Nach der Erdbebenkatastrophe: Chancen zur Versöhnung
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Menschen suchen nach Überlebenden in Hatay Antakya in der Türkei.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Berlin. Es ist eine Naturkatastrophe entsetzlichen Ausmaßes im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Die Erde hat gebebt und schreckliches Leid über Tausende Männer, Frauen und Kinder gebracht. In einer ohnehin schwer gebeutelten, politisch hochbrisanten Krisenregion, in der die internationale Gemeinschaft bisher keinen gemeinsamen Ansatz für Frieden gefunden hat.
Der autokratische türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht kurdischen Kräften in Nordsyrien immer wieder mit einer Invasion von Bodentruppen und unterstützt syrische Rebellen, die gegen das Regime von Machthaber Baschar al-Assad kämpfen. Der wird in seinem brutalen Bürgerkrieg wiederum von Kremlchef Wladimir Putin gestützt, dem Kriegstreiber in der Ukraine.
Die Welt eilt zu Hilfe
Ankara und Damaskus bitten nun um internationale Hilfe. Und bekommen sie. Auch von verfeindeten Staaten. Die Welt eilt zu Hilfe. Über alle Grenzen hinweg. Würde dieses selbstverständliche Zusammenrücken doch nur ebenso gelingen, wenn die Gewalt nicht von der Natur, sondern von Menschen ausgeht. Wie in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
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Die Liste der Länder, die die Türkei und Syrien unterstützen wollen, ist lang. Griechenland ist dabei, trotz schwerer diplomatischer Spannungen durch jahrelangen Streit um Inseln in der Ägäis und Erdgasvorkommen im Mittelmeer. Erdogan stellte mehrmals die Souveränität Griechenlands über Inseln wie Samos, Lesbos oder Chios infrage. Eine militärische Drohung gegen einen Nato-Partner. Ungeheuerlich.
Oder Deutschland und andere europäische Staaten, die Millionen syrische Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben, während Assad die Vereinten Nationen verhöhnte, die Milliarden Dollar für die Unterstützung von Bürgerkriegsopfern in Syrien ausgeben.
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Auch aus Deutschland machen sich Rettungskräfte auf den Weg: hier Mitarbeitende des Technischen Hilfswerks am Flughafen Köln/Bonn.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Hilfszusagen innerhalb von Stunden
Oder Schweden, das wegen Putins Feldzug gegen die Ukraine schnellstmöglich der Nato beitreten will und dabei von Erdogan blockiert wird, weil sich Stockholm weigert, Personen – darunter schwedische Staatsbürger – auszuliefern, die die türkische Regierung als Terroristen bezeichnet.
Neben den USA haben auch China, Japan, Australien, Neuseeland, die verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan sowie Russland und die Ukraine Hilfe zugesagt. Innerhalb von Stunden. Theoretisch könnten in diesen Tagen Russen und Ukrainer in demselben Schutthaufen nach Lebenszeichen von Verschütteten suchen, während sich ihre Landsleute im Donbass gegenseitig totschießen. Absurd.
Vor laufenden Kameras: Zweites Erdbeben lässt Wohngebäude einstürzen
Moment der Panik in Malatya. Die Stadt in der osttürkischen Region Anatolien ist am Montagmittag erneut von einem schweren Beben erschüttert worden.
© Quelle: Reuters
Jede gemeinsame Suche ein Stück Versöhnung
Türkinnen und Türken wird es in diesen Stunden gleichgültig sein, ob ihre Väter, Mütter oder Kinder von einem Griechen gerettet werden. Hauptsache, sie überleben. Es könnte ihnen dann auch egal sein, wer bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai gewählt wird. Erdogan, dessen Beliebtheitswerte gesunken sind, steht jetzt unter Druck, sein wirtschaftlich schwer angeschlagenes Land durch diese Katastrophe zu steuern. Er wird viel versprechen. Das birgt Wahlchancen.
Die Bevölkerung wird dankbar sein für jede Hilfe. Im Rebellengebiet Nordsyriens wird die Unterstützung von außen die einzige sein, die sie bekommen werden, denn staatliche Hilfe wird es kaum geben.
Wenn Hochhäuser durch Bomben zerstört und Menschen getötet werden, kann es eher noch zu Stellvertreterkriegen kommen als zu international vereinter Soforthilfe. Wenn sich die Erde auftut, Häuser einstürzen und unter sich Familien begraben, schicken Staaten ungeachtet ihrer Konflikte mit der jeweiligen Regierung umgehend Bergungstrupps. Darauf kann eine neue Annäherung folgen. Jeder Trost, jede Blutspende, jede gemeinsame Suche nach Überlebenden oder auch gemeinsame Trauer um die Toten ist ein Stück Versöhnung. Betroffene Menschen wissen das zu schätzen. Ihre Regierungen müssten es dann nur auch tun.