David Sassoli gestorben: Ein überzeugter Europäer und politischer Quereinsteiger
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/AAKUXPJ2GZC25D2IO3UBDCB7YI.jpg)
David-Maria Sassoli im Jahr 2019 bei einem Besuch in Berlin. Sassoli ist in der Nacht zu Montag im Alter von 65 Jahren gestorben.
© Quelle: imago images/Metodi Popow
Rom. David Sassoli befand sich schon seit dem zweiten Weihnachtstag in einer auf Krebserkrankungen spezialisierten Klinik in Aviano in der Region Friaul-Julisch Venetien in Behandlung. Der Klinikaufenthalt sei „wegen einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems“ erforderlich geworden, hieß es am Montag in Straßburg. Alle seine Termine waren abgesagt worden.
Im Oktober hatte Sassoli bereits eine Tagung des EU-Parlaments verpasst, weil er infolge einer Lungenentzündung hohes Fieber hatte. In der Nacht zu Montag ist er im Alter von 65 Jahren gestorben, wie sein langjähriger Sprecher Roberto Cuillo mitteilte.
Sassoli gehörte dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) an. Doch in seiner Heimat Italien war er weniger als Politiker, sondern vielmehr als ehemaliger Moderator der Tagesschau-Hauptausgabe des Staatssenders Rai bekannt. Der gebürtige Florentiner war 1992 zu Rai gestoßen, wo er schnell zu einem der beliebtesten Nachrichtensprecher und zum Vizedirektor des Telegiornale 1 (TG1) avancierte.
Es war die Zeit, als der Privat-TV-Tycoon Silvio Berlusconi Ministerpräsident war und versuchte, auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter seine Kontrolle zu bringen. Zusammen mit seiner ebenso couragierten Kollegin beim TG1, der Südtirolerin Lilli Gruber, wehrte sich Sassoli nach Kräften gegen Berlusconis Einfluss: Er gründete Articolo 1, einen Verein zum Schutz der Medienfreiheit. Gruber legte sich öffentlich mit dem Cavaliere an und kündigte ihre Stelle bei RAI – um noch vor Sassoli, nämlich bereits 2004, ins EU-Parlament gewählt zu werden, ebenfalls für die Linke.
Auch Sassoli war ein politischer Quereinsteiger: Als der damalige Bürgermeister von Rom, Walter Veltroni, im Jahr 2009 den Partito Democratico gründete, ließ sich Fernsehmann Sassoli zur Spitzenkandidatur auf der PD-Liste für die Europawahlen überreden. Sassoli erzielte mit mehr als 400.000 Stimmen das absolute Spitzenresultat in seinem Wahlkreis – und wurde als neugewählter Europaabgeordneter gleich zum Fraktionschef der Euro-Sozialisten gewählt.
Im Jahr 2012 wollte Sassoli in die Fußstapfen seines politischen Entdeckers Veltroni treten: Er kandidierte bei den Vorwahlen des PD für die Wahl Bürgermeisters von Rom. Die Kandidatur endete in einer Enttäuschung: Sassoli unterlag Senator Ignazio Marino – aber er schlug bei der Vorwahl immerhin Paolo Gentiloni, den späteren Regierungschef. In der Folge konzentrierte sich der überzeugte Europäer wieder ganz auf sein Mandat in Straßburg.
Dies wurde honoriert: 2014 wurde er zum Vizepräsidenten des EU-Parlaments gewählt, 2019 erfuhr seine Laufbahn mit der Wahl zum Präsidenten des EU-Parlaments den Höhepunkt. Im vergangenen Dezember verzichtete Sassoli auf eine erneute Kandidatur als Parlamentspräsident und leistete damit einer Vereinbarung seiner Fraktion S&D mit jener der EVP Folge. Diese sah vor, nach zweieinhalb Jahren den Vorsitz zu wechseln.
Auf