Vorbild für die Ukraine?

Das „neutrale“ Österreich: Warum die Alpenrepublik kein Mitglied in der Nato ist

Eine gehisste österreichische Landesflagge und dahinter eine Flagge der Europäischen Union (Symbolbild).

Eine gehisste österreichische Landesflagge und dahinter eine Flagge der Europäischen Union (Symbolbild).

Im Rahmen der Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland forderten Wladimir Putins Unterhändler zuletzt mehrfach die „Neutralität“ der Ukraine. Sie solle kein Nato-Mitglied werden und sich Russland gegenüber „neutral“ verhalten. Ähnlich wie Österreich?

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Das EU-Land ist selbst kein Nato-Mitglied und hat sich in seiner Verfassung als „neutrales Land“ erklärt. Trotzdem beteiligte sich auch Österreich bislang an den Sanktionen gegenüber Russland. Militärisch will das EU-Land jedoch nicht aushelfen. Doch warum ist Österreich, anders als Deutschland, eigentlich kein Mitglied der Nato und was bedeutet „Neutralität“ im österreichischen Sinne?

„Diese Neutralität nehmen Österreicher sehr ernst“

Österreich trägt seit den Friedensverhandlungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs einen besonderen Titel. Österreich sieht sich selbst als „neutrales“ Land. „Wir sind das einzige neutrale Land. Es gibt paktfreie Staaten wie Finnland oder Schweden, aber neutral, das ist Österreich, und diese Neutralität nehmen Österreicher sehr ernst“, so Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. Der sicherheitspolitische Status Österreichs beruht auf den Friedensverhandlungen nach dem Zweiten Weltkrieg und dem sich anbahnenden Ost-West-Konflikt.

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„Die österreichische Neutralität entwickelte sich aus den Diskussionen um den Staatsvertrag, weil man verhindern wollte, dass Österreich so wie Deutschland getrennt wird in eine westliche Besatzungszone und eine östliche“, so der österreichische Journalist, Conrad Seidl gegenüber dem „Spiegel“. Ein vielseitig diskutierter Nato-Beitritt scheiterte 1955 – Österreich beschloss, sich selbst verteidigen zu wollen, und erklärte sich „neutral“ nach dem Schweizer Muster.

Nato-Generalsekretär: brisante Vorschläge zur Ostflanke
16.03.2022, Belgien, Brüssel: Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär,  gibt eine Presseerklärung vor einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister im Nato-Hauptquartier. Russlands Invasion in die Ukraine wird nach Einschätzung von Nato-Generalsekretär Stoltenberg dauerhafte Konsequenzen für das Verteidigungsbündnis haben. Foto: Johanna Geron/Pool Reuters/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Russland hat mit seinem Angriff gegen die Ukraine klar gegen die Nato-Russland-Grundakte verstoßen. Die Vorschläge aus Brüssel dürften Moskau nicht gefallen.

Doch Österreich hat bis heute, wie auch andere neutrale und bündnisfreie Staaten, seine Beziehungen zur Nato mehrfach ausgebaut. Seit 1995 nimmt der EU-Staat an der Partnerschaft für den Frieden (PfP) und seit 1997 am Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC) teil. Österreich beteiligt sich auch an verschiedenen Militäroperationen mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates, die von der Nato geführt werden, wie beispielsweise im Kosovo.

Was bedeutet Neutralität angesichts des Krieges in der Ukraine?

Österreich sprach sich nach dem Kriegsbeginn Wladimir Putins in der Ukraine als „neutrales Land“ vor allem für die Führung von Dialogen und Gesprächen aus. „Als Bundeskanzler verspreche ich, dass ich alles dafür tun werde. Allerdings haben wir derzeit einen Gesprächspartner, der in beiden Händen Waffen trägt. Das führt dazu, dass derzeit keine Hand für den Dialog frei ist“, so Bundeskanzler Nehammer einen Tag nach Beginn des Krieges.

