Wer bringt die Leoparden in Bewegung?
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Wer sich sicher fühlt und Entspannung will, schläft auf dem Baum: Leopard in der Serengeti im Norden Tansanias.
© Quelle: imago stock&people
Westliche Geheimdienstler mussten sich keine Mühe geben, um in jüngster Zeit das massive Hochfahren der russischen Rüstungsindustrie zu bemerken. Es genügte ein Blick auf die Kantinenpläne.
In der Stadt Nischni Tagil zum Beispiel, 1300 Kilometer östlich von Moskau, ging Uralwagonsawod, die 1936 gegründete größte Panzerfabrik der Welt, zum Drei-Schicht-Betrieb über. Deshalb bietet die Kantine in dem legendären Werk neuerdings Verpflegung rund um die Uhr.
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Dies sei „ein Detail, das Bände spricht“, jubelte Victor Ternowsky, ein Propagandist der russischen Nachrichtenagentur Sputnik, auf Twitter. Die wackeren Kantinenbeschäftigten in Nischni Tagil, so lautet die offizielle Lesart, leisteten nun, weiße Haube auf dem Kopf, Kelle in der Hand, ihren ganz eigenen Beitrag zur Abwehr der „Aggression der Nato“.
„Ein Detail, das Bände spricht“: Die Kantine des Panzerwerks Uralwagonsawod im russischen Nischni Tagil ist derzeit rund um die Uhr geöffnet.
© Quelle: Sputnik
Die Entdeckung der deutschen Langsamkeit
Solche Rührigkeit ist in westlichen Panzerfirmen, namentlich den deutschen, ganz ungewohnt. Während es bei der Produktion von russischen T-90-Panzern bei Uralwagonsawod in diesen Tagen zugeht wie beim Bretzelbacken, herrschte im Land der legendären Leoparden lange Stillstand – der nun mühsam überwunden werden muss.
Der politische Kurswechsel in Berlin war nur der allererste Schritt. Jetzt zeigt sich: Das Kräftemessen des Westens mit Russland verlagert sich zusehends in die Werkshallen. Und die Deutschen erleben bei der praktischen Umsetzung ihrer neuen Leo-Beschlüsse die unangenehme Entdeckung der Langsamkeit.
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Hauptstadt-Radar
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Jahrzehntelang hat Deutschland, in überparteilichem Konsens, seine Panzerproduktion massiv heruntergefahren. Ergebnis: Die von Experten noch immer hoch gelobten und auf dem Schlachtfeld flinken Leopard-Panzer sind mittlerweile auf drei strategisch wichtigen Feldern zu langsam: Produktion, Instandsetzung, Lieferung von Ersatzteilen.
- Der Rüstungskonzern Rheinmetall meldete Mitte Januar, er habe nur noch 22 ältere Panzer vom Typ Leo 2 auf dem Hof. Deren Instandsetzung würde, wie Vorstandschef Armin Papperger Mitte Januar in einem Interview sagte, ein Jahr dauern: „Selbst wenn morgen die Entscheidung fällt, dass wir unsere Leopard-Panzer nach Kiew schicken dürfen, dauert die Lieferung bis Anfang nächsten Jahres.“
- Später hieß es aus Industriekreisen, „zehn bis 15″ aufbereitete Leopard 2 seien vielleicht noch dieses Jahr lieferbar. Gegenüber dem RND teilte später ein Sprecher mit, der Rüstungskonzern könnte insgesamt 139 Leopard-Panzer der Typen 1 und 2 liefern. Die Ukraine ist aber vor allem am Typ 2 interessiert.
Kräftemessen in den Werkshallen: Industrielle Produktion neuer Kampfpanzer m russischen Werk Uralwagonsawod in Nischni Tagil im Januar 2023.
© Quelle: Rob Lee / Twitter
- Die Bundesregierung sagte in ihren jüngsten Beschlüssen 14 Panzer vom Typ Leo 2 A 6 zu - ohne Lieferdatum.
- Jetzt sollen zumindest einige schlafende Leoparden deutlich früher geweckt werden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hofft auf Lieferzeiten von drei Monaten für erste Exemplare. „Möglichst nächste Woche“ will er Gespräche mit der Industrie führen, wie er am Mittwochabend in den „Tagesthemen“ sagte. Termine wollte er aber auf Nachfrage von Moderatorin Carin Miosga ausdrücklich nicht nennen.
