Ex-Verteidigungsminister Jung über die Ukraine: „Es ist zum Verzweifeln“
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Franz Josef Jung, ehemaliger Verteidigungsminister, bei einer Rede im Bundestag.
© Quelle: imago images / Metodi Popow
Herr Jung, wie sehen Sie die Lage in und um die Ukraine?
Die Lage ist dramatisch. Es ist zum Verzweifeln. Man kann Wladimir Putin nicht trauen. Die Erfahrung haben wir gemacht. Jetzt haben wir das Problem. Er hat gesagt, dass er die Ukraine nicht angreift. Dabei lag der Verdacht nahe, dass er es doch tut.
Was sollte Deutschland tun?
Wir sollten der Ukraine helfen, auch mit Waffen. Die Ankündigung, 5000 Helme zu liefern, fand ich blamabel. Wichtig ist vor allem Luftabwehr. Die Frage ist, ob es dafür nicht schon zu spät ist. Schließlich sind viele Flughäfen in der Ukraine bereits zerstört. Im Moment wird die Ukraine physisch ein Stück weit alleingelassen. Das ist ein verzweifelter Kampf, der da stattfindet.
Jetzt soll es ja Waffenlieferungen geben. Warum war Deutschland da bisher so zögerlich?
Wir haben den Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Aber besondere Situationen erfordern eine besondere Handlungsfähigkeit. Und in der Ukraine herrscht eine besondere Situation.
Fürchten Sie eine Eskalation auf dem Gebiet der Nato? Putin hat indirekt sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.
Das ist zurzeit nicht meine Einschätzung. Die Nato verstärkt ja im Moment ihre Kräfte in Osteuropa, um die Abschreckung deutlich zu machen. Bei einem Einsatz von Atomwaffen stünde die Welt in Flammen. Das weiß auch Putin.
Was folgt aus dem Krieg für die Zukunft der Bundeswehr, die ja jetzt mehr Geld bekommen soll?
Sie braucht dringend mehr Unterstützung, beim Personal und beim Material. Ich hätte zum Beispiel niemals die Wehrpflicht abgeschafft. Ich war ohnehin der Letzte, der noch etwas für die Bundeswehr tun konnte. Danach ist es nur nach unten gegangen. Die Bundeswehr muss handlungsfähig sein. In diese Lage muss man sie versetzen.
Wollen Sie zurück zur Wehrpflicht?
Die Frage stellt sich jetzt nicht. Aber wir sollten eine Debatte über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht führen. Jetzt stellt sich zuallererst die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Bundeswehr.
Teilen Sie die Einschätzung von Heeresinspekteur Alfons Mais, dass die Bundeswehr „blank“ dastehe?
Ich würde das so nicht formulieren. Aber dass Bedarf besteht, die Bundeswehr schlagkräftiger zu machen, das stimmt.
Wie lange wird der Krieg dauern?
Putin hat offenbar gedacht, dass es schneller geht. Er hat den Widerstand unterschätzt. Das Beste wäre eine Rückkehr zur Minsker Vereinbarung – und zwar von beiden Seiten.