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Vorstoß von Kassenärzte-Chef Gassen

Notaufnahme-Gebühr stößt auf breite Ablehnung: „Irreführend und gefährlich“

Eine von Kassenärzte-Chef Gassen vorgeschlagene Gebühr für die Notaufnahme stößt auf Ablehnung (Symbolfoto).

Eine von Kassenärzte-Chef Gassen vorgeschlagene Gebühr für die Notaufnahme stößt auf Ablehnung (Symbolfoto).

Berlin. Kassenärzte-Chef Andreas Gassen hat sich dafür ausgesprochen, dass Patientinnen und Patienten eine Gebühr zahlen sollten, wenn sie direkt in die Notaufnahme gehen, ohne dass es nötig ist: „Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall“, sagte Gassen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) im Interview.

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Oft werde argumentiert, Gebühren für die Notaufnahme wären unsozial. „Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden“, sagte Gassen. „Wer weiterhin direkt in die Notaufnahme geht, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, muss gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten, denn das kostet die Solidargemeinschaft unterm Strich mehr Geld und bindet unnötig medizinische Ressourcen.“

Lauterbach erteilt Notaufnahme-Gebühr eine Absage

Für seinen Vorschlag wird der Kassenärzte-Chef von vielen Seiten kritisiert – unter anderem von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der der Idee für eine Notaufnahme-Gebühr eine Absage erteilte. Es werde intensiv über die Neustrukturierung der Notfallversorgung diskutiert – über eine Gebühr jedoch nicht. „Daher wird der Vorschlag, der hier von der kassenärztlichen Bundesvereinigung, von Herrn Gassen vorgetragen wird, der wird keine Umsetzung finden“, sagte Lauterbach am Mittwoch in Berlin.

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Stiftung Patientenschutz gegen Strafgebühr

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte den Vorstoß. Der Vorschlag sei unberechtigt, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Denn von massenhaftem Missbrauch der Notaufnahmen kann keine Rede sein. Schließlich würde sich fast jeder Zweite bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden.“

Patientinnen und Patienten könnten die Schwere ihrer Symptome oft nicht deuten. Auch für Mediziner sei es oftmals schwierig, eine fachfremde Diagnose zu stellen. „Deshalb müssen zunächst die Verbände der Kassenärzte ihre Hausaufgaben machen“, verlangte Brysch. Das gelte neben dem Ausbau und der Spezialisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes auch für ausreichende Öffnungszeiten der niedergelassenen Arztpraxen sowie das Angebot von Hausbesuchen.

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Sozialverband: „Wir brauchen eine Reform der Notfallversorgung“

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, bezeichnete Gassens Vorschlag als überraschend. Nach ihrer Erfahrung verweise der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen erkrankte Menschen schnell an die Notaufnahmen, „da er offenbar personell nicht optimal aufgestellt ist.“ Auch Bentele lehnt eine Gebühr ab. „Was wir wirklich brauchen, ist eine Reform der Notfallversorgung, die zu einem einheitlichen und vor allem funktionierenden Verfahren führt. Es muss eine einheitliche Notfallnummer mit einer kompetenten Ersteinschätzung und einem klar festgelegten Verfahren für die weitere Behandlung geben“, forderte sie.

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Tatsächlich verweisen manche Kliniken selbst Patienten und Patientinnen an ihre Notaufnahme, wenn sie ihnen in der zuständigen Fachabteilung in angemessenem Zeitrahmen keinen Termin anbieten können.

Bartsch: Vorstoß grenzt an Schäbigkeit

Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag, äußerte ebenfalls Kritik an dem Vorstoß. Notaufnahmen seien hoffnungslos überlastet, aber Patienten dafür den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, grenze an Schäbigkeit, schrieb der Politiker auf Twitter. Er forderte einen „180-Grad-Schwenk weg vom Profitdenken in der Gesundheitspolitik“. Krankenhäuser müssten sich nicht in erster Linie rechnen, sondern müssten Menschen gesund machen.

Der Linken-Politiker Gregor Gysi kritisierte den Gassen-Vorschlag ebenfalls. „Niemand geht aus Bequemlichkeit oder Langeweile in die Notaufnahme“, schrieb er am Mittwoch auf Twitter. Dass Gassen die Patientinnen und Patienten „mit einer zusätzlichen Gebühr bestrafen will, wenn die Notaufnahme noch nicht zwingend erforderlich war, ist falsch und sogar gefährlich“.

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Telefondiagnosen könnten absolut falsch sein, so dass notwendige Aufnahmen unterbleiben würden. „Das Grundübel ist die Profitlogik in allen Bereichen unseres Gesundheitssystems. Die Politik muss die gesamte Gesundheitsversorgung vom Druck befreien, Profite machen zu müssen“. teilte Gysi weiter mit. Ein Krankenhaus müsse sich nicht in erster Linie rechnen, sondern in erster Linie für Gesundheit zuständig sein.

Grüne: Notaufnahme-Gebühr ist irreführend und gefährlich

Als „irreführend und gefährlich“ wies der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen den Vorstoß für eine Notaufnahme-Gebühr zurück. „Menschen mit einem akuten medizinischen Problem müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen unabhängig vom Geldbeutel in der Notaufnahme jederzeit geholfen wird“, sagte Dahmen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Arztpraxis, sagte Dahmen. „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden.“ Der Ausbau der Versorgung von Notdienstpraxen in den Notaufnahmen müsse jetzt Vorrang haben. Für Menschen in Not dürfe es keine Rolle spielen, welche Nummer man wähle oder wo man sich im Gesundheitswesen hinbegebe. „Man muss Hilfe zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort bekommen. Gebühren sind da patientengefährdend und führen in eine Sackgasse.“

RND/nis mit dpa

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