Bundesverfassungsgericht zum Fall Oury Jalloh: Verletzung von Grundrechten „nicht zu erkennen“
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2005 starb der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle – gefesselt bei einem Feuer.
© Quelle: dpa
Im Fall des 2005 bei der Polizei verbrannten Asylsuchenden Oury Jalloh wird es keine neuen Ermittlungen geben. Das Bundesverfassungsgericht lehnte eine Verfassungsbeschwerde seines Bruders ab. Die Justiz in Sachsen-Anhalt habe keine Grundrechte verletzt.
Der aus Sierra Leone stammende Oury Jalloh war im Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt. Bisher ging die Justiz davon aus, dass der betrunkene Jalloh seinen Tod selbst verursacht hat. Mit einem Feuerzeug habe Jalloh – obwohl an Händen und Füßen fixiert – seine Matratze entflammt, um auf sich aufmerksam zu machen.
Auf derselben Wache kamen schon vorher Menschen ums Leben
Das Landgericht Magdeburg verurteilte 2012 den Polizisten Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe, weil er Jalloh nicht permanent beobachten ließ. Immerhin hatte der Polizeiarzt, der die Fixierung empfahl, vor Selbstverletzungen gewarnt.
Die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“ geht jedoch seit Langem davon aus, dass Oury Jalloh von Polizisten ermordet wurde, um Misshandlungen des Asylsuchenden nach der nächtlichen Festnahme zu vertuschen. So stellte sich heraus, dass auf der Dessauer Polizeiwache schon in den Jahren zuvor Menschen unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen. Auch gab es Indizien, dass das Feuerzeug, mit dem Jalloh die Matratze angezündet haben soll, erst nachträglich in den Brandschutt gelangte. Brandsachverständige kamen nach Versuchen zum Schluss, dass es unmöglich gewesen sei, allein mit dem Feuerzeug die Matratze zu entflammen.
Tatsächlich eröffnete die Staatsanwaltschaft Dessau 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts gegen die zwei Polizisten, die Jalloh zuletzt in der Zelle kontrollierten. Für die Initiative gelten als Hauptverdächtige jedoch zwei andere Polizisten, die Jalloh festgenommen hatten.
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Telekom lädt Mann von Bewerbungsgespräch aus – weil er aus Syrien stammt
Rami Alsurie ist deutscher Staatsbürger, so steht es in seinem Ausweis. Doch sein Geburtsland Syrien war kürzlich Grund für eine Ausladung von einem Bewerbungsgespräch bei der Telekom. Monteure dürften nicht die Staatsbürgerschaft gewisser Länder haben. Alsurie geht dagegen vor.
OLG: Jalloh könnte sich Knochenbrüche im Gesicht selbst zugefügt haben
Später übernahm die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren und stellte es ein. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg bestätigte die Einstellungen. Zuvor hatte sie in einem 218-seitigen Prüfbericht alle Beweise und Gutachten noch einmal geprüft und bewertet.
Ein Klageerzwingungsverfahren von Jallohs Bruder wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Naumburg im Januar 2020 abgelehnt. Es sei nach wie vor naheliegend, dass Jalloh die Matratze selbst entzündet hat, so das OLG. Die Versuche eines Brandsachverständigen seien nicht aussagekräftig genug, weil er einen anderen Matratzentyp verwendete. Ein Mord durch Polizisten setze voraus, dass sich alle Anwesenden auf der Wache verschworen hätten. Gegen abgesprochene Aussagen der Polizisten spreche aber, dass diese teilweise widersprüchlich waren. Gegen keinen der vier in Betracht kommenden Polizisten bestehe ein ausreichender Tatverdacht. Die bei Jalloh festgestellten Knochenbrüche im Gesicht könne sich dieser bei Stößen gegen die Seitenwände des Streifenwagens und gegen eine Tischplatte selbst zugefügt haben.
Dagegen erhob der Bruder Verfassungsbeschwerde. Die Ermittlungen seien voreingenommen gewesen und hätten nur das Ziel gehabt, das Verfahren einzustellen. Das OLG haben den Gruppendruck unter Polizisten ignoriert. Die Anforderungen des OLG an die Aufnahme von Ermittlungen seien übertrieben hoch.
Familie ruft den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an
Doch auch beim Bundesverfassungsgericht hatte der Bruder nun keinen Erfolg. In einem 31-seitigen Beschluss stellte eine dreiköpfige Kammer des Gerichts fest, dass die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe. Eine Verletzung von Grundrechten sei nicht zu erkennen.
Zwar habe der Bruder einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung, diesem sei die Justiz in Sachsen-Anhalt aber gerecht geworden. Sie habe umfassend ermittelt und komme zu zumindest vertretbaren Ergebnissen. An mehreren Stellen wiesen die Karlsruher Richter Darstellungen in der Verfassungsbeschwerde als sachlich falsch zurück. So sei die Auswertung des Brandversuchs durch ein Expertengremium nicht „klar und eindeutig“ gewesen, vielmehr hätten sich die Stellungnahmen der Sachverständigen „gerade nicht zu einem einheitlichen Bild gefügt“. Es gebe keine Anzeichen für eine Voreingenommenheit der Justiz in Sachsen-Anhalt.
Die Verfassungsrichter stützten sich auch auf eine 24-seitige Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, die im Beschluss ausführlich zitiert wird und die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für unbegründet hielt.
Die Familie Oury Jallohs will nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen.