Politologe zur USA-China-Beziehung

„Der neue Kalte Krieg ist längst im Gange“

Eine chinesische und eine US-Flagge sind auf Schachfiguren abgebildet.

Eine chinesische und eine US-Flagge sind auf Schachfiguren abgebildet.

Berlin. Die Spannungen zwischen den USA und China verschärfen sich weiter. Dafür ist nicht zuletzt der mutmaßliche chinesische Spionageballon verantwortlich. Nach der Entdeckung sagte US-Außenminister Antony Blinken seinen geplanten China-Besuch ab, die Gespräche liegen zunächst auf Eis. US-Präsident Joe Biden ließ den Ballon abschießen, was in Peking für Empörung sorgte.

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Laut dem Politologen Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin, wird die aktuelle USA-China-Politik durch innenpolitischen Druck bestimmt, der Biden schließlich auch dazu trieb, den Ballon zu zerstören. Er spricht von einem neuen Kalten Krieg, der längst im Gange sei.

Herr Benner, die USA sprechen von Spionage, China von einem verirrten Wetterballon. Wie bewerten Sie den Vorfall?

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Der Vorfall wirft kein gutes Licht auf beide Seiten, weil das kein wirklich erwachsener Umgang mit der Sache ist. Er wirft ein schlechtes Licht auf Peking, weil man so kurz vor einem Besuch, den man selbst zur Stabilisierung der Beziehung wollte, dieses Risiko eingeht, den eigenen Apparat nicht genügend unter Kontrolle hat und nicht aufgeklärt mit der Sache umgeht. Das chinesische Außenministerium hat zuerst noch behauptet, der Blinken-Besuch hätte überhaupt nicht zur Debatte gestanden, und davon gesprochen, dass es sich um einen Wetterballon handelt. Das ist keine konstruktive, erwachsene Vorgehensweise.

Auf der US-Seite sollte uns trotz des bislang besonnenen Umgangs der Biden-Regierung mit China Sorgen bereiten, dass der innenpolitische Druck so groß war, dass nicht nur der Blinken-Besuch abgesagt wurde, sondern auch, dass Biden sich dazu entschlossen hatte, diesen nach Angaben des Pentagons nicht sicherheitsbedrohlichen Ballon mit großem Tamtam und Medieneffekt abzuschießen. Diese innenpolitische US-Debatte gibt uns einen Vorgeschmack darauf, was uns in dem innenpolitischen Überbietungswettbewerb vor allem auf republikanischer Seite, wer härter gegen China auftritt, noch bevorsteht.

Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

Der abgesagte Besuch von US-Außenminister Antony Blinken soll offiziellen Angaben zufolge nachgeholt werden. Glauben Sie daran, dass das in naher Zukunft geschieht?

Das US-Außenministerium hat am Donnerstag gesagt, dass der Besuch relativ bald nachgeholt werden soll. Ich hoffe, dass beide Seiten es schaffen, die sich nach dem Bali-Treffen im freien Fall befindlichen Beziehungen in eine konstruktivere Bahn zu lenken. Je schneller, desto besser, da wahrscheinlich der Besuch des Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, in Taiwan bevorsteht. Davor wäre es wichtig, dass man noch einmal den persönlichen Austausch sucht.

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Welche Signale sollten die USA senden?

Das Signal, das Biden und ein aufgeklärtes Amerika senden sollten, ist, dass China der Aggressor gegenüber Taiwan und auch im südchinesischen Meer ist. Die USA sollten aber alles tun, um besonnen vorzugehen. Biden hat es bislang demonstriert: besonnen im Ton, aber hart in der Sache. Das zeichnet seine China-Politik aus. Er tritt noch viel entschlossener gegenüber Peking auf als noch Trump, wie beispielsweise bei Fragen zu Ausfuhrbeschränkungen und Hochtechnologie. Gleichzeitig schafft Biden es, Verbündete besser einzubinden. Die US-China-Politik war unter ihm auf einem guten Weg. Aber jetzt, wo sich alles langsam Richtung Wahlkampf bewegt, muss man befürchten, dass dieser innenpolitische Überbietungswettbewerb seine Schatten vorauswirft. Der ist leider wenig zielführend.

