der durchschnittlichen Einschätzung von Experten. Allerdings hat diese Methode einige Unschärfen: Wenn Parteien in den vergangenen Jahren ihr Programm geändert haben, schlägt sich der Kurswechsel vorerst nicht in den Daten nieder. Zudem wird nicht berücksichtigt, wenn die Regierungschefs und ‑chefinnen andere Positionen vertreten als ihre Partei.
Dennoch erlaubt die Übersicht eine Annäherung an die Wirklichkeit. Nach Ansicht der Experten rangiert die Rassemblement National am oberen Ende der Skala für autoritären Führungsstil. Keine andere Regierungspartei in einer entwickelten Demokratie, auch keine mit männlichem Führungspersonal, kommt auf einen höheren Wert.
Die weiblichen Staatsoberhäupter verteilen sich ähnlich über das Koordinatensystem wie die männlichen Kollegen. Die durchschnittlichen Werte auf beiden Skalen unterscheiden sich kaum zwischen den Geschlechtern. Am weitesten entfernt von Le Pen steht Katrín Jakobsdóttir, die seit 2017 in Island als Premierministerin amtiert. Ihre Links-Grüne-Bewegung pflegt nach Einschätzung der Experten einen ausgeprägten liberalen Führungsstil, der weltweit nur von der sozialdemokratischen Partei ihrer Amtsvorgängerin Jóhanna Sigurdardóttir übertroffen wird. Die Sozialdemokratin wurde nicht nur Islands erste Ministerpräsidentin, sondern war auch die erste offen homosexuelle Regierungschefin der Welt.
Staatsfrauen von „rechts“ bis „links“
In Polen regierte von 2015 bis 2017 mit Beata Szydlo dagegen eine Vertreterin der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die ein Abtreibungsverbot im Programm hatte. Die dänische Frontfrau Frederiksen verknüpft eine „linke“ Sozialpolitik mit einer „rechten“ Einwanderungspolitik: schnelle Abschiebungen von illegal Zugewanderten, Einschränkung des Familiennachzugs und „eine Obergrenze für nicht westliche Einwanderer“.
In Norwegen regierte von 2013 bis 2021 Erna Solberg von der konservativen Partei Høyre. Solbergs rechtsliberale Politik hielt sie acht Jahre im Amt. Am längsten von allen Frauen regierte bisher Merkel mit 16 Amtsjahren. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher war elf Jahre im Amt, allerdings überwiegend in der 1980er-Jahren und damit vor dem hier dargestellten Zeitraum.
Unter den amtierenden Regierungschefinnen hat Jacinda Ardern aus Neuseeland mit 4,5 Jahren bislang die längste Amtszeit absolviert. In dieser Zeit brachte die heute 42 Jahre alte Ardern ihre heute dreijährige Tochter zur Welt. Unter den männlichen Staatsführern hat Recep Tayyip Erdogan mit bisher mehr als 19 Jahren die längste Amtsdauer. Er beschränkt die demokratischen Institutionen und unterdrückt die Opposition.
Inklusive nicht demokratischer Staaten haben weltweit nur in etwa 6 Prozent der 193 Staaten Frauen das Sagen, so die IPU (Inter-Parliamentary Union), eine globale Organisation nationaler Parlamente. Außerhalb Europas haben Bangladesch, Barbados, Gabun, Nepal und Togo eine Frau an der Regierungsspitze. In den USA schaffte es mit Kamala Harris im Jahr 2020 immerhin erstmals eine Frau zur Vizepräsidentin.
Der Anteil der Ministerinnen beträgt demnach 21,9 Prozent im Jahr 2021 und damit etwas mehr als im Vorjahr. Auch der Anteil der weiblichen Abgeordneten in den Parlamenten stieg leicht von 24,9 auf 25,5 Prozent. Die Europäische Union zählt zwar nicht als Staat und geht insofern nicht in diese Zahlen ein. Doch die Europäische Kommission wird von einer Frau geleitet, der Präsidentin Ursula von der Leyen.