- Schon die Instandsetzung der alten Panzer würde mehrere Hundert Millionen kosten. „Das kann Rheinmetall nicht vorfinanzieren“, hatte Rheinmetall-Chef Papperger betont.
Allen Beteiligten ist klar: Die eingemotteten Leos zu wecken wird teuer. Zugleich gibt es weitere Gewissheit: Eine Produktion neuer Leopard-2-Panzer indessen würde noch deutlich länger dauern und noch mehr kosten als das Herrichten von alten.
Schätzungen über die genauen Lieferfristen gehen in Expertenkreisen weit auseinander. Panzer wie der Leopard 2, analysierte dieser Tage die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ), würden schon gar nicht mehr industriell hergestellt, sondern „in Manufakturarbeit“. Von der Produktion des Panzerstahls bis zur Übergabe des Fahrzeugs an den Kunden vergingen „mitunter zwei Jahre“.
Industriepolitisches Risiko für Deutschland
Der einzige Weg, um auf die von der Ukraine gewünschte dreistellige Zahl von Kampfpanzern zu kommen, lag in einer europaweiten Panzerspenden- und -sammelaktion.
Wie aber sollen am Ende, wenn ein solcher Prozess die Arsenale schrumpfen lässt, die an die Ukraine gelieferten Leos ersetzt werden? Und von wem? Hier stellt sich eine heikle Frage, strategisch und ökonomisch, über die bislang kaum diskutiert wurde.
Für Deutschland wächst derzeit ein industriepolitisches Risiko. Wenn es schlecht läuft für die Deutschen, könnten nach und nach die technologisch hoch angesehenen Panzer-Produzenten Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall erstmals dauerhaft ins Abseits geraten. Denn die Leo-Spender-Staaten brauchen angesichts der angespannten Lage so schnell wie möglich Ersatz – die Deutschen aber dürften nach aktuellem Stand der Dinge zu langsam zu sein, um die Panzerhallen europaweit rasch wieder auffüllen zu können.
Neuer Warschauer Vertrag: 1000 Panzer aus Südkorea
Die internationale Konkurrenz läuft sich schon warm. Polen hat bereits im ersten Ukraine-Kriegsjahr ein Exempel statuiert und Panzer nicht mehr wie früher üblich in Deutschland gekauft: Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bestellte in Südkorea 1000 nagelneue Kampfpanzer vom Typ K-2.
Der neue Warschauer Vertrag lässt aufhorchen. Die US-Denkfabrik Jamestown Foundation spricht vom größten Waffengeschäft in der Geschichte Südkoreas. Nach der Vereinbarung vom Juni 2022 soll Seoul der polnischen Armee nicht nur Panzer liefern, sondern auch moderne Artilleriesysteme und Kampfflugzeuge. Polen überweist dafür in den nächsten Jahren zweistellige Milliardenbeträge an die koreanischen Unternehmen Hyundai Rotem, Hanwha Defense und Korea Aerospace Industries. Dies alles geschieht, während in Brüssel, Paris und Berlin in rüstungspolitischen Sonntagsreden stets von mehr europäischer Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik die Rede ist.
Boris Pistorius kündigt Gespräche mit Rüstungsindustrie an
Boris Pistorius (SPD), Bundesverteidigungsminister, besuchte am Donnerstag einen Truppenübungsplatz in Altengrabow.
© Quelle: Reuters
Weil die Südkoreaner ihre Hightechwaffen industriell und in hoher Stückzahl fertigen, könnten sie in den kommenden Jahren auch mögliche „Leo-Lücken“ in anderen Nato-Staaten schneller und kostengünstiger auffüllen als die deutschen Lieferanten. Zur gewachsenen politischen Akzeptanz Südkoreas in Europa trägt bei, dass die südkoreanischen Konzerne zugesagt haben, einen Teil ihrer Rüstungsproduktion nach Polen zu verlegen. Die Zusammenarbeit mit Polen ist nicht auf einige Jahre, sondern auf einige Jahrzehnte angelegt. Ein Clou am Rande: Südkorea soll auch zivile Hochtechnologieprojekte in Polen begleiten, etwa den Bau neuer Atomkraftwerke und die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft.