China dreht die Täter-Opfer-Rolle um, nennt den Abschuss zum Beispiel eine „Überreaktion“. Muss Peking dagegenhalten, um gesichtswahrend aus der Sache herauszukommen?

Peking hat sehr widersprüchlich agiert, Desinformationen verbreitet und gesagt, es handele sich um einen Wetterballon. Dann wurde sich entschuldigt, anschließend geleugnet, dass der Blinken-Besuch überhaupt bevorstand. Ich glaube, Peking muss sich vor allem sortieren. Wenn sie möchten, dass sich die Beziehungen zu den USA stabilisieren, muss eine konsistente Botschaft geschickt werden – auch und vor allem mit Blick auf den Krieg des chinesischen Verbündeten Russland in der Ukraine. Das würde ein starkes Signal senden, wenn Peking sich da distanzieren würde. Aber davon ist momentan nicht auszugehen.

Wenn es bereits um diesen fast schon komikhaften Ballon eine solche Aufregung gibt, kann man sich vorstellen, was passiert, wenn es zu einen wirklichen Zwischenfall kommt.

Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin

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Wird der Ballon die Beziehung zwischen den USA und China nachhaltig belasten? Droht ein neuer Kalter Krieg?

Der neue Kalte Krieg ist längst im Gange, auch wenn er mit einer anderen Dynamik und in einem anderen globalen Umfeld stattfindet. Wie damals ist die große Herausforderung zu verhindern, dass dieser in einem heißen Krieg mündet. Taiwan ist einer der gefährlichsten geopolitischen Brennpunkte in diesem Jahrzehnt. Die Beziehungen zwischen den USA und China in diesem Jahrzehnt werden turbulent, genauso wie die ersten zehn bis 15 Jahre des Kalten Krieges extrem turbulent waren. Wenn es bereits um diesen fast schon komischen Ballon eine solche Aufregung gibt, kann man sich vorstellen, was passiert, wenn es zu einem wirklichen Zwischenfall kommt.

Es sind nun mehrere Dinge wichtig: Kommunikationswege offen halten, Missverständnisse vermeiden und nicht beabsichtigte Eskalationen vermeiden. Gleichzeitig muss vonseiten der USA gemeinsam mit Deutschland, Europa und anderen Verbündeten eine klare Politik der Abschreckung gegenüber Peking herrschen, die sagt, dass Peking sowohl militärisch, wirtschaftlich und technologisch enorme Kosten bezahlen wird, wenn es in Taiwan gewaltsam den Status quo zu verändern versucht oder anderweitig gewalttätig in der Region auftritt.

04.02.2023, USA, Hagerstown: Präsident Joe Biden spricht mit Vertretern der Presse, nachdem er auf dem Hagerstown Regional Airport in Hagerstown, MdL, auf dem Weg nach Camp David für das Wochenende aus der Air Force One gestiegen ist. Foto: Patrick Semansky/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der polititische Sprengstoff im Spähballon

Ein riesiger Ballon am Himmel über den USA? Das klingt nach einem satirischen Spionagefilm. Doch der Vorgang ist bitter ernst. Er stärkt die Anti-China-Hardliner im amerikanischen Kongress und setzt Präsident Joe Biden mächtig unter Druck, kommentiert Karl Doemens.

Wie sehr schadet der Vorfall China in der internationalen Politik? Steigen die Schwierigkeiten im Umgang mit China auch in Europa?

Ich glaube, dass der Vorfall China viel mehr geschadet hätte, wenn die USA besonnener reagiert hätten, die innenpolitische Diskussion nicht so absurd übertrieben gewesen wäre und eine zurückhaltendere Reaktion als den Abschuss vorgenommen hätten. Es war in der Tat ein sehr ärgerlicher, aber kein sonderlich bedrohlicher Zwischenfall. Die USA hätten ein wichtiges globales Signal senden können.

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In Teilen Europas sollte zur Kenntnis genommen werden, dass die Verschärfung der USA-China-Beziehung etwas ist, mit dem wir umgehen müssen. Im Rest der Welt wird das chinesische Bild nicht unbedingt schlechter werden. Die meisten Länder gehen ohnehin davon aus, dass sowohl China als auch die USA solche Spionageunternehmungen durchführen. Da sorgte der Vorfall insgesamt für einen relativ geringen Skandaleffekt.

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