Özil als Erdogans Sportminister? „Er wird in der Türkei eher belächelt als gefeiert“
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Das Foto, das 2018 für Zoff sorgte: Ex-Fußballprofi Mesut Özil (links) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
© Quelle: -/Pool Presdential Press Service
Istanbul/Aachen. Der frühere Fußball-Weltmeister Mesut Özil (34) ist als Unterstützer des gerade wiedergewählten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (69) bekannt. Nach dessen Erfolg in der Stichwahl teilte Özil am Sonntagabend auf Instagram ein Foto, auf dem er mit Erdogan und seiner Gattin Emine Erdogan vor dessen Flugzeug zu sehen ist.
Die Nähe zum türkischen Präsidenten ist auch immer wieder Auslöser für Gerüchte. So auch dieses Mal: Wird Özil der türkische Sportminister in Erdogans neuem Kabinett? Das fragten sich zuletzt türkische Medien und die „Bild“-Zeitung. Der Türkei-Experte Mahir Tokatli erklärt im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), ob an dem Gerücht etwas dran ist.
Özil besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft
„Das Kabinett wird, wie nach Wahlen üblich, definitiv umgebildet“, sagt der Politikwissenschaftler. Die Ministerinnen und Minister ernennt der Präsident, sie müssen nicht wie beispielsweise in den USA durch den Senat bestätigt werden. Wer einen Ministerposten in der Türkei bekleidet, muss nicht als Abgeordneter oder Abgeordnete gewählt sein. Ein Fakt spricht aber klar gegen den Ex-Fußballer: „Da Mesut Özil keine türkische Staatsbürgerschaft besitzt, sondern nur die deutsche, kann er aktuell kein Minister werden – es sei denn, er wird noch nachträglich im Schnellverfahren eingebürgert“, erklärt Tokatli. Deshalb durfte er auch nicht wählen.
Als Sohn türkischer Eltern besaß der in Gelsenkirchen geborene Özil bis zu seinem 18. Lebensjahr die türkische Staatsbürgerschaft. Er entschied sich dann aber für die deutsche Staatsbürgerschaft.
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Der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Mahir Tokatli.
© Quelle: Universität Bonn/Barbara Frommann
Türkische Medien berufen sich auf deutsche Zeitung
Die Herkunft des Gerüchts wirft weitere Zweifel auf. Bei seiner Recherche für das RND war Tokatli erstaunt: „Die türkischen Medien berufen sich allesamt auf die ‚Bild‘-Zeitung als Quelle“, berichtet der Experte. In dem Artikel der deutschen Zeitung steht allerdings, dass türkische Medien zuvor spekulierten. Das kann der Experte nicht bestätigen: „Ich habe keine türkischen Medien, die vorher spekuliert haben. Sie beziehen sich alle auf die ‚Bild‘-Zeitung“, erklärt er.
Bereits vor den Wahlen gab es das Gerücht, dass Mesut Özil auf der AKP-Liste der Abgeordnetenkandidaten stehen würde. „Damals gab es wirklich eine türkische Quelle, die das vermeldet hat. Das war allerdings eine Quatschzeitung, die online relativ viel Blödsinn erzählt. In der Türkei muss man da wirklich aufpassen“, erzählt Tokatli. Türkische sowie deutsche Medien griffen das Gerücht damals auf, sodass selbst Politikerinnen und Politiker darüber sprachen, als würde er wirklich antreten.
Özil als PR für Erdogan in Deutschland und Europa
Die Beziehung zwischen Erdogan und Özil schätzt der Experte als eng ein. Dafür spricht, dass der türkische Präsident im Jahr 2019 bei der Hochzeit von Özil und Amine Gülse (30) als Trauzeuge fungierte und eine Rede hielt. Zu hoch eingeschätzt werden dürfte das aber auch nicht. „Trauzeuge war er schon von vielen Fußballstars“, sagt Tokatli. „Ob es eine Freundschaft ist, kann man aus der Ferne nicht beurteilen. Man sieht aber, dass die beiden die Nähe zueinander suchen.“
Die gute Beziehung zwischen den beiden nutzt Erdogan vor allem politisch. „Er ist seit 21 Jahren an der Spitze eines Staates und weiß deshalb genau, wie er welche Personen für eigene PR-Zwecke nutzen kann“, erklärt der Experte weiter. Özil besitze gerade für die europäischen Türken eine Strahlkraft. Er habe in den vergangenen Wochen immer wieder dazu aufgerufen, wählen zu gehen. Erdogan nutze Özils Reichweite bei den europäischen und vor allem den deutschen Türken.