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„Wir sind militärisch neutral, aber nicht in unseren Werten oder dem Völkerrecht. Und diese Neutralität muss man auch verteidigen.“ Neben der Dialogbereitschaft erklärte Österreich in den vergangenen Wochen immer wieder, dass man entschlossen sei, die Sanktionen gegenüber Russland mitzutragen. „Das sind Sanktionen, die sichtbar machen, dass wir es nicht zulassen und nicht hinnehmen wollen, dass die europäische Geschichte wieder einmal mit Blut geschrieben wird“, so Nehammer, der zwischenzeitlich sogar schärfere Sanktionen forderte.

Das Völkerrecht ist für ein neutrales Land so wichtig, denn Neutralität beruht auf dem Völkerrecht. Und der, der das Völkerrecht nicht respektiert, respektiert am Ende auch nicht die Neutralität.

Karl Nehammer,

Bundeskanzler von Österreich

Denn Neutralität bedeutet im österreichischen Kontext militärische Neutralität, nicht politische: Das Land lässt weder Staaten auf österreichischem Territorium Stützpunkte errichten, noch greift es selbst in bewaffnete Konflikte anderer Länder ein – auch nicht im Verteidigungsfall. Eine Nato-Mitgliedschaft ist damit ausgeschlossen.

Trotzdem sind grundsätzlich alle nicht militärischen Hilfen möglich, ohne Österreichs Neutralität zu verletzen. Sanktionen, Hilfsgüter oder Verteidigungsausrüstung wie Schusswesten und Helme – diese Hilfen gab es so bereits. Österreich schickte beispielsweise sehr früh medizinisches Material in die Ukraine. Gleichzeitig wurde in Bosnien die Militärpräsenz aufgestockt, um Sicherheit im Osten Europas zu gewährleisten und andere Staaten zu entlasten.

Gänzlich unmöglich ist auch ein militärisches Eingreifen Österreichs in den Krieg in der Ukraine nicht. „In dem Fall, in dem Österreich von außen militärisch selbst gefordert ist, endet auch die Neutralität“, so der Militärexperte und Historiker Manfried Rauchensteiner gegenüber dem „Spiegel“. Sollte also die Möglichkeit bestehen, dass Österreich selbst Opfer militärischer Aggressionen werden könnte, sei auch ein Eingreifen denkbar.

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Riskantes Spiel

Österreichs Neutralität bedeutet im 1955 festgelegten Sinne auch, dass das Land gegen jeden möglichen Feind gerüstet sein müsste. Das ist aktuell keineswegs der Fall. Österreich sei nicht einmal in der Lage, eigene Sanktionen gegenüber Russland tatsächlich zu kontrollieren, so der österreichische Journalist Conrad Seidl. Beispielsweise sperrte das Land – wie andere EU-Staaten auch – seinen Luftraum für den russischen Flugverkehr. Diesen könne Österreich jedoch nur bei Tag kontrollieren. In der Nacht müssten im Ernstfall dann die Nachbarländer aushelfen, den Luftraum über Österreich abzusichern. Ein riskantes Spiel, meint Seidl.

In Österreichs Bevölkerung wird die Neutralität des Landes trotz mangelnder militärischer Absicherungen seit Langem als wichtiger Wert angesehen. Die Neutralität gewinnt seit Kriegsbeginn sogar zunehmend an Popularität. Erst kürzlich lehnten bei einer Umfrage in Österreich 81 Prozent der Befragten einen Nato-Beitritt ab. Die Umfragewerte liegen damit um einiges höher als in anderen bündnisfreien Staaten wie Finnland oder Schweden. Seidl deutet jedoch auf ein mögliches Missverständnis in der Bevölkerung hin, Neutralität bedeute Konfliktfreiheit. Das sei falsch. Trotzdem: Ein möglicher Nato-Beitritt wird in Österreich aktuell nicht diskutiert.

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