Wahrscheinlichkeit sei „sehr hoch“: Russischer Giftgasangriff in Mariupol?
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In Mariupol werden weiter Zivilisten evakuiert.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Kiew. Kurz nach einer russischen Drohung mit dem Einsatz von Chemiewaffen in Mariupol hat das ukrainische Asow-Regiment von einem angeblichen Angriff mit Giftgas berichtet. Eine unbekannte Substanz sei mit einer Drohne über der seit langem umkämpften Stadt abgeworfen worden, teilte das Freiwilligenbataillonen am in seinem Telegram-Kanal mit. Unabhängig überprüfen lässt sich dies nicht.
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In der Videonachricht sagte Asow-Führer Andrey Beletsky, dass Russland das Stahlwerk Azovstal in Mariupol mit angegriffen habe. Drei Personen hätten deutliche Anzeichen einer Vergiftung. Beletsky glaubt, dass Russland Mariupol wegen der ukrainischen Verteidigung nicht einnehmen könne und daher nun zu Chemiewaffen greife.
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Es gibt Berichte, wonach die Opfer unter Atemprobleme und dem Verlust des Gleichgewichtssinns leiden. Der Berater des Bürgermeisters von Mariupol, Petr Andryushchenko, sagte: Man können den Menschen in Mariupol keine Ratschläge geben, was sie im Falle eine Chemiewaffeneinsatzes tun sollen. Denn in der Stadt gebe es fast keine Fenster oder geschlossenen Räume mehr, kein fließendes Wasser und keine sanitären Anlagen.
Der militärischer Anführer der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Eduard Bassurin, sagte jedoch, russische Streitkräfte würden wahrscheinlich am 11. April nicht näher bezeichnete chemische Waffen gegen ukrainische Streitkräfte in Mariupol einsetzen. Es gebe Schwierigkeiten, die Stadt zu stürmen. Kreml-Medien verstärkten Bassurins Behauptung eines chemischen Angriffs.
Der öffentliche-rechtliche ukrainische TV-Sender Suspilne berichtete aber, es gebe keine Bestätigung durch offizielle Stellen. Zwar hielten Militärquellen die Wahrscheinlichkeit eines Chemiewaffenangriffs durch die russische Seite für „sehr hoch“. Der Sender bemühe sich um eine Bestätigung durch Militär oder Geheimdienst. Den Asow-Angaben zufolge litten die getroffenen Personen unter Atembeschwerden und Bewegungsstörungen.
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Die Behörden in Kiew haben noch am Dienstag Ermittlungen eingeleitet. Vizeverteidigungsministerin Hanna Maliar sagte am Dienstag im ukrainischen Fernsehen, es gebe einen Hinweis, „dass es, möglicherweise, Phosphormunition war“.
Die USA haben den Giftgas-Angriff zunächst ebenfalls nicht bestätigt. Pentagon-Sprecher John Kirby sagte bei CNN, das Pentagon könne den Bericht aus Mariupol derzeit nicht bestätigen, man sei aber sehr besorgt. „Wenn diese Berichte wahr sind, sind sie zutiefst besorgniserregend und spiegeln unsere Bedenken wider, dass Russland bereit ist, eine Vielzahl von Waffen in der Ukraine einzusetzen, einschließlich Tränengas gemischt mit chemischen Mitteln.“
Die britische Außenministerin Liz Truss kündigte an, die Berichte zu prüfen.
Nach Angaben westlicher Militärexperten spitzt sich die Lage in Mariupol zu. Russische Kräfte hätten die ukrainischen Verteidiger zurückgedrängt. Die Ukrainer haben sich unter anderem in dem Stahlwerk Asowstal verschanzt. Der Militärsprecher der prorussischen Separatisten von Donezk, Eduard Bassurin, sagte, eine Einnahme der unterirdischen Befestigungen auf dem Fabrikgelände wäre zu verlustreich. Deshalb solle man auf chemisch bewaffnete Truppen setzen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verwies in seiner nächtlichen Videoansprache auf diese Drohung. „Wir nehmen das höchst ernst.“ Ein möglicher Chemiewaffenangriff sollte für ausländische Staaten Anlass sein, noch härter auf die russische Aggression zu reagieren, sagte Selenskyj.
Russland hat im Syrien-Krieg nicht selbst Chemiewaffen eingesetzt, aber den nachgewiesenen Abwurf von Bomben mit Giftgas durch die syrische Regierung gedeckt und abgestritten.
Einem führenden Vertreter des britischen Verteidigungsministeriums zufolge sind für den Fall eines russischen Einsatzes von Chemiewaffen in der Ukraine „alle möglichen Optionen auf dem Tisch“. Dies erklärte der Verteidigungs-Staatssekretär James Heappey mit Blick auf eine mögliche Reaktion des Westens. Er sagte, weder die britische noch die ukrainische Regierung hätten Berichte, in Mariupol sei möglicherweise eine Chemiewaffe eingesetzt worden, bestätigt.
RND/dpa/AP/scs