Die Strategie des türkischen Präsidenten, vermutlich auch mit der Hilfe von Özil, ging auf: Mehr als 67 Prozent der in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken stimmten für seine Wiederwahl. Erdogan erhielt insgesamt rund 52 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) rund 48 Prozent.
Deutsch-Türken stimmen überwiegend für Erdogan: Kritik von Özdemir
Insgesamt wurde es diesmal knapp für Recep Tayyip Erdogan. Auf seine Wählerinnen und Wähler in Deutschland kann er sich aber weiter verlassen.
© Quelle: dpa
Experte: „Özil wird in der Türkei eher belächelt als gefeiert“
In der Türkei ist das Bild von Mesut Özil ein ganz anderes. „Immer, wenn es Gerüchte um Özil gibt, wird in der Türkei angesprochen, dass er doch damals seine türkische Staatsbürgerschaft abgelegt hat und lieber für Deutschland spielen wollte und seine Vaterlandsliebe gar nicht so groß sein kann. Er wird in der Türkei deshalb eher belächelt als gefeiert“, führt Tokatli aus. Zudem sei sein Türkisch „extrem schlecht“. Es habe sich zwar mit der Zeit verbessert, aber laut dem Politikwissenschaftler habe er in seinen jüngsten Videos zum Wahlkampf ablesen müssen.
Deutschtürken könnten sich zudem viel besser mit Özil identifizieren. „Er war 2014 bei der Weltmeisterschaft ein wichtiger Baustein für den Titel. Deutschtürken sagen: ‚Das ist einer von uns, einer von uns hat das geschafft.‘ Das bedeutet den Türkinnen und Türken in Deutschland viel mehr als den Türken in der Türkei“, ergänzt der Experte. „Klar, er hat türkische Vorfahren, aber hat eben mit dem Adler und nicht dem Halbmond auf der Brust gespielt.“
Tokatlis Fazit: „Sportminister wäre ein bisschen zu viel“
Wegen der Vielzahl an Gründen schenkt Tokatli dem Gerücht um Özil keinen Glauben. „Sportminister wäre ein bisschen zu viel. Er hat nicht die Präsenz.“ Dafür würden eher Sportler wie Hidayet Türkoglu, bester türkischer Spieler in der NBA, derzeitiger Präsident des türkischen Basketballverbands und Berater Erdogans, infrage kommen. Eine beratende Funktion könne sich der Experte für Özil schon eher vorstellen. „Da wäre die Präsenz, die er darstellen müsste, nicht so hoch. Mit seinem aktuellen Türkisch wird er nie eine freie Rede halten können.“
Im Vorstand des türkischen Fußballverbands sitzt mit Hamit Altintop (40) übrigens ein Ex-Fußballer, der gebürtig aus Gelsenkirchen stammt. Altintop entschied sich damals allerdings für die türkische Nationalmannschaft.
Bei seinem geräuschvollen Rücktritt aus der Nationalmannschaft nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 hatte Mesut Özil die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes massiv kritisiert. Vor der Endrunde war der 34-Jährige selbst wegen seiner Fotos mit dem türkischen Staatschef Erdogan kritisiert worden. Der 92-malige deutsche Nationalspieler, der zuletzt in der Türkei bei Basaksehir Istanbul aktiv war, hat seine Karriere vor knapp zwei Monaten offiziell beendet. Er spielte unter anderem beim FC Schalke 04, SV Werder Bremen, Real Madrid und dem FC Arsenal London.
Zur Person: Mahir Tokatli, geboren in Bremen, studierte Politikwissenschaft und Soziologie sowie Geschichte und Öffentliches Recht in den Nebenfächern in Bonn und Florenz. Er promovierte 2019 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und ist seit Oktober 2022 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (kurz: RWTH Aachen) tätig. Er ist spezialisiert auf die türkische Verfassung und die Autokratisierung in der Türkei und hat sich auch in der Vergangenheit schon mit der Beziehung zwischen Erdogan und Özil beschäftigt.