Menschenrechtsbeauftragte: „Verhindern, dass Ukraine-Flüchtlinge Opfer von Menschenhandel werden“
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Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg.
© Quelle: Daniel Reinhardt/dpa
Berlin. Frau Amtsberg, Sie waren gerade drei Tage in Warschau und an der polnisch-ukrainischen Grenze. Was ist Ihr Eindruck?
In Polen sind innerhalb von zwei Wochen 1,7 Millionen ukrainische Flüchtlinge angekommen, das ist überall sichtbar. Überall wurden von der polnischen Zivilgesellschaft Krisenstrukturen aufgebaut, an der Grenze, an Bahnhöfen, auf Autobahnraststätten. Was da geleistet wird, ist unglaublich. Die Hilfsbereitschaft der polnischen Bürgerinnen und Bürger ist enorm. Jeder ist in der ein oder anderen Form involviert.
Wie übersichtlich ist die Lage?
Die Lage ist prekär. Die Menschen sind erschöpft, auf allen Seiten. Helfende und Fliehende brauchen eine Perspektive. Viele haben ihre Häuser verloren und es ist nicht abzusehen, wie die nächsten Tage und Wochen verlaufen werden, wann und ob eine Rückkehr möglich ist. Europa muss sich also darauf einstellen, Schutzsuchende dauerhaft aufzunehmen. Dafür braucht es Plätze in Schulen und Kindergärten, es braucht Jobs, Wohnungen, Sprachkurse, medizinische und psychologische Versorgung. In Polen müssen viele dieser Strukturen auf- und ausgebaut werden. Die EU, also auch die Bundesregierung, müssen neben der humanitären Hilfe in der Ukraine auch die Nachbarstaaten unterstützen. Im Fokus stehen müssen dabei die Städte und Gemeinden, denn dort liegen die größten Herausforderungen.
Denken Sie an finanzielle Unterstützung?
Auch, aber nicht nur. Es gibt 400 deutsch-polnische Städtepartnerschaften. Viele haben bereits jetzt engen Austausch über die Frage, wie man konkret gemeinsam helfen kann. Sowohl die Zivilgesellschaft als auch Nicht-Regierungsorganisationen und Städte haben mir gegenüber den Wunsch geäußert, mit ihren deutschen Partnern Erfahrungen auszutauschen. Für einen solchen Austausch möchte ich gern den Rahmen setzen.
Welche anderen Probleme gibt es?
Was mich wirklich besorgt, ist, dass es keine wirkliche Koordinierung bei der Verteilung von Geflüchteten gibt. Ich habe bei meinem Besuch selbst erlebt, dass private Unternehmen mit Bussen zu den Aufnahmeeinrichtungen an die Grenze fahren und Transport anbieten, in die Niederlande, nach Deutschland oder Dänemark zum Beispiel. Auch in Deutschland bieten Privatpersonen und Freiwillige Unterstützung und Wohnungen an. Das Engagement ist großartig und notwendig. Dennoch handelt es sich bei den Schutzsuchenden vor allem um Frauen und Kinder – das sind besonders vulnerable Menschen. Wir dürfen hier nicht unsere staatliche Schutzverantwortung außer Acht lassen und müssen ausschließen können, dass sie im schlimmsten Fall Opfer von Menschenhandel oder Ausbeutung werden. Leider wurde mir schon von einigen solcher Fälle berichtet. Hier sehe ich die staatlichen Akteure klar in der Verantwortung, zu koordinieren, abzusichern und selbst Strukturen bereitzustellen.
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© Quelle: RND
Was muss passieren?
Die Verteilung in Europa muss koordiniert werden und wir können unseren eigenen Beitrag dazu leisten. Koordinierung über das BAMF, mehr staatliche Transportmöglichkeiten und eine enge Kooperation mit den Freiwilligen und den NGOs. Wenn jeder weiß, was der andere tut, kann man kriminelle Strukturen erkennen und verhindern.
Die Opposition kritisiert, die staatliche Hilfe in Deutschland laufe zu langsam an.
Das kann ich nachvollziehen, gleichwohl ist es eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Wie viele Geflüchtete Schutz in Deutschland und Europa suchen, hängt sehr von den Kriegshandlungen und den weiteren Verlauf ab. Wir sind uns einig, dass wir jetzt unverzüglich alle Strukturen aktivieren und ausbauen müssen. Auch die Mittel für die humanitäre Hilfe müssen zügiger bereitgestellt werden.
Haben Sie die Befürchtung, dass sich unter die Flüchtlinge auch sogenannte „Gefährder“ mischen?
Selbstverständlich müssen wir das im Blick haben. Der polnische Grenzschutz hat mir versichert, dass alle Menschen an der Grenze zu Polen kontrolliert und ihre Daten mit Interpol abgeglichen werden.
Es gibt Berichte, dass Nicht-Ukrainer Probleme haben, das Land zu verlassen, zum Beispiel Studentinnen und Studenten.
Ich habe das in meinen Gesprächen thematisiert. Es darf keinen Unterschied machen, welchen Status ein Mensch hat, der ein Kriegsgebiet verlässt. Mir wurde versichert, dass alle Schutzsuchenden nach Polen reingelassen werden. Auf europäischer Ebene ist dies ebenso zentral. Wir dürfen den Schutz nicht vom Pass abhängig machen.
Ist sichergestellt, dass ukrainische Flüchtende in Deutschland nicht andere Flüchtende verdrängen, zum Beispiel aus Sprachkursen?
So eine Verdrängung darf und kann es nicht geben. Asylsuchende in Deutschland haben einen Rechtsanspruch auf Versorgung, Unterbringung und Integrationsleistungen. Nochmal: Wir müssen die Strukturen auf- und ausbauen.