Ständige Alarmbereitschaft: Nervenkrieg an der ukrainisch-belarussischen Grenze
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Im Norden der Ukraine, an der Grenze zu Belarus, herrscht Alarmbereitschaft. Anzeichen einer möglichen neuen Offensive sollen nicht übersehen werden. Die Bevölkerung lebt in Angst.
© Quelle: Daniel Cole/AP/dpa
An der Grenze zu Belarus. Mehrmals täglich drehen die Aufklärungsdrohnen ihre Runden. Von ukrainischer Seite fliegen sie über die Grenze nach Belarus, tief in den dichten Wald, und suchen Boden und Luftraum nach Anzeichen auf eine Offensive ab.In der Region herrscht Angst. Die Menschen fürchten, dass sich wiederholen könnte, was sie im vergangenen Jahr zu Beginn des russischen Angriffskriegs gegen ihr Land erleiden mussten: Beim – letztlich erfolglosen – russischen Vorstoß auf die Hauptstadt Kiew hatten die angreifenden Soldaten eine Reihe von Orten in der Gegend zeitweise besetzt.
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Diesmal wollen die Ukrainer kein Risiko eingehen. Seit dem Sommer haben sie in Erwartung eines neuen Frühjahrsangriffs die Verteidigungsanlagen verstärkt, Gräben ausgebaut und Minen ausgelegt. Ukrainische Einheiten überwachen aufmerksam die rund 1000 Kilometer lange Grenze mit ihren großen Sumpf- und Waldgebieten zum russischen Verbündeten Belarus, um Vorbereitungen auf einen möglichen Überraschungsangriff aus dem Norden rechtzeitig zu erspähen.
„Wenn man immerzu Angst hat, dann ist das kein Leben“
Auch die Menschen in der Region sind wachsam. Für sie ist es ein Nervenkrieg. „Wir lauschen auf jeden kleinen Laut und jedes Geräusch“, sagt die 64-jährige Valentina Matwewa aus dem Dorf Ripke. „Wenn man immerzu Angst hat, dann ist das kein Leben.“ Befürchtungen über einen neuen militärischen Vorstoß wurden im Januar verstärkt, als Russland und Belarus eine gemeinsame Luftwaffenübung abhielten. Militärexperten und Geheimdienste aus dem Westen schätzen die Gefahr indes weniger hoch ein. So twitterte das britische Verteidigungsministerium Mitte Januar, dass die russischen Flugzeuge und Truppen in Belarus trotz beträchtlicher Zahl „wahrscheinlich keine glaubwürdige Offensivkraft“ hätten.
Lukaschenko besucht russische Truppen in Belarus
Die Entwicklung schürt Sorgen, dass von Belarus aus ein Angriff auf die angrenzende Ukraine vom Norden her erfolgen könnte.
© Quelle: Reuters
Aus Belarus heißt es lokalen Berichten zufolge, Truppen entlang der Grenze dienten der „strategischen Abschreckung“. Und Präsident Alexander Lukaschenko hat betont, dass er keine Soldaten in die Ukraine schicken werde.
Doch die ukrainischen Kommandeure sind auf der Hut. Zu klar sind die Erinnerungen daran, wie Russland im vergangenen Jahr über den Partner Belarus nachrückte. „Wir überwachen den Feind ständig vom Boden aus und beobachten die Bewegungen der Truppen: ob sie sich bewegen, wie viele es sind, und wohin sie sich bewegen“, sagt der Chef der militärischen Aufklärungseinheit in dem Gebiet bei einer Pressetour in die Grenzregion. Seinen Namen gibt er aus Sicherheitsgründen nur mit Oleksandr an.
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Die Russen und Belarussen würden im Gegenzug kontinuierlich die Wachablösungen auf ukrainischer Seite überwachen, um die Positionen der Truppen auszuloten. Manchmal entdecke seine Einheit feindliche Drohnen und schieße sie ab. Oder man versuche, die Drohne zu erbeuten und dem eigenen Bestand anzueignen. „Kürzlich haben wir so vier ihrer Drohnen gekriegt und sie haben uns zwei abgenommen“, sagt Oleksandr.Bis jetzt hätten die Beobachtungen keine Anzeichen für besorgniserregende Vorbereitungen und Aktivitäten ergeben, sagt er.
Dennoch wisse niemand, was Moskau plane, betont die Ukraine. „Wir haben an der Grenze zu Belarus eine Truppe aufgestellt, die bereit ist, mit Würde auf den Feind zu treffen“, zitierten Medien den für die Provinz Kiew zuständigen Generalleutnant Oleksij Pawljuk.„Ob es nun passiert oder nicht – wir müssen immer bereit sein“, bekräftigt Oleksandr. In rund eineinhalb Meter tiefen, befestigten Gräben bleiben ukrainische Soldaten auf der Wacht. Das ist anders als vor einem Jahr: „Als sie das erste Mal einmarschierten, hatten wir hier weder die Waffen noch die Soldaten“, sagt Anwohnerin Hanna Pochejelko aus der Ortschaft Kolutschiwka. „Diesmal aber haben wir das.“
Doch auch wenn es nicht zum Schlimmsten kommt, für Olena aus dem Grenzdorf Nowi Jarylowytschi ist es auch so unerträglich. Die 63-Jährige ist in Belarus geboren und hat in eine ukrainische Familie eingeheiratet. Ihre Mutter, ihr Bruder und ihre beiden Schwestern leben nur drei Kilometer entfernt – auf der anderen Seite der Grenze. „Ich kann es nicht fassen, dass sie so nah sind und ich sie nicht sehen kann“, sagt Olena. Und sie hat Angst, dass sie sie nie wieder sehen wird.
RND/AP