Stefan Birkner und Robert Habeck: Der Kampf der Schwippschwager geht zu Ende
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/UBO4JNIBSZFDHGOC4MPNR2VJEE.jpg)
Die Frauen von Robert Habeck (Grüne) und Stefan Birkner (FDP) sind Schwestern.
© Quelle: Imago/dpa/Peter Steffen
Liebe Leserin, lieber Leser,
am Montagmittag sah man Stefan Birkner die Reinhardtstraße in Berlin‑Mitte entlanglaufen, als sei er ein ganz normaler Bürger. Der 49‑jährige Vorsitzende der niedersächsischen FDP war in eine blaue Steppjacke gehüllt und trug – vermutlich auf dem Weg zum Hauptbahnhof – eine Tasche in der Hand. Obwohl die Sonne schien, erinnerte die Szene an einen dieser melancholischen Wilhelm-Genazino-Romane mit Titeln wie: „Ein Regenschirm für diesen Tag“.
Schon bei der vorangegangenen Pressekonferenz mit FDP‑Chef Christian Lindner war Birkners Outfit durch Normalität aufgefallen. Während Lindner mit Schlips und Kragen erschien, war Birkner in Jeans und Sneakers geschlüpft. Über dem offenen Hemdkragen trug er einen Pullover. Das Outfit wäre bei jedem Grünen-Parteitag locker durchgegangen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MXSW32XM32VNNYQOZNGN5TYLCM.jpg)
Christian Lindner erschien mit Schlips und Kragen, FDP‑Landeschef ließ es bereits lockerer angehen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Ansonsten war es wie so oft an Nachwahl-Montagen: Irgendwer muss Niederlagen eingestehen – und zwar im letzten Scheinwerferlicht, das ihm einstweilen noch vergönnt ist.
Das Besondere an dem Gast aus Hannover war freilich nicht bloß, dass seine Partei den Wiedereinzug in den Niedersächsischen Landtag mit 4,7 Prozent deutlich verpasste. Birkner zeichnet noch etwas anderes aus: Er ist der Schwippschwager des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck. Ihre Frauen sind Schwestern. Und Habeck stand am Sonntag in gewisser Weise ja ebenfalls zur Wahl.
Die Verbindung der beiden führt in die 1990er-Jahre zurück. „Da bin ich mit meiner Frau zusammengekommen, und wenn ich mich recht erinnere, war da Robert auch schon in der Familie“, sagte Birkner mal der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Eine aus dem Rahmen fallende Geschichte sei es „erst geworden, als Robert Habeck bei den Grünen aktiv wurde und ich bei der FDP“. Später rückten beide zu Umweltministern auf, Birkner in Niedersachsen, Habeck in Schleswig-Holstein – und waren, was kaum verwundert, nicht immer einer Meinung. Nur waren sie in jenen Jahren zu unbedeutend, als dass man von dem pikanten Konkurrenzverhältnis bundesweit Notiz genommen hätte. Das hat sich in den letzten Wochen spürbar geändert.
Auf der einen Seite stand Birkner, der nicht zuletzt auf dem Atomthema wieder in den Landtag reiten wollte – und Habeck dabei bisweilen persönlich attackierte. Am 5. September schrieb der Niedersachse bei Twitter, der Schwippschwager und die Grünen müssten sich „endlich von ihren ideologischen Positionen verabschieden“.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QXGYA2CRIEL5W6TNCZWWFVLTAQ.jpg)
Robert Habeck und seine Frau Andrea Paluch sind seit 1996 verheiratet.
© Quelle: Imke Schröder
Am 12. September nannte es Birkner „fahrlässig“, jetzt auf Atomkraft zu verzichten. Immerhin gehe es „um nicht weniger als das Fundament unseres Wohlstandes“. Dabei verlinkte er einen Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit der Überschrift: „Wut auf Habeck“. Am 28. September wandte sich Birkner gegen Habecks Warnung vor „Koppelgeschäften“ zwischen Laufzeitverlängerung und Gasumlage mit den Worten: „Wer ganzheitliches Denken als Koppelgeschäft bezeichnet, vernachlässigt marktwirtschaftliche Kernprinzipien.“
Habeck kämpfte unterdessen an zwei Fronten: mit der atomkritischen eigenen Partei und den Birkners dieser Welt. Dem Verwandten attestierte er auf Nachfrage, dieser dürfe durchaus Wahlkampf machen, er müsse jedoch die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Im Ton schien Sympathie durch. Die beiden Politiker mögen sich und lassen das auf Nachfrage durchaus wissen.
Als Stefan Birkner am Montag gefragt wurde, ob sich der Vizekanzler denn schon bei ihm gemeldet habe, verweigerte er gleichwohl die Antwort. Das sei persönlich und werde persönlich bleiben, sagte der Mann, der mal Richter und Staatsanwalt war und die Berliner Bühne am Montag nach einer halben Stunde wieder verlassen musste. Robert Habeck, der das Auf und Ab des Politikerlebens derzeit ebenfalls schmerzhaft zu spüren bekommt, darf auf dieser Bühne bleiben. Er muss auch. Für ihn gilt: Der Kampf geht weiter. Gut möglich, dass sie bei ihrem nächsten Treffen darüber sprechen werden.
