Experten erklären: Deshalb kam es zur historisch niedrigen Wahlbeteiligung in NRW
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Auszählung der Briefwahlstimmen im Briefwahlzentrum in Köln.
© Quelle: IMAGO/Panama Pictures
Düsseldorf. Wie am Montagmorgen aus den vorläufigen Angaben des Landeswahlleiters im Internet hervorging, ist die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit 55,5 Prozent auf einen historischen Tiefstand gefallen.
Politikwissenschaftler und Wahlforscher von der Freien Universität (FU) Berlin, Thorsten Faas, erklärt die niedrige Wahlbeteiligung mit der fehlenden Zuspitzung im Wahlkampf: „Letztlich war die Wahl selbst und gerade auch die zur Wahl stehenden Alternativen nicht attraktiv genug für die Wählerinnen und Wähler, um die geringen Mühen des Wahlgangs auf sich zu nehmen“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bemerkenswert sei der starke Rückgang der Wahlbeteiligung, weil sich eigentlich ein anderer Trend beobachten lasse: „Über viele Jahre waren Beteiligungsraten rückläufig, aber in der jüngeren Vergangenheit war eigentlich wieder ein Anstieg erkennbar.“
Betroffen von der Nichtwahl seien vor allem bestimmte Parteien, so Faas: „Nichtwahl ist häufig ein erster Weg, Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen – was häufig Regierungsparteien trifft.“ Auch bestimmte Wählergruppen, vor allem von linken Parteien, seien aufgrund der Struktur ihrer Wählerschaft schwerer zu mobilisieren als andere.
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Hendrik Wüst und die CDU gehen aus der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen klar als stärkste Kraft hervor.
© Quelle: Reuters
Rein formal betrachtet bleibe eine niedrige Wahlbeteiligung zwar ohne Konsequenz – „wer nicht wählt, akzeptiert das Ergebnis“, erklärt Faas – trotzdem weise sie auf ein Problem hin: „Die Struktur der Nichtwählerschaft lässt auf große Unzufriedenheit schließen und das ist sowohl aus dem Blickwinkel von Demokratie, aber auch Gleichheit durchaus ein Problem“.
Experte: SPD-Wähler haben auch wegen Scholz nicht gewählt
Das sieht auch DGB-Landeschefin Anja Weber so: „Die dramatisch niedrige Wahlbeteiligung verweist auf erschreckende Defizite unserer Demokratie und ist ein ernstes Warnsignal.“ Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbund NRW fordert deshalb: „Wir müssen uns um unsere Demokratie und Chancengleichheit kümmern, und Politik muss die Schwächsten der Gesellschaft endlich wieder in den Fokus rücken und die soziale Spaltung überwinden“
Für Politik-Professor Klaus Schubert von der Uni Münster sei die geringe Wahlbeteiligung von nur 55,5 Prozent auch auf eine mangelnde Mobilisierung der Bürger und auf die Kandidaten zurückzuführen. Zwar seien die Gründe für die extrem niedrige Beteiligung schwer einzuschätzen, es habe aber nicht an einer allgemeinen Wahlmüdigkeit gelegen. „Sie ist spezifisch auf den Wahlkampf der Parteien und auf die Kandidaten zurückzuführen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
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Vor allem die SPD habe ihre Klientel schlecht mobilisieren können. Womöglich sei es hier auch ein Fehler gewesen, dass SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty gegen Ende des Wahlkampfes noch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eingebracht habe. Scholz werde von manchen als „eher schwach und wenig entscheidungsfreudig“ angesehen. „Das mag einige aus der SPD-Klientel abgehalten haben, abzustimmen“, meinte Schubert in einer ersten Analyse kurz nach der Landtagswahl.
Ricarda Lang: Wahlbeteiligung muss allen Parteien Sorge machen
Auch die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, zeigte sich besorgt: „Die geringe Wahlbeteiligung muss allen demokratischen Parteien Sorge machen“, twitterte sie am Montag. „Darauf gibt es nicht die eine einfache Antwort, aber es muss uns allen ein Auftrag sein, stärker an dem Thema zu arbeiten.“
Wahlberechtigt waren in NRW rund 13 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Auf jeden der 128 Wahlkreise entfielen durchschnittlich 101.500 Wahlberechtigte. Daraus ergibt sich, dass in jedem Wahlkreis im Schnitt mehr als 45.000 Wahlberechtigte nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten.
Den bisherigen Tiefstand bei einer Landtagswahl gab es im Jahr 2000 mit 56,7 Prozent. Bei der Wahl 2017 hatte die Wahlbeteiligung noch 65,2 Prozent betragen. Bei der Bundestagswahl im September 2021 lag sie in NRW bei 76,4 Prozent.
RND/ao/fw/jst mit Agenturmaterial
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