Unverkrampft gegen Corona: Frischer Wind aus Dänemark

Ab dem 15. Juni dürfen Schleswig-Holsteiner wieder nach Dänemark einreisen - ohne jede weitere Beschränkung.

Die Flagge Dänemarks hat eine uralte Tradition: Schon seit dem 13. Jahrhundert flattert der „Dannebrog" an der Ostsee.

Wie kann Dänemark es wagen, alle Corona-Vorschriften zu streichen? Diese Frage verschafft dem 5,8-Millionen-Volk Aufmerksamkeit rund um den Globus. Videos von fröhlichen maskenlosen Menschen in Kopenhagener Nachtclubs schaffen es dieser Tage bis ins australische Fernsehen. „Warum kriegen wir das nicht hin?“, mault in den USA das Magazin „Newsweek“.

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Und in Deutschland? Da verschränkt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Arme: „Das ist Dänemark, das sind nicht wir.“

Dänemarks sozialdemokratische Regierungschefin zu Gast in Deutschland: Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Bundeskanzleramt.

Dänemarks sozialdemokratische Regierungschefin zu Gast in Deutschland: Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Bundeskanzleramt.

Tatsächlich gibt es einen wichtigen Unterschied. Deutschland hat noch immer drei Millionen Ungeimpfte über 60. In Dänemark sind in dieser Altersgruppe stolze 96,1 Prozent geimpft, ohne Impfpflicht. Das kleine Land – für das Freiheit immer eine große Rolle spielte – führt hier vor, wie intelligent es ist, Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit zu sehen.

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Eine Entkopplung, die vieles verändert

Ansonsten aber ist in Dänemark vieles eben doch ganz genau so wie in Deutschland. Die Dänen haben zwar etwas modernere Gesundheitsdatenbanken als die Deutschen. Und sie haben die Omikron-Welle ein paar Wochen früher zu spüren bekommen. Doch in Deutschland wie in Dänemark sticht jetzt der gleiche zentrale Befund ins Auge: die Entkopplung der Infektionszahl von der Zahl der schweren Verläufe. Dadurch dreht sich manches: medizinisch, politisch und juristisch.

Wenn es keine akute Bedrohung für alle mehr gebe, erläuterte der dänische Regierungsberater Michael Bang Petersen dieser Tage in der deutschen „Tagesschau“, dürfe es auch keine beschränkenden Maßnahmen für alle mehr geben.

Diese Haltung sollte niemand abtun als liberalistischen skandinavischen Firlefanz: Sie entspricht exakt auch dem Rechtsstaatsprinzip nach dem deutschen Grundgesetz.

Noch sagt es in Berlin niemand laut, aber die von Tag zu Tag deutlicher werdende Entkopplung von Infektion und Gefahr könnte bald dazu führen, dass deutsche Verwaltungsgerichte der Politik die Corona-Instrumente aus der Hand nehmen.

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Auch Deutschland muss in die Kurve gehen

Besser wäre es, wenn Bund und Länder bei ihrem Treffen am 16. Februar von sich aus in Richtung Lockerung in die Kurve gingen, geordnet, nach nachvollziehbaren gemeinsamen Maßstäben. Niemand in Deutschland wird gleich alle Regelungen auf einen Schlag abschaffen wollen. Schon eine klar beschriebene stufenweise Exit-Strategie aber würde neue Hoffnungen wecken – und vielleicht auch zu einem endlich wieder etwas breiter werdenden gesellschaftlichen Konsens beitragen.

Menschen vor dem Nachtclub „La Boucherie" in Kopenhagen (Archivbild).

Menschen vor dem Nachtclub „La Boucherie" in Kopenhagen (Archivbild).

Die jüngsten Erkenntnisse müssen auch in die Debatte um die Impfflicht einfließen. Wenn sich tatsächlich das Nichtgeimpftsein von drei Millionen Ü-60-Deutschen als das Kernproblem herausstellt, erhebt sich die Frage, ob der Staat eine Impfung aller Altersgruppen noch für erforderlich erklären kann. Es geht hier nicht um beliebige Details: Zwangsmaßnahmen, die nicht erforderlich sind, sind rechtswidrig. Mancher, der eben noch an Zwang dachte, wird vielleicht loslassen müssen.

Die erste Lockerung, die Deutschland jetzt braucht, ist eine neue Unverkrampftheit im Denken. Lassen wir doch ruhig den Gedanken zu, dass andere Länder manches früher und vielleicht auch besser machen. Das war bei den Masken so, bei den Lockdowns, beim Impfen. Warum soll es bei den Lockerungen anders sein?

Dass ein 80-Millionen-Volk in der Mitte Europas sich nicht bewegt wie ein Schnellboot, eher wie ein Tanker, ist nicht schlimm. Schlimm wäre Hochmut gegenüber anderen. Dänemark hat, das ist wahr, einen „Freedom Day“ schon mal ein Jahr zu früh ausgerufen. Doch das heißt nicht, dass wir als Deutsche die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Genießen wir doch, in freudiger Erwartung des Frühjahrs, schon mal den frischen Wind aus Dänemark.

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