„Deutschland hat strategische Chancen verpasst“
Der Militärexperte Nico Lange, bis Ende 2021 Chef des Leitungsstabs im Berliner Verteidigungsministerium, sieht in der in Deutschland bislang nur wenig diskutierten Hinwendung Polens nach Südkorea mehr als nur ein Alarmsignal: „Deutschland hat strategische Chancen verpasst“, sagt Lange. Die deutsche Rüstungsindustrie hätte aus seiner Sicht unbedingt versuchen müssen, Polen eigene gute Angebote zu machen. Auch hätte die deutsche Politik sich um die Förderung von Rüstungsstandorten in Osteuropa kümmern müssen. Inzwischen blicke Berlin auf die Quittung für ein doppeltes Versagen, ökonomisch und politisch.
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Nico Lange.
© Quelle: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)
In Nato-Kreisen in Brüssel heißt es, derzeit würden generell in den europäischen Staaten des Bündnisses viele Karten neu gemischt. Manches laufe dabei offenbar zulasten Berlins. Langfristige Entfremdungstendenzen, etwa zwischen Berlin und Warschau, hätten sich mit aktuellen Aufwallungen vermengt. „Die letzten Wochen“, orakelt ein Nato-Mann in Brüssel, „waren ja wirklich keine Werbewochen für die Deutschen.“
Hinter den Kulissen war von Funkenflug zwischen dem Weißen Haus und dem Kanzleramt die Rede. Auf offener Bühne nannte zugleich Polens Premier Mateusz Morawiecki die Haltung Berlins zu den Leo-Lieferungen „inakzeptabel“. Hinzu kamen irritierende Geräusche aus Berlin selbst, etwa die noch immer widerhallende Äußerung der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): „Die Geschichte schaut auf uns und Deutschland hat leider versagt.“
T 90 M in immer schnellerem Takt
Am Ende gelang zwar der von Kanzler Scholz verfolgte internationale Panzer-Deal. Eine Vermittlerrolle zwischen Berlin und Washington soll einmal mehr der hinter den Kulissen leise, aber effizient wirkende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gespielt haben.
Bedauert wird bei der Nato dennoch der zum Teil offene politische Funkenflug innerhalb des Bündnisses. Dass der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow, triumphierend von immer neuen Hinweisen auf „wachsende Nervosität“ innerhalb der Nato sprach, war nicht ganz aus der Luft gegriffen.
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Masse statt Klasse? Russischer Panzer aus der Reihe T 90 im Jahr 2013 auf dem Roten Platz in Moskau.
© Quelle: Wikipedia CC BY 2.0
Russland setzt unterdessen, stumpf ist Trumpf, auf die industrielle Produktion neuer Panzer in immer schnellerem Takt. Rollt da Masse statt Klasse an? Schon in Sowjetzeiten war diese Frage sekundär. Der eine oder andere technische Nachteil des vom Grundkonzept her nicht ganz neuen T 90 M etwa, der derzeit in Nischni Tagil gebaut wird, könnte heute wie damals ausgeglichen werden durch die schlicht höhere Zahl von Fahrzeugen auf dem Schlachtfeld.
Einiges trommelt die staatliche Nachrichtenagentur Tass, sei aber doch neu am T 90 M, zum Beispiel eine „reaktive Panzerung der nächsten Generation, eine neue Kanone und ein stärkerer Motor“. Westliche Militär-und Technikexperten bleiben da skeptisch.
Unbestätigte Informationen über Fehlfunktionen in neuen russischen Panzern machen bei russischen Militärbloggern die Runde. In Putins Truppen scheint es Misstrauen gegenüber den eigenen Produkten zu geben. Die britische Regierung betonte diese Woche, Russlands Verteidigungsminister Sergei Shoigu selbst habe mit Blick auf den allerneuesten russischen Panzer vom Typ T-14 von ersten „experimentell-industriellen“ Chargen gesprochen. Gerüchte zufolge konnten einige Exemplare nicht gleichzeitig schießen und fahren.
Bei den Leoparden ist das bekanntermaßen anders. Sie würden nicht zuletzt psychologisch einiges drehen auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz - wenn sie sich denn bald in größerer Zahl mobilisieren lassen.