Von Putins „Schoßhund“ zu Moskaus lautestem Beller
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Bringt er sich für die Putin-Nachfolge in Position? Dmitri Medwedews verbale Kraftmeierei gibt im Westen Rätsel auf.
© Quelle: Yekaterina Shtukina/Pool Sputnik
Es scheint, als hätte mit Kriegsbeginn im Kreml ein Wettbewerb unter den Gefolgsleuten Wladimir Putins begonnen: Wer poltert am lautesten, wer hetzt am unflätigsten, wer überbietet den Präsidenten in dessen krudem Weltbild.
Einer, der früher eher still, auffallend höflich daherkam und für die europäischen Partner früher fast als vernunftgeleiteter Hoffnungsträger galt, hat sich an die Spitze der Schamlosen im Kreml gepöbelt: Dmitri Medwedew, der einst für Putin das Präsidentenamt übernahm, als dieser verfassungsgemäß vier Jahre pausieren musste, und ansonsten als dessen willfähriger Regierungschef weltweit bekannt wurde.
Auslöschung der gesamten Ukraine angedroht
Erst am Mittwoch kündigte er die Auslöschung der gesamten Ukraine an. „Wer hat denn gesagt, dass die Ukraine in zwei Jahren überhaupt noch auf der Weltkarte existieren wird?“, schrieb er auf Telegram. Eine blumige Fantasie legt der „stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates“, so Medwedews heute eher unbedeutender Titel, an den Tag, geht es um die Umschreibung seiner Gegner: Die US-Regierung bezeichnete er als „Puppenspieler von jenseits des Ozeans mit deutlichen Anzeichen senilen Wahnsinns“, Kiews Führung als „vereinzelte Missgeburten, die sich selbst als ‚ukrainische Regierung‘ bezeichnen“.
Im Vergleich dazu beinahe schon gnädig wurden jetzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Kanzler Olaf Scholz und Italiens Regierungschef Mario Draghi als „europäische Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti“ bezeichnet, die „es lieben, Kiew zu besuchen“, schrieb Medwedew am Donnerstag auf seinem Twitter-Account. „Mit null Nutzen.“
„Vollwertigen Atomkrieg“ ins Spiel gebracht
Weniger rüpelhaft, dafür gefährlich sind seine politischen Drohungen: Er war es, der einen „vollwertigen Atomkrieg“ ins Spiel brachte, sollten die westlichen Waffenlieferungen nicht aufhören. Im Februar sagte Medwedew, der Ausschluss Russlands aus dem Europarat sei eine gute Gelegenheit, um über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Russland nachzudenken, die seit Jahrzehnten einem Moratorium unterliegt.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige russische Staatspräsident Dmitri Medwedew 2010 auf einer Pressekonferenz vor dem Gästehaus der Bundesregierung in Meseberg.
© Quelle: picture alliance / dpa
Einer, der Medwedew in seiner „präsidialen Phase“ kennenlernen durfte, war der damalige „Spiegel“-Korrespondent Christian Neef. „Man merkte den Professorensohn, während Putin eben vom Hinterhof kommt. Ich hatte stets den Eindruck, Medwedew spiele die Rolle Präsident. Auch, als wir dann ein Foto-Shooting machten, ging es ihm nur darum, wie er vorteilhafter, also größer aussieht.
Damals spielte er den liberalen Denker
Ansonsten breitete er uns damals all seine liberalen Ideen aus: Er propagierte sein Lieblingsobjekt, das Wissenschaftsstädtchen Skolkowo bei Moskau, prangerte die primitive Rohstoffwirtschaft und die chronische Korruption in seinem Land an und forderte, bei Gas und Öl, er nannte das „unsere Droge“, endlich umzudenken und Russlands einseitige Abhängigkeit von ihnen zu beseitigen“, sagte Neef dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Stellt sich die Frage, warum einer, der offenbar in Russland längst in die zweite Reihe verwiesen wurde, jetzt dermaßen vom Leder zieht. Der ehemalige russische Oppositionsabgeordnete Dmitri Gudkow glaubt, Medwedew bereite sich auf einen Machtwechsel vor, sollte Putins Amtszeit zu Ende gehen. Seine antiwestlichen Tiraden gelten als attraktiv für Hardliner in den russischen Militär- und Sicherheitsstrukturen, die ihn als zu liberal und leichtgewichtig ansehen, und versuchen, das Vertrauen von Putin zurückzugewinnen.
„Immerhin ist er im Sicherheitsrat Putin Stellvertreter. Daher könnte das schon als Testballon für harte Aussagen dienen, die Putin so nicht machen will“, glaubt Christian Neef. Schränkt gegenüber dem RND jedoch ein: „Ich glaube aber nicht daran. Die aggressiven Posts, die er jetzt absetzt, passen überhaupt nicht zu seinem Wesen, sie sind genauso aufgesetzt wie sein damaliges Präsidentengehabe. Er weiß, dass er ein erfolgloser Politiker ist, der nicht mehr viel Achtung im Volk besitzt.“
Tatsächlich hatte Medwedew in Russland ein schlechtes Image. Es existiert ein Filmschnipsel, der ihn auf einer Party zeigt. Medwedew, damals Präsident, tanzt mit einer Schönen, bewegt sich dabei aber so hölzern, dass er an den vom britischen Komiker Rowan Atkinson gespielten Mr. Bean erinnert.
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Ist Medwedew bei Putin unten durch?
In Russland wurde das Duo Putin/Medwedew damals „Dima & Boss“ genannt, mitunter wegen Medwedews leicht femininer Aura auch „Dama & Boss“. Putin sicherte Medwedews Loyalität ab, indem er ihn reich werden ließ, sehr reich. Der mittlerweile in Dauerhaft sitzende Oppositionelle Alexander Nawalny hatte 2017 schwerwiegende Korruptionsvorwürfe gegen den Putin-Vertrauten erhoben. Heute gehöre Medwedew mit einem geschätzten Vermögen von über einer Milliarde Dollar zu den „reichsten und korruptesten Politikern Russlands“.
Neef glaubt, dass Medwedew längst auch bei Putin unten durch ist: „Der hat ihm gleich nach Übertragung der Präsidentschaft zweierlei übelgenommen und nie verziehen: das schlappe Handeln zu Beginn des Georgien-Krieges 2008 und später die Unterstützung der Uno-Resolution über das Flugverbot für Libyen. Damit hatte er sich in Putins Augen als Präsident diskreditiert. Das alles versucht Medwedew nun durch dieses rowdyhafte Verhalten, diese verbale Aggression, vergessen zu machen.“
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