Nach Razzia bei der Letzten Generation: Was ist eine kriminelle Vereinigung?
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Protestmarsch von Sympathisanten mit der Letzten Generation nach der Razzia unter der Woche.
© Quelle: IMAGO/aal.photo
Berlin. Ist die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung? Das vermutet jedenfalls die Münchner Generalstaatsanwaltschaft und ließ am Mittwoch bundesweit 15 Wohnungen durchsuchen. Damit hat sie eine lebhafte politische und juristische Debatte ausgelöst. Immer wieder heißt es, man dürfe auf die Idealisten keinen „Anti-Mafia-Paragrafen“ anwenden. Doch richtet sich der Strafparagraf 129, der kriminelle Vereinigungen verbietet, wirklich gegen die organisierte Kriminalität? Historisch ging es eher gegen politische Gruppierungen.
Die Vorgängernorm im Kaiserreich stellte „staatsfeindliche Verbindungen“ unter Strafe. Sie wurde auch gegen Sozialdemokraten angewandt. In der Weimarer Republik geriet die kommunistische KPD in den Fokus. 1951 wurde die Norm modernisiert, sie wendet sich jetzt gegen „kriminelle Vereinigungen“. Und wieder traf es stark die (1956 verbotene) KPD. Anfang der 1970er-Jahre galt die sogenannte Baader-Meinhof-Bande (RAF) als kriminelle Vereinigung, bis 1976 für „terroristische Vereinigungen“ mit Paragraf 129a eine noch schärfere Strafvorschrift geschaffen wurde.
Warum die Letzte Generation die Voraussetzungen für Paragraf 129 erfüllt
Paragraf 129 blieb aber anwendbar. So galt die kurdische PKK, seit sie 1999 auf Anschläge in Deutschland verzichtete, nur noch als kriminelle Vereinigung. Auch die Rechtsrockband Landser wurde 2005 vom Bundesgerichtshof als kriminelle Vereinigung eingestuft. Ihr Ziel sei die Verbreitung strafbarer Texte. Aktuell verhandelt das Oberlandesgericht Dresden gegen eine militante Antifa-Gruppe, die in Ostdeutschland Neonazis verprügelte.
Doch es gibt auch unpolitische Anwendungsfelder. So gelten einzelne Chapter von Rockergruppen, etwa der Bandidos, als kriminelle Vereinigung. 2015 stufte der BGH zudem Fußballhooligans, die sich zum Prügeln im Wald trafen, als kriminelle Vereinigung ein.
Innenministerin Faeser verteidigt Razzia gegen Letzte Generation
„Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Mittwoch in Berlin.
© Quelle: Reuters
Und mit solchen Gruppen soll die Letzte Generation nun in einen Topf geworfen werden? Doch darauf kommt es im Strafrecht nicht an. Entscheidend ist, ob der im Strafgesetzbuch beschriebene Tatbestand erfüllt ist. Und bei Paragraf 129 geht es darum, dass „Zweck oder Tätigkeit“ einer Vereinigung „auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“. Im Falle der Letzten Generation sind diese Voraussetzungen erfüllt. Sie führt vor allem Straßenblockaden durch, die über bloße symbolische Aktionen hinausgehen. Dafür werden die Aktivistinnen und Aktivisten regelmäßig wegen Nötigung verurteilt, die Höchststrafe für Nötigung beträgt drei Jahre.
Die Erheblichkeitsschwelle schützte die Letzte Generation bisher
Dennoch haben sich die Staatsanwaltschaften lange Zeit damit begnügt, nur die einzelnen Blockaden anzuklagen, ohne eine kriminelle Vereinigung anzunehmen. Grund dafür war, dass der BGH schon seit Langem für kriminelle Vereinigungen zusätzlich eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ verlangt und die Staatsanwaltschaft diese Gefahr in den nur lästigen Verkehrsstaus nicht erkennen konnte. Auch nach einer Neuregelung von Paragraf 129 im Jahr 2017 hielt der BGH an dieser zusätzlichen Erheblichkeitsschwelle fest.
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Wohl auch deshalb hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin, die im Vorjahr als erste Anklagebehörde die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung bezeichnete, nicht auf die Verkehrsblockaden abgestellt, sondern auf Sabotageakte an Raffinerien und Pipelines in Schwedt. Und auch die Münchner Generalstaatsanwaltschaft erwähnte in ihrer Pressemitteilung zu den jüngsten Razzien solche Angriffe auf Pipelines. Es ist auch mehr von der Finanzierung der Letzten Generation die Rede als von deren Sitzblockaden.
Ob das als Grundlage für die Hausdurchsuchungen genügt, wird vermutlich bald das Landgericht München entscheiden müssen. Die Letzte Generation hat entsprechende Rechtsmittel angekündigt. Dass die Aktivistinnen und Aktivisten Anfang des Monats großspurig ankündigten, sie wollen jetzt Berlin „lahmlegen“, wird ihnen dabei aber sicher nicht nützen.