Bittere Wahrheit
„Jede Umspannstation, jedes Kraftwerk, jede Pipeline kann attackiert werden, kann ein mögliches Ziel sein. Das ist der Zustand zwischen nicht mehr ganz Frieden, aber auch noch nicht richtig Krieg.“
Carsten Breuer,
Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/P3NEIVQXBRBQNJP6LI2CEWCD4M.jpeg)
Generalleutnant Carsten Breuer, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Wenn Gegner von Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine über den Krieg reden, dann sagen sie oft: „Das ist nicht unser Krieg.“ Ganz so, als müsse man nur die Augen schließen und es werde schon nicht so schlimm kommen. Richtiger ist wohl, was General Carsten Breuer jetzt der „Bild am Sonntag“ sagte. Angesichts von bisher anonymen Attacken auf kritische Infrastrukturen wie die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 am Grunde der Ostsee oder Bahnanlagen in Norddeutschland sagte er: „Das ist der Zustand zwischen nicht mehr ganz Frieden, aber auch noch nicht richtig Krieg.“ Treffender kann man die Lage nicht beschreiben.
Wie das Ausland auf die Lage schaut
Die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ plädiert für ein einheitliches Vorgehen der EU in der durch Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgelösten Energiekrise:
„Deutschland hat letzte Woche ein 200-Milliarden-Euro-Paket zur Unterstützung von Bürgern und Unternehmen vorgelegt. Damit zog es heftige Kritik anderer EU‑Mitgliedsstaaten auf sich.
Nach Ansicht des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki zerstört der ‚deutsche Egoismus‘ sogar den europäischen Binnenmarkt. Es würden keine gleichen Wettbewerbsbedingungen mehr herrschen, wenn Unternehmen in reichen Mitgliedsstaaten großzügig unterstützt werden, während ihre Konkurrenten in ärmeren Ländern viel weniger auf die Hilfe ihrer Regierungen zurückgreifen können, so die Kritiker.
Die Vorwürfe gegen Deutschland sind überzogen. Auch Mitgliedsstaaten wie Italien, Frankreich und die Niederlande haben Bürger und Unternehmen großzügig unterstützt. Wichtig ist, dass die Mitgliedsstaaten eine Einigung erzielen. Sie müssen nicht nur ihre Wirtschaft am Laufen halten und ihre Bürger schützen, sondern vor allem auch ihre Einheit bewahren. Europa ist in einen Wirtschaftskrieg mit Russland verwickelt. Ein geteiltes Europa ist eine gewonnene Schlacht für Putin.“
Zum Wahlergebnis in Niedersachsen heißt es im Schweizer „Tages-Anzeiger“:
„Christdemokraten, Alternative für Deutschland und Linkspartei unternahmen alles, um die Wahl für ein neues Parlament im Bundesland Niedersachsen in eine Abstimmung über die Krisenpolitik der Bundesregierung in Berlin zu verwandeln. Vom Verdruss über die Energiepreise, der Angst vor Atomkrieg und Rezession wollten sie profitieren und wie nebenbei den Amtsinhaber der SPD aus dem Amt fegen. Die CDU versuchte dabei sogar noch vergessen zu machen, dass sie in Hannover seit 2017 mitregiert.
Das Manöver misslang, und das war nicht einmal eine Überraschung. In Deutschland werden Ministerpräsidenten fast nie abgewählt, wenn sie beliebt sind und sich aufrichtig um ihr Land bemühen. Dem 63‑jährigen Sozialdemokraten Stephan Weil gelang dabei das Kunststück, sich dem absteigenden Trend seiner Bundespartei genauso zu entziehen wie dem schwindenden Vertrauen in SPD‑Bundeskanzler Olaf Scholz.“
Das ist auch noch lesenswert
Warum die EU schwierige Zeiten vor sich hat: ein Kommentar
Was die Niedersachsen-Wahl für den Bund bedeutet
Wie Friedrich Merz nach der CDU-Schlappe in Hannover dasteht
Das „Hauptstadt-Radar“ zum Hören
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Spotify Ltd., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!
Herzlich
Ihr Markus Decker
Sie möchten uns Ihre Meinung zu den aktuellen Themen und Diskussionen in diesem Newsletter mitteilen? Oder möchten Sie Lob, Kritik und Anregungen mit uns teilen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an hauptstadt-radar@rnd.de. Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten. Wenn Sie keine Veröffentlichung wünschen, teilen Sie uns dies bitte in Ihrer E-Mail mit.
Abonnieren Sie auch
Der Tag: Das Nachrichtenbriefing vom RedaktionsNetzwerk Deutschland. Jeden Morgen um 7 Uhr.
Klima-Check: Erhalten Sie die wichtigsten News und Hintergründe rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.
Die Pandemie und wir: Die wichtigsten Nachrichten der Woche, Erkenntnisse der Wissenschaft und Tipps für das Leben in der Krise – jeden Donnerstag
What‘s up, America? Der USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur – jeden zweiten Dienstag.
Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix und Co. – jeden Monat neu.
Mit RND.de, dem mobilen Nachrichtenangebot des RedaktionsNetzwerks Deutschland, dem mehr als 60 regionale Medienhäuser als Partner angehören, halten wir Sie immer auf dem neuesten Stand, geben Orientierung und ordnen komplexe Sachverhalte ein – mit einem KorrespondentenNetzwerk in Deutschland und der Welt sowie Digitalexpertinnen und ‑experten aller Bereiche.