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Hans Modrow: ein bewegtes Leben

Hans Modrow, ehemaliger SED‑Politiker und Delegierter der Linkspartei, sitzt beim Bundesparteitag der Linken im Plenum der Partei.

Hans Modrow, ehemaliger SED‑Politiker und Delegierter der Linkspartei, sitzt beim Bundesparteitag der Linken im Plenum der Partei.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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wer in den letzten Jahren Hans Modrow treffen wollte, der musste ihn in seiner Ostberliner Wohnung am Strausberger Platz aufsuchen – oder im fünften Stock des Karl-Liebknecht-Hauses, der linken Parteizentrale am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort hatte er als langjähriger Vorsitzender des Ältestenrates der Linken ein Büro, das mit acht, vielleicht auch zehn Quadratmetern sehr klein war, dafür aber alles Wesentliche enthielt, zumindest aus seiner Sicht: die Werke von Karl Marx und Friedrich Engels, die ordentlich im Regal standen. Übrigens konnte man aus demselben Büro auf die benachbarte Stasi-Unterlagen-Behörde blicken, die die giftigen Hinterlassenschaften des real existierenden Sozialismus verwaltete.

In der Nacht zu Samstag ist Modrow mit 95 Jahren gestorben. In Zeiten, in denen jeden Tag mehr passiert, als in eine Zeitung passt, war dieser Tod fast eine Randnotiz.

Modrow, 1928 in Westpommern geboren, galt in der DDR bekanntlich als Reformer. Der 1. Sekretär der SED‑Bezirksleitung Dresden sei einer, der auf die Menschen höre, hieß es. Das sollte sich während der friedlichen Revolution 1989 bemerkbar machen. So schrieben der einstige Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi und sein Nachfolger Dietmar Bartsch in ihrem Nachruf auf den letzten DDR‑Minister­präsidenten aus den Reihen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der friedliche Verlauf der Herstellung der deutschen Einheit sei sein „besonderes Verdienst“ gewesen. Manche Dissidenten teilen diese Würdigung. Nicht alle.

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25. Februar 1990, Berlin: Gregor Gysi (links), damals Parteivorsitzender der PDS, spricht auf dem 1. Parteitag der PDS mit dem damaligen Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Hans Modrow.

25. Februar 1990, Berlin: Gregor Gysi (links), damals Parteivorsitzender der PDS, spricht auf dem 1. Parteitag der PDS mit dem damaligen Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Hans Modrow.

Bei der Wahrnehmung seiner Person kamen dem Mann, der nach eigener Aussage von 1400 Euro Rente lebte, sein freundlicher Blick ebenso zugute wie die sanfte Stimme. Der allseits verhasste Egon Krenz konnte mit beidem nicht dienen.

Später zog Modrow zunächst in den Bundestag und anschließend ins Europaparlament ein. Und allmählich wandelten sich die Urteile. Das fand einen unmittelbar juristischen Ausdruck. 1995 wurde der Genosse wegen Anstiftung zur Wahlfälschung in der DDR zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Politisch pries er den „Sozialis­mus chinesischer Prägung“ und hielt auf Parteitagen Reden im hergebracht bürokratischen Duktus, denen niemand mehr so recht zuhörte.

Hans Modrow, letzter Ministerpräsident der DDR, spricht beim Bundesparteitag der Partei Die Linke. Am Ende hörte seinen Reden im bürokratischen Duktus keiner mehr wirklich zu.

Hans Modrow, letzter Ministerpräsident der DDR, spricht beim Bundesparteitag der Partei Die Linke. Am Ende hörte seinen Reden im bürokratischen Duktus keiner mehr wirklich zu.

Zuletzt machte ein Foto aus der Deutschen Demokratischen Republik die Runde, auf dem neben Modrow und anderen ein gewisser Wladimir Putin zu sehen war, aus dessen Zeit als KGB‑Agent in Sachsen. Über das Verhältnis der beiden ist nichts Näheres bekannt. Sicher ist, dass Modrow zu seinem 90. Geburtstag den russischen Orden der Freundschaft erhielt; das war 2018, vier Jahre nach der Annexion der Krim. Sicher ist ebenso, dass der Chef des Ältestenrates im vorigen Jahr für einen Eklat sorgte, als er nach dem russischen Angriff auf die Ukraine angeblich eigenmächtig eine Erklärung verfasste, in der stand: „Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ Der Angriff sollte demnach gar keiner gewesen sein. Das war selbst der bisweilen immer noch sehr russland­freund­lichen Linken zu viel. Der Parteivorstand hielt den damals 94‑Jährigen für nicht mehr tragbar. Er musste gehen.

Man sieht jedenfalls: Es geht nicht nur Modrow allein. Mit ihm geht deutsche Geschichte.

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Bemerkenswert an Hans Modrow waren neben seinen biografisch bedingten Irrungen und Wirrungen zweifellos seine Vitalität – und Irrtümer, die vielleicht nur hinter dem Eisernen Vorhang entstehen konnten. So flog der damals 85‑Jährige im Jahr 2013 an den Amazonas, um sich den Urwald anzugucken. Den hatte er eigentlich schon zwei Jahre vorher besuchen wollen, und zwar in Südafrika. Bis er feststellte, dass es da gar keinen Urwald gibt.

