Der Ingenieur und die Mofa-Gang
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Präsidentschaftskandidat Rodolfo Hernandez zeigt seinen Stimmzettel vor der Stimmabgabe bei der Präsidentschaftswahl. Er hat gute Chancen, in der Stichwahl im Juni zum nächsten Präsidenten Kolumbiens gewählt zu werden.
© Quelle: Mauricio Pinzon/AP/dpa
Bogotá. Mehr als zwei Stunden brauchte der Wahlsieger, um am späten Abend vor seine Anhänger zu treten. Mit 40,32 Prozent der Stimmen ging Linkskandidat Gustavo Petro als Sieger durchs Ziel. Und doch war die Stimmung nicht so ausgelassen, wie man erwarten könnte. Denn der eigentliche Sieger war ein anderer: Rodolfo Hernandez (77), Ex-Bürgermeister von Bucaramanga, holte mit 28,15 Prozent Platz zwei und geht damit in die Stichwahl – und plötzlich ist er sogar leicht favorisiert. Denn Hernandez dürfte in der zweiten Runde, wenn die Karten völlig neu gemischt werden, auf die Unterstützung der Wähler der unterlegenen anderen Kandidaten Fico Gutierrez (23,91%) und Sergio Fajardo (4,2%) zählen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Sozialist Petro aus diesem Lager die notwendigen 10 Prozent holt. Aber auch nicht komplett ausgeschlossen.
Diese Protestwahl dürfte in die kolumbianische Geschichte eingehen: Das klassische rechte Lager, das das südamerikanische Land jahrzehntelang in verschiedener Ausprägung dominierte, ist mit Gutierrez krachend gescheitert und abgewählt. Für Amtsinhaber Ivan Duque ist das eine politische Ohrfeige, er durfte wegen einer in der Verfassung vorgesehenen Amtszeitbegrenzung nicht wieder antreten. Die Sieger Petro und Hernandez repräsentieren ein Protestpotential von fast 70 Prozent.
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„Ingenieur Rodolfo“ gibt sich als Außenseiter
Hernandez kultivierte auch am Wahlabend seine selbstgewählte Outsider-Inszenierung. Er nennt sich selbst „Ingenieur Rodolfo“ und grenzt sich damit geschickt von der Klasse der Berufspolitiker ab, zu der auch Petro zählt. An den letzten TV-Debatten nahm er erst gar nicht mehr teil. Der Bauunternehmer ist vor allem bei der Mittelschicht beliebt. Während in Petros „Pacto Historico“ Tänzerinnen und Tänzer von einer designten Bühne für Stimmung sorgten, gab Hernandez seine Stellungnahme aus einer Küche ab – ohne irgendwelches Brimborium drumherum. Und in seiner Heimatstadt machte sich eine Mofa- und Moped-Karawane auf den Weg, um den Weg ihres „Landsmannes“ zu feiern.
So richtig weiß niemand, für was und wen Hernandez eigentlich steht. Er ist der kleine gemeinsame Nenner derjenigen, die zwar einen Wandel wollen, aber keinen radikalen Linksruck. Hernandez pflegt einen rustikalen, bisweilen pöbelnden Umgangston, hat auch schon mal einen Kommunalpolitiker geohrfeigt. In drei Wochen könnte er zum neuen Präsidenten Kolumbiens gewählt werden – dem vielleicht am schwierigsten zu regierenden Land in Lateinamerika mit aktiven Guerilla- und Paramilitärbanden, einer immer mächtigeren Drogenmafia. Danach allerdings hilft dann kein Outsider-Gehabe mehr, sondern nur noch knallharte Realpolitik. Mit welcher Mannschaft er das tun will, ist unklar, vielleicht mit einem Großteil an Vertretern aus dem abgewählten rechten Lager. Dann hätte sich am Ende doch nicht so viel geändert.
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