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EU-Plan stößt in Deutschland auf Kritik

Pressefreiheit – mit Gewalt?

Demonstranten halten Plakate und Fahnen während einer Demonstration in Danzig (Polen) zur Verteidigung der freien Medien hoch.

Demonstranten halten Plakate und Fahnen während einer Demonstration in Danzig (Polen) zur Verteidigung der freien Medien hoch.

Die Kommissarin macht es dringend: „Es ist höchste Zeit, zu handeln“, sagt Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission und dort für Werte und Transparenz zuständig. Das klingt nach Alarmismus auf einem leicht nachrangigen Brüsseler Posten. Doch der Schein trügt.

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Wenn es nach der einstigen EU-Justizkommissarin aus Tschechien und ihrem Binnenmarktkollegen Thierry Breton aus Frankreich geht, dann wird die deutsche Medienwelt in einigen Bereichen bald nicht mehr wiederzuerkennen sein. Manche sprechen schon von einer Aushöhlung der Pressefreiheit in der EU durch einen Vorstoß der beiden Kommissare, dem sich mittlerweile die ganze EU-Verwaltungsspitze unter Präsidentin Ursula von der Leyen angeschlossen hat.

Staatschefs sichern sich medialen Einfluss über reiche Freunde

Dabei plant die EU dem Namen nach das genaue Gegenteil. Sie präsentiert einen „European Media Freedom Act“, der nun sowohl in den Mitgliedsstaaten als auch im EU-Parlament diskutiert wird. Dieser Regelungsvorschlag aus Brüssel will die Freiheit von Berichterstattung in allen Ländern der Union sichern. Denn da gibt es zu tun: Wer sich etwa den staatlichen Umgang mit Medien in Ungarn oder auch Polen ansieht, erkennt schnell, dass von freier, unabhängiger Berichterstattung dort kaum noch die Rede sein kann.

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Oft greift der Staat direkt ein – und dort, wo das nicht sofort opportun erscheint, sichern sich Regierungschefs wie der Ungar Victor Orban ihren Einfluss über reiche Freunde, die Zeitungen oder TV-Stationen kaufen und in seinem Sinn auf Linie bringen. Mittlerweile sind sie längst in undurchsichtigen Holdings zusammengefasst. Wer sich als Journalistin oder Journalist nicht an den Vorstellungen der Machthaber ausrichtet, hat kaum noch eine Chance auf die Berufsausübung. Auf diese Weise haben die Ungarn etwa wenig über die Corona-Lage in ihrem Land erfahren oder sind bei glaubhaften Informationen zur aktuellen Energielage auf wenige freie Quellen im Netz angewiesen.

Dieser politischen und staatlichen Willkür will Brüssel nun entgegentreten. Ein ganzer Kasten voller neuer Werkzeuge soll die Informationsfreiheit in der Union sichern. Da geht es etwa um Vorschriften zur Unabhängigkeit von Medienunternehmen und redaktionellen Entscheidungen, zur Zuteilung staatlicher Werbung, Anforderungen an die Aufsicht im öffentlich-rechtlichen und privaten Bereich, Transparenzregeln für die Eigentümer von Zeitungen oder Sendern sowie zur Darstellung von Inhalten auf den großen Onlineplattformen. Wichtigstes Instrument aber ist eine Art europäische Behörde, die künftig weitreichende Kontrollfunktionen im Bereich der Medien bekommen soll. Und vor allem hier setzt die Kritik aus Deutschland und anderen Ländern an.

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Die Formulierungen sind scharf. Mit Schaffung einer solchen Medienkontrollbehörde würde die Europäische Kommission „einen wesentlichen Bestandteil einer effektiven Freiheit der gedruckten und digitalen Presse in vielen Mitgliedsstaaten unter Einschluss Deutschlands beseitigen“, heißt es etwa einem Brandbrief, den die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger jetzt an Kommissionschefin von der Leyen geschrieben haben.

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Dahinter steckt die Frage, warum sich auch die Medien aus Ländern, in denen der Rechtsstaat funktioniert und es bereits diverse bewährte Kontrollinstanzen (wie etwa den Deutschen Presserat) gibt, künftig auch einer solchen Behörde unterwerfen sollen. Auch die vorgesehene europäische Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheint den Verlegerinnen und Verlegern überzogen zu sein – das müsse Sache der einzelnen Länder bleiben.

Sorgenvoller Blick nach Ungarn

Für weiteren Streit sorgt ein Passus in den EU-Plänen, der hierzulande an Debatten aus den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnert. Seinerzeit gab es heftigen Streit um die „innere Pressefreiheit“ – also die Frage, ob die Verlegerinnen und Verleger festlegen dürfen, was und wie berichtet wird, oder ab das allein Sache der Redaktionen sei. Die Meinungsfreiheit dürfe nicht zur Freiheit „von ein paar Hundert reichen Menschen“ werden, hieß es damals. Der Streit beruhigte sich später – Verlage fahren heute zumeist einen liberalen Kurs nach innen und verweisen zunehmend unwidersprochen darauf, dass sie nun einmal das wirtschaftliche Risiko allein trügen und daher auch einen gewissen publizistischen Rahmen setzen müssten. Zudem muss in Internetzeiten niemand mehr das Geld für teure Druckmaschinen aufbringen, um journalistische Angebote zu machen.

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Der EU reicht das alles jedoch nicht. Sie schlägt – offenbar abermals mit sorgenvollem Blick nach Ungarn – vor, dass Verlage und Redaktionen künftig eine „editorial line“ vereinbaren – und sich die Eigentümer dann mehr oder minder heraushalten sollten. Die deutschen Verlegerinnen und Verleger wollen das nicht hinnehmen und sprechen von einem „fast unglaublichen Angriff auf die Pressefreiheit“.

Die organisierten Journalistinnen und Journalisten gehen nicht ganz so hart mit der Initiative ins Gericht und sehen wie etwa der Deutsche Journalistenverband zum Teil auch „richtige Ansätze“. Aber auch dieser Verband betont, das in Deutschland funktionierende System der Medienaufsicht dürfe nicht angekratzt werden. Die internationale Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hebt den Blick wiederum über Deutschland hinaus und betont, der „Freedom Act“ sei „sehr zu begrüßen in einer Zeit, in der Journalismus und Medien in einer wachsenden Zahl von EU-Mitgliedsstaaten unter Beschuss stehen und sich Wettbewerbsverzerrungen durch Online-Plattformen sowie ausufernder Desinformation gegenüber sehen“.

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Und Věra Jourová? Die Kommissarin kämpft für ihre Pläne – auch, indem sie derzeit immer wieder durchblicken lässt, dass Deutschland nun nicht im Zentrum ihrer Überlegungen stehe. Im Gegenteil. Dass sich etwa die ARD nach der RBB-Desaster derzeit selbst hart überprüfe, sei doch ein Beleg dafür, dass das System hierzulande funktioniere. Die Kritik der Verlage? „Ein Missverständnis“ – ihre Freiheit sei nicht in Gefahr. Jourová weiß, dass Sie neben von der Leyen noch weitere deutschen Stimmen für ihr Medienprojekt braucht. Und möglicherweise ahnt sie mittlerweile, wie schnell man doch Kinder mit dem Bade ausschütten kann.

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