Katrin Göring-Eckardt: „Das Grundrecht auf Asyl steht im Grundgesetz“
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Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt.
© Quelle: picture alliance / photothek
Frau Göring-Eckardt, in Deutschland liebäugeln immer mehr Politiker mit Asylverfahren an den Außengrenzen der Europäischen Union. Sie auch?
Ich bin sehr für Humanität und Ordnung – aber nicht nach dem Motto: mehr Ordnung, weniger Humanität. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine durchgängige Registrierung an den Außengrenzen brauchen. Das werden die Länder mit EU-Außengrenze aber nur machen, wenn Geflüchtete anschließend verbindlich verteilt werden. Ein Budenzauber mit noch mehr und größeren und unmenschlicheren Lagern, aus denen die Geflohenen weder weiterreisen noch zurück in ihre Heimat können, hilft weder den Kommunen noch den Menschen in Not.
Ist die gerechte Verteilung nach den Erfahrungen der letzten Jahre etwa mit Ungarn oder Polen und dem Auftrieb für rechtsextreme Parteien in ganz Europa nicht total unrealistisch?
Diese Sorge habe ich auch. Deshalb haben wir immer für ein Konzept plädiert, das besagt: Geflüchtete werden aufgenommen und verteilt auf die Länder, die dazu bereit sind. Und die, die dazu nicht bereit sind, zahlen an die anderen Länder so viel, dass es sich für sie auszahlt, Menschen in Not aufzunehmen. Das System muss flexibel und zugleich verbindlich sein. Gleichzeitig bin ich natürlich für schnelle Verfahren inklusive Rückführungen. Doch es müssen rechtsstaatliche Verfahren sein.
Und bei all dem machen Sie keine Abstriche.
Das Grundrecht auf Asyl steht im Grundgesetz, und der Flüchtlingsschutz ist fest in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert. Das steht da nicht umsonst. Alle Schutzsuchenden haben das Recht darauf, dass ihr Antrag individuell geprüft wird.
Staaten wie Georgien und Moldau, aber auch die Maghreb-Staaten sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Lehnen Sie das ab?
Damit wird suggeriert, dass es dadurch leichter wird für die Kommunen. Tatsächlich kommen zum Beispiel aus Georgien nur 4 Prozent der Geflüchteten. Das bringt den Kommunen doch keine Erleichterung.
„Ich bin dafür, dass Straftäter abgeschoben werden, ganz klar“
Und was sagen Sie zu Forderungen nach mehr Abschiebungen und den geplanten Migrationsabkommen?
Bei Abschiebungen müssen die Herkunftsländer Geflüchtete zurücknehmen. Vorher müssen sie ihnen auch noch die entsprechenden Papiere ausstellen. All das passiert im Normalfall nicht. Deshalb sage ich: Migrationsabkommen sind eine sehr gute Sache. Sie müssen nur in beide Richtungen funktionieren. Die Herkunftsstaaten müssen Geflüchtete zurücknehmen. Auf der anderen Seite müssen wir ebenfalls etwas anbieten – zum Beispiel Visaerleichterungen und verbesserte Wirtschaftsbeziehungen. Wir müssen also eine Flexibilität herstellen, die den Herkunftsstaaten etwas nützt, statt zu sagen: Ihr nehmt gefälligst eure Leute zurück!
Die Ministerpräsidenten, der Kanzler und Bundesinnenministerin Nancy Faeser schließen Abschiebungen von Straftätern auch nach Afghanistan oder Syrien nicht mehr aus. Was sagen Sie?
Ich bin dafür, dass Straftäter abgeschoben werden, ganz klar. Sie haben das Recht verwirkt, hier zu sein. Sie in Länder wie Syrien abzuschieben bedeutet, sie in Lebensgefahr zu bringen. In einem Rechtsstaat sind Folgenabwägungen zu treffen: Dass aus einer Haftstrafe ein Todesurteil werden könnte, kann doch nicht okay sein. Deshalb sage ich: Wenn man Straftäter aus rechtsstaatlichen Gründen nicht abschieben kann, dann sollte man sie hier im Gefängnis sicher verwahren, damit sie nicht weitere Straftaten begehen können. Im Übrigen lehrt die Erfahrung, dass gerade abgeschobene Straftäter relativ schnell wieder in Europa sind.
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Nun gibt es ja eine generelle Tendenz zu sagen: Wenn wir schon die Ukrainerinnen und Ukrainer aufnehmen, dann müssen wir die sogenannte irreguläre Migration umso entschlossener abwehren.
