Günter Burkhardt: Bundesregierung darf Afghanistan nicht vergessen – trotz Ukraine-Kriegs
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/SUTOKYTDBJCP5I6OA3ZHMSEW4M.jpg)
Geflüchtete aus Afghanistan bitten in Pakistans Hauptstadt Islamabad um Hilfe vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
© Quelle: IMAGO/Pacific Press Agency
Herr Burkhardt, Außenministerin Annalena Baerbock fährt nach Pakistan. Das Land hat die meisten Geflüchteten aus Afghanistan aufgenommen, auch solche, die noch auf eine Ausreise nach Deutschland warten. Was erwarten Sie?
Es ist gut, auch wieder die Lage der Afghanen in den Blick zu nehmen. Der Ukraine-Krieg verdrängt das Leid aller anderer Geflüchteten, sodass die Notwendigkeit zu handeln, aus dem Blickfeld gerät. Die Lage der Afghanen, die sich für Menschenrechte und Demokratie in ihrem Land eingesetzt haben, ist dramatisch. Im Ukraine-Konflikt sehen wir, was Deutschland und die EU-Staaten schaffen können. Das muss auch für andere Länder gelten. Es schadet dem Ansehen der westlichen Welt, wenn die, die westliche Werte verteidigen, alleingelassen werden.
Die Bundesregierung will 25 Millionen Euro für die Aufnahme von 20.000 afghanischen Geflüchteten bereitstellen.
Das ist nicht genug. Es wird versucht, über Finanzbeschlüsse eine Obergrenze zu definieren statt durch eine sachgerechte Diskussion über die Verfolgungssituation in Afghanistan. Und die Zahl der Menschen, die aufgenommen werden sollen, ist völlig unangemessen gering gemessen an der Drucksituation. Das Aufnahmeprogramm darf keine Alibiveranstaltung werden. Aus der Ukraine werden richtigerweise Hunderttausende aufgenommen. Aber bei Afghanistan feilscht man über ein paar Tausend.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/OZ34FFHH26UBT3ZASO6IIIQGIA.jpg)
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.
© Quelle: Maurizio Gambarini/dpa
Eine Obergrenze sollte es also nicht geben?
Deutschland muss Menschen, die sich in Afghanistan für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt und sich klar gegen die Taliban gestellt haben, die Einreise ermöglichen. Dazu müssen fortlaufend humanitäre Visa erteilt werden, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Das gilt übrigens nicht nur für Frauen, die Debatte darf nicht auf sie verkürzt werden. Die Lage der Frauen ist katastrophal. Die Taliban gehen brutal gegen Frauenrechtlerinnen vor. Aber auch männliche Gegner der Taliban sind in Gefahr, zum Beispiel Staatsanwälte und Richter. Auch sie müssen gerettet werden. Und der Eindruck ist: Innen- und Außenministerium bremsen.
TV-Moderatorin kritisiert Gebot der Taliban in Afghanistan
Nach der Anordnung der Taliban präsentierten sich Nachrichtensprecherinnen verschleiert im TV – doch die Frauen äußerten auch Kritik.
© Quelle: Reuters
Woran machen Sie das fest?
Die Definition von Ortskräften, denen geholfen werden soll, ist viel zu eng gefasst. Auch Werkverträge müssen zur Anerkennung als Ortskraft führen. Familienangehörige von Afghanen, die in Deutschland leben und als verfolgt anerkannt sind, haben derzeit keine Chance, aus dem Land zu kommen.
Was kann Baerbock in Pakistan erreichen?
Wichtig ist, dass afghanischen Flüchtlingen die Weiterreise ermöglicht wird.
Ende der Woche wird Baerbock in der Türkei erwartet. Was ist hier im Bereich Geflüchtete zu besprechen?
Staatspräsident Erdogan fährt im Windschatten des Ukraine-Kriegs zwei gefährliche Manöver. Er versucht, den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands daran zu knüpfen, dass diese beiden Staaten den Schutz für Verfolgte aufweichen. In beiden Ländern leben türkische Oppositionelle. Die Nato-Staaten treten für Werte ein. Sie müssen Erdogan das Signal geben, dass Schutz vor Verfolgung nicht zur Disposition steht. Außerdem versucht Erdogan, seine schwache innenpolitische Situation durch außenpolitische Kriegsmanöver zu stabilisieren. Er geht militärisch gegen Kurden in Syrien und im Irak vor. Das ist extrem gefährlich, weil das eine schon angespannte Lage eskalieren kann. Außerdem müssen die in die Türkei geflohenen Syrer dort eine Perspektive bekommen. Regimegegner können nicht zurückkehren, wie Erdogan das will. Ihnen droht Verfolgung und Folter. Und nicht zuletzt: In der Türkei leben auch einige 100.000 afghanische Geflüchtete ohne Zugang zu einem Schutzsystem. Sie brauchen eine Perspektive.