 

Bittere Wahrheit

„Wenn wir eine Möglichkeit haben, ein Regierungsbündnis anzuführen unter SPD-Führung, dann werden wir auch versuchen, dafür eine stabile politische Mehrheit zu organisieren.“

Franziska Giffey,

Sozialdemokratin und Regierende Bürgermeisterin von Berlin

In Berlin stellt sich jetzt eine sehr spannende Frage: Kann man Regierende Bürgermeisterin bleiben, wenn die eigene Partei bei der Wahl gerade mal 18,4 Prozent der Stimmen geholt hat und knapp 10 Prozentpunkte hinter der erstplatzierten Partei liegt? Franziska Giffey von der SPD scheint es versuchen zu wollen. Die wahlsiegenden Christdemokraten werden wiederum versuchen, sie daran zu hindern. Die Regierungsbildung in der deutschen Hauptstadt wird daher mindestens so spannend wie die Wahl. Und für den, der einen Sinn für die Komik parteipolitischer Verrenkungen hat, wird sie manchmal bestimmt auch ein bisschen lustig.

Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, verlässt das Podium.

Hier verlässt sie das Podium. Ob sie aber auch das Rote Rathaus verlässt, ist noch nicht ausgemacht: Franziska Giffey.

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Wie das Ausland auf die Lage schaut

Zum Wahlsieg der CDU in Berlin heißt es im Schweizer „Tages-Anzeiger“:

„Stärkste Partei waren die deutschen Christdemokraten bei der Wahl des Berliner Stadtparlaments zuletzt 1999, vor einem knappen Vierteljahrhundert also. Seit 2001 wird die Hauptstadt von den Sozialdemokraten regiert, zumeist in einem Linksbündnis mit den Grünen und der in Berlin starken Linkspartei. Insofern hat der gestrige Wahlsieg von Kai Wegners CDU durchaus historischen Charakter. Auf eigener Stärke gründet er eher nicht: Die Christdemokraten profitierten vor allem vom Unmut über die regierende rot-grün-rote Koalition von SPD‑Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Allerdings könnte es durchaus sein, dass die CDU am Ende daran scheitert, die nötigen Partner zum Regieren zu finden. Die in Berlin weit links stehenden Grünen hatten eine Koalition mit der CDU schon vor der Wahl praktisch ausgeschlossen. Eine große Koalition mit der SPD scheint auch eher unwahrscheinlich. Warum sollten SPD oder Grüne die Führung an die CDU abgeben, wenn sie trotz ihrer Verluste mit der Linkspartei weiter eine Mehrheit unter eigener Führung hätten?“

Gewann die Wahl in Berlin: Kai Wegner (M.), Landesvorsitzender CDU Berlin und Spitzenkandidat seiner Partei.

Gewann die Wahl in Berlin: Kai Wegner (M.), Landesvorsitzender CDU Berlin und Spitzenkandidat seiner Partei.

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Zur Debatte über die Bereitstellung von Kampfflugzeugen für die Ukraine meint die britische Zeitung „The Telegraph“:

„In der EU hat es Monate gedauert, bis Deutschland zugestimmt hat, seine Leopard‑2-Panzer anzubieten – oder auch nur anderen Ländern, die dieses Modell besitzen, zu erlauben, die Panzer zu liefern. Glaubt irgend­jemand, dass Berlin in der Lage sein wird, eine Entscheidung über Kampfflugzeuge schneller zu treffen? Die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz ist hinsichtlich des Umfangs ihrer Hilfe für die Ukraine gespalten. Und Deutschland hat sich schwergetan, von seinem früheren falschen Verhalten gegenüber Russland abzurücken.

Die Verzögerung bei den Panzern könnte nun bedeuten, dass die Ukraine nicht in der Lage ist, rechtzeitig schwere Waffen einzusetzen, um der neuen Offensive zu begegnen, die Wladimir Putin angeblich für die kommenden Wochen plant.

Die britische Zeitung „The Telegraph“ diskutiert, ob der Westen der Ukraine um Präsident Wolodymyr Selenskyj auch Kampfflugzeuge liefern sollte.

Die britische Zeitung „The Telegraph“ diskutiert, ob der Westen der Ukraine um Präsident Wolodymyr Selenskyj auch Kampfflugzeuge liefern sollte.

Es ist schön und gut, dass europäische Politiker Wolodymyr Selenskyj applaudieren und ihre Fototermine mit einem der beeindruckendsten westlichen Führer seit einer Generation genießen. Aber sie sollten sich schnell entscheiden, ob sie wirklich bereit sind, den Ukrainern Kampfjets zur Verfügung zu stellen, und in welchem Zeitrahmen. Besonders absurd wäre es, wenn sie sich dazu erst entschließen würden, wenn es zu spät ist.“

 

Das ist auch noch lesenswert

Meine Kollegen Steven Geyer und Jan Sternberg waren am Wahlabend in Berlin unterwegs. Dabei ist ihnen eine lebendige Reportage gelungen. Außerdem verdeutlichen Geyer und Sternberg, warum es bei der Wieder­holung der Wahl zum Abgeordnetenhaus wie so oft nicht um Anstand geht, sondern um die Mehrheit – auch wenn die Wahlkämpfer das Gegenteil behaupten: Nach der Wiederholungswahl: Alles geht in Berlin

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Am Wochenende findet die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Deren Leiter Christoph Heusgen warf am Montag vor Journalistinnen und Journalisten einen Blick voraus. Kristina Dunz, die ihn seit Langem kennt, war dabei: Münchner Sicherheitskonferenz ohne Russland – keine Einladung wegen „Zivilisationsbruch“

Wie Deutschland Erdbebenopfern aus der Türkei helfen will

Was Bundesverkehrsminister Volker Wissing mit der Bahn vorhat

 

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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!

Herzlich

Ihr Markus Decker

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