Dazu sage ich: Anwerben und abwehren – das passt nicht zusammen. Deshalb haben wir zu Recht gesagt: Ukrainerinnen und Ukrainer können sofort arbeiten, und sie können auch privat untergebracht werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Auf der anderen Seite sind die Kommunen teilweise überfordert und sagen zu Recht: Das geht so nicht weiter. Ihnen würde helfen, wenn möglichst viele Geflüchtete arbeiten dürften, sie privat unterkommen könnten und ihr Status möglichst rasch geklärt würde. Den Kommunen hilft Planbarkeit, gerade was Ressourcen und Geld betrifft. Immer wieder ad-hoc-Entscheidungen wie bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler – das geht nicht mehr. Klar ist ebenso: Die von uns benötigten Fachkräfte werden nicht kommen, wenn immer der Eindruck entsteht, dass Einwanderung bei uns ein Problem ist.
Können wir noch auf Ihre Partei zu sprechen kommen?
Immer gern!
Die Grünen haben derzeit viele Krisenherde: Heizungsstreit, Graichen-Abgang, manchmal schlecht gelaunter Vizekanzler und schlechte Wahlergebnisse. Ist der Traum vom Kanzleramt schon wieder ausgeträumt?
Natürlich nicht. Wir sind in einer Zeit der gigantischen Veränderungen. Und in solchen Zeiten herrscht viel Unsicherheit. Alles muss viel schneller gehen, als man sich das wünschen kann. Das liegt unter anderem an der jahrelangen falschen Klimaschutzpolitik, der fehlenden Vorsorge früherer Regierungen und deren Weigerung, Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakatastrophe wirklich anzugehen. Heute ist die umso dringendere Notwendigkeit des Handelns für manche eine Überforderung. Uns Bündnisgrüne verpflichtet es dazu, die ökologische und die soziale Frage immer von Anfang an zusammen zu denken. Das ist unser Job. Den können wir besser machen, und den müssen wir besser machen.
Und sonst?
Abgesehen davon waren die Wahlergebnisse in Schleswig-Holstein viel besser als in Bremen. Robert Habeck arbeitet für unser Land in einer Zeit, die eine riesengroße Anstrengung bedeutet – für ihn persönlich und sein gesamtes Haus. Dass man einem Politiker in so einer Lage mal Anstrengung anmerkt, finde ich nur ehrlich. Die Leute dürfen ruhig wissen, dass wir Politiker auch Menschen sind und sehr viel für das Land arbeiten, manchmal Tag und Nacht.
Eine Verhinderungstaktik ist verantwortungslos.
Katrin Göring-Eckardt
Wie kann und sollte der Heizungsstreit weitergehen?
Wir können es uns in Deutschland nicht leisten, Menschen in eine Situation zu schicken, in der sie die Grundausgaben für Strom und Heizung nicht mehr schultern können. Das würde passieren, wenn wir die Wärmewende nicht schaffen. Denn die fossilen Energien werden immer teurer. Und wer sich jetzt noch schnell eine neue Öl- oder Gasheizung einbauen lässt, der wird am Ende in eine Lage geraten, in der Öl oder Gas extrem teuer werden.
Die FDP stellt den Zeitplan fürs Heizungsgesetz infrage. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagt, es sei ausgeschlossen, dass das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet werde.
Die Menschen brauchen Klarheit, so schnell wie möglich. Wir müssen das gemeinsam ordentlich machen. Die Klimakatastrophe wartet nicht, sie ist zu ernst, um auf Zeit zu spielen. Die Wärmewende muss kommen. Eine Verhinderungstaktik ist verantwortungslos.
In Ostdeutschland stellt sich das Problem nochmal besonders.
Ja, in Ostdeutschland ist die Situation immer noch ein bisschen anders. Da haben Menschen ihr kleines Häuschen oft geerbt. Sie haben häufig sehr kleine Einkommen und kaum Vermögen, schon gar keine Rücklagen. Da geht es nicht darum, einfach mal auf den zweiten Urlaub im Jahr zu verzichten. Deshalb schlagen wir als Fraktion gemeinsam mit Robert Habeck vor, dass wir eine Förderung bis zu 80 Prozent ermöglichen, die auch für neue Heizungsanlagen, die man mieten kann, gilt.
Ihre sächsische Parteifreundin Katja Meier hat gesagt, man könne Bundestagswahlen im Osten nicht gewinnen, aber verlieren. Stimmen Sie dem zu?
Der Blick nach Ostdeutschland ist existenziell für die Politik der Bundesrepublik insgesamt. Dass man immer so tut, als ob der Osten ein Problemfall wäre – davon halte ich wirklich gar nichts. Der Osten ist Teil dieses Landes – mit seinen guten und schlechten Erfahrungen wie den riesigen ganz grundlegenden Veränderungen in den 1990er-Jahren und später mit dem Zusammenbruch der Solarindustrie, der nicht zuletzt auf politisches Versagen zurückzuführen ist. Diese Erfahrungen haben die Leute im Gepäck, und die müssen wir berücksichtigen.