Mario Draghi: zu seriös für Rom
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Mario Draghi hat seinen Rücktritt als italienischer Premierminister angekündigt.
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Rom. Es gibt fähige Politiker, die unterschätzt werden. Das ist Mario Draghi nicht passiert: Seit er im Februar 2021 die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde ihm mit höchstem Respekt begegnet. Nicht wenige finden, Draghi sei das, wofür sich Silvio Berlusconi immer gehalten hatte: der beste Ministerpräsident seit der italienischen Einigung vor 160 Jahren.
Draghi wurde nicht unterschätzt, aber missverstanden, zumindest von den römischen Politikern und Politikerinnen. Sie glaubten, als Regierungschef sei Draghi einer wie sie geworden. Einer, der sich auf politische Tausch- und Kuhhändel einlässt, etwa: Gibst du mir eine Steueramnestie, stimme ich im Gegenzug der Liberalisierung der Strandbäder zu. Einer, dem man mit Maximalforderungen wenigstens ein Teilzugeständnis abringen kann. Einer, der vielleicht auch noch nach den nächsten Wahlen Premier bleiben will und sich damit erpressen lässt. Kurz: Einer, der bereit ist, die üblichen römischen Politikspielchen mitzuspielen und faule Kompromisse einzugehen.
Krisenrettung wie als EZB-Präsident
Die Politiker irrten sich, dabei hätten sie es besser wissen können. Mit der Aussage „Whatever it takes“ hatte Draghi als EZB-Präsident im Sommer 2012, als Spekulanten und Hedgefonds gegen die spanischen Banken und die italienischen Staatsschulden wetteten, sein Land und den Euro vor dem Kollaps bewahrt. „Alles, was nötig ist“: Das ist unverhandelbar und schließt halbe Sachen und halbseidene politische Deals aus.
Nach dem gleichen Motto wollte Draghi sein Land als Ministerpräsident aus der Krise führen. Auch seine Rezepte, wie er das anstellen wollte, hätten die Römer Politiker und Politikerinnen nachlesen können. Sie standen in dem Brief, den Draghi im Jahr 2011 als Chef der italienischen Notenbank an Regierungschef Silvio Berlusconi gerichtet hatte. In den Schreiben listete Draghi alle Reformen auf, die er für überfällig hielt. Es waren die gleichen wie heute. In dem Brief stand auch, was er unter einer seriösen Haushaltführung versteht.
Präsident Mattarella lehnt Draghis Rücktrittsgesuch ab
Fachleute vermuten, dass Mattarella versuchen könnte, Draghi zur Bildung einer neuen Regierung zu bewegen.
© Quelle: Reuters
Wie die Politiker und Politikerinnen auf die Idee kommen konnten, Draghi werde die von ihm seit Jahrzehnten geforderten Reformen ausgerechnet jetzt verwässern, wo er die Macht hat, sie durchzusetzen, bleibt ihr Geheimnis. Und dass nun immer noch viele Politiker in Rom hoffen, er werde schon noch auf seinen Rücktrittsentscheid zurückkommen, wenn sie ihm nur blinden Gehorsam und ewige Treue schwören, zeigt, dass sie den Mann immer noch nicht verstanden haben. Draghi weiß inzwischen, dass Versprechungen und Abmachungen im Politbetrieb Roms das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Der Einzige, der Draghi – vielleicht – noch umstimmen könnte, ist Staatspräsident Sergio Mattarella. Der Sizilianer, dessen Bruder von der Mafia erschossen wurde, ist aus dem gleichen Holz geschnitzt.
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