Regierungspolitik über den Wolken
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Der Regierungsflieger „Konrad Adenauer“: In Wochen, in denen das Parlament nicht tagt, verwandelt sich die Regierung geradezu in ein fliegendes Kabinett.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Wochen, in denen das Parlament nicht tagt, nutzen die Ministerinnen und Minister gerne für Auslandsbesuche. In dieser Woche verwandelte sich die Regierung geradezu in ein fliegendes Kabinett. Der Kanzler reiste am Dienstag nach Litauen – Ende der Woche geht es noch auf den Balkan. Der Wirtschaftsminister tourt durch den Nahen Osten, während die Außenministerin ihre Marathonreise nach Pakistan, Griechenland und die Türkei wegen einer Corona-Infektion abbrechen muss. Bei einem Mittagessens stellte sie fest, dass sie nichts mehr schmeckte. Dann war der Test positiv.
Eine solche Reise abzubrechen, ist eine ähnliche logistische Herausforderung, wie sie zu planen. Alles ist minutiös vorbereitet. Die Entourage der Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker ist immer groß: enge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Personenschutz, die begleitende Presse, für die wiederum auch ein Koordinator an Bord ist, sowie ein Arzt oder eine Ärztin fliegen fast immer mit. Häufig sind auch noch Bundestagsabgeordnete und je nach Reiseziel Vertreter aus der Wirtschaft mit an Bord.
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Annalena Baerbock in Islamabad – in Begleitung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
© Quelle: IMAGO/photothek
Das eng getaktete Programm solcher Reisen wird in der Regel straff durchgezogen. Am Dienstag war ich mit dem Kanzler in Litauen. Laut Programm sollten wir um 17.20 Uhr wieder landen, nachdem wir um 7.45 Uhr gestartet waren. Tatsächlich setzten die Räder des Regierungsfliegers um 17.18 Uhr auf dem Flugfeld Schönefeld wieder auf. Der Kanzler stieg in einen Hubschrauber um – Termin im Kanzleramt.
Eigentlich hatte es bei der Reise eine kleine Verzögerung gegeben, weil die Vierer-Pressekonferenz mit den Staats- und Regierungschefs aus Litauen, Estland und Lettland länger als geplant dauerte. Scholz holte die Zeit aber wieder rein, indem er bei seinem anschließenden Besuch auf dem Truppenübungsplatz bei Parabade im Eiltempo das schwere Gerät der Bundeswehr besichtigte.
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Besuch im Eiltempo: Olaf Scholz auf dem Truppenübungsplatz in Parabade.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Falls Sie sich mal gefragt haben sollten, welchen journalistischen Mehrwert es hat, einem Kanzler beim Absolvieren seines straffen Programms zuzuschauen, dann gibt es auf solchen Reisen tatsächlich immer mal wieder Momente, in denen ich mich das auch frage – insbesondere, wenn ich dafür um 4.30 Uhr aufgestanden bin, ohne Frühstück und Mittagessen mit Laptop auf dem Schoß in einem schaukelnden Minibus sitze und auf dem Weg zum Flughafen noch 30 Minuten Zeit habe, einen Bericht fertig zu schreiben.
Und dann hilft es eben doch, nah dran gewesen zu sein, um einzuschätzen, was der Kanzler denkt, worüber er sich ärgert, welche Signale er setzen will und wie er die öffentliche Meinung für sich gewinnen möchte. Es sind oft kleine Gesten, Nebensätze, ein kurzer Moment der fehlenden Kontrolle, die helfen, das Puzzle zusammenzusetzen. Nicht zu vergessen: Auf dem Hin- und Rückflug gibt es in der Regel ein Hintergrundgespräch, aus dem wir Journalisten nicht zitieren dürfen. Die Eindrücke, die man gewinnt, fließen aber in die Berichterstattung ein. In diesen Gesprächen werden Fragen etwas offener als bei Pressekonferenzen beantwortet. Manchmal sagt der Kanzler auch, was ihn an der veröffentlichten Meinung, also an der Arbeit der Journalisten, stört. Davon lassen wir uns allerdings ähnlich wenig beeindrucken wie er sich von unseren Leitartikeln.
Bundeskanzler in Litauen: Scholz will Ostflanke der Nato stärken
Bei einem Besuch in Litauen hatte ein Journalist mit Blick auf die Ukraine gefragt, warum Deutschland oftmals als abwartend wahrgenommen werde.
© Quelle: Reuters
Es ist eben auch ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Regierungspolitik und Journalismus. Gelingt es dem Kanzler und seinen Ministerinnen und Ministern die politischen Impulse zu setzen, wie es bei Scholz und dem Sondervermögen der Fall war, oder sind sie Getriebene, wie es der Kanzler in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine ist?
Die reisenden Regierungspolitikerinnen und -politiker werden sich zwischenzeitlich auch fragen, welchen Sinn es eigentlich macht, diese undankbaren Medienvertreter mitzunehmen, die ohnehin schreiben und senden, was sie wollen. Und dann werden sie feststellen, dass keine Berichterstattung über ihre mehr oder weniger erfolgreichen Reisen auch keine Alternative ist.
Politsprech
„Ich kann nur vor Populismus an dieser Stelle warnen.“
Christian Lindner,
Finanzminister
Lindners Warnung vor Populismus bezieht sich auf die sogenannte Übergewinnsteuer. Sie wird vor allem von SPD- und Grünen-Politikern gefordert, nachdem die Mineralölkonzerne keineswegs die Steuersenkungen auf Sprit als Tankrabatt an der Zapfsäule auch redlich weitergeben. Nun wäre es nicht ganz trivial, eine solche Steuer einzuführen und auch nicht ausgemacht, dass der Staat damit seinen Tankrabatt wieder eintreiben kann. Aber der Finanzminister muss sich an die eigene Nase fassen. Denn es war auch populistisch, mit der Gießkanne diese ökonomisch und klimatechnisch fragwürdige Maßnahme im Kampf gegen Inflation einzusetzen. Mahnende Stimmen gab es vor der Entscheidung ausreichend.
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Hält nichts von einer Übergewinnsteuer: Christian Lindner (FDP).
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Die Wählergunst ist flüchtig wie ein scheues Reh. Das muss gerade die Union erfahren. Nach ihrem Stimmungshoch in Folge der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen büßt die Union nach der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Forsa zwei Prozentpunkte ein. Den Umfragen von Forsa zufolge ist es übrigens immer noch die CSU, die die Union bundesweit nach oben zieht. „Die CSU käme bei einer Bundestagswahl in Bayern aktuell auf 36, die CDU im übrigen Bundesgebiet aber nur auf 26 Prozent“, heißt es im Wochenbericht.
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