Impfpflicht und neue Corona-Auflagen: Die Politik hat versagt
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Pressekonferenz nach Bund-Länder-Treffen: Noch-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bald-Kanzler Olaf Scholz (SPD).
© Quelle: Getty Images
Berlin. Es ist Advent, und weil das die Zeit der Rituale ist, laufen nicht nur im Radio die größten Weihnachtshits der Achtziger, Neunziger und von heute – nein, auch die Politik greift zu Wiederholungen aus dem vorigen Jahr: hastige Bund-Länder-Krisengipfel, Kontaktbeschränkungen und nicht zuletzt der Appell an Vernunft und Eigenverantwortung der Bürger. Schon liegt wieder der feine Duft der Drohung in der Luft: Wer nicht artig ist, verbringt auch dieses Weihnachten wieder im Lockdown.
Noch Mitte dieses Jahres hätte kein normaler Mensch eine Wiederaufführung dieses Krippenspiels von 2020 erwartet: Nun saßen da wieder Ministerpräsidenten, die die Bürger aufrufen, Kontakte zu reduzieren, wieder beklagte Angela Merkel die drohende Überlastung der Intensivstationen, wieder wurde der Impfstoff als der Ausweg gepriesen.
Alte Worte, neu verpackt
Entlarvend der Satz des NRW-Ministerpräsidenten Wüst, man habe einfach „die Feuerwerksverbote aus dem letzten Jahr wiederholt“. Er zitierte sogar allen Ernstes aus einer Merkel-Rede vom vorigen März, um fürs Impfen zu werben.
Einzige Änderung: Diente der Impfstoff anfangs als Licht am Horizont, um noch einmal zu Geduld zu motivieren, wird er nun wie ein Heilsbringer behandelt, zu dem die Ungeimpften endlich greifen mögen. Und tun sie es nicht freiwillig, dann braucht es den Zwang.
All das macht die Runde im Kanzleramt zum Zeugnis des Politikversagens. Sicher: Es gab die Delta-Variante, für deren Ausbremsen höhere Impfquoten nötig sind. Und man hätte sicher mit mehr vernünftigen, emsigen und solidarischen Bürgern gerechnet, die sich – wie derzeit für die Booster – brav in die Schlange stellen.
Es fehlt an langfristigem Corona-Management
Aber der Unterschied zwischen „normalen“ Menschen, die sich im Sommer die Maske vom Gesicht rissen, und den Regierungschefs von Bund und Ländern ist doch mit einem Wort beschrieben: Verantwortung. Es wäre die Pflicht der Politik gewesen, es nicht bei Appellen, Impfstoffbeschaffung sowie der vagen Hoffnung auf freiwillige Impfpartys zu belassen und ansonsten die blöde Pandemie möglichst aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
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Hätten Bund und Länder die Energie, die sie immer wieder auf hektische Last-Minute- und Lockdownmaßnahmen verwenden, besser in langfristiges Corona-Management gesteckt, bliebe uns sicher viel erspart.
Die Verantwortlichen hätten vieles anders machen müssen
Sowohl die Ministerpräsidenten als auch die immer noch geschäftsführende Bundesregierung und erst recht der Vizekanzler, der sich bald befördern lässt: Sie alle hätten vorausschauender agieren müssen. Engen Kontakt zu Wissenschaftlern halten, die vor einem neuen Entgleiten der Pandemie warnten. Die Regierungen der Hochinzidenzländer hätten früher mildere Maßnahmen einleiten müssen, statt zu spät schärfere auf Bundesebene einzufordern.
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Vor allem aber hätte die Politik sich so um Krankenhäuser und Pflegepersonal kümmern müssen, dass die vierte Welle auf aufgerüstete statt auf geschwächte Intensivstationen trifft. Und sie hätte Impfkampagnen wie in Spanien organisieren müssen, wo jeder Bürger automatisch einen Impftermin bekommt, oder wie in den USA, wo in jedem Drogeriemarkt die Spritze gezückt wird.
Die Impfpflicht – ein Resultat politischen Scheiterns
Dass es nun kaum einen anderen Ausweg gibt als eine allgemeine Impfpflicht, ist zwar richtig. Es ist aber auch das Resultat eines politischen Scheiterns. Denn dahinter steckt ein Vertrauensverlust in die Politik, der – gerade im Osten – aus früheren Enttäuschungen resultiert, und der nun durch den Impfpflicht-Wortbruch erneut verstärkt wird.
Und die nächste Enttäuschung droht bereits. Denn so sehr wir hoffen, dass eine dreifach durchgeimpfte Bevölkerung die Pandemie beendet: Es ist nur eine Hoffnung. Die Politik wäre gut beraten, mit Heilsversprechen vorsichtiger umzugehen und stärker auf Transparenz und Verlässlichkeit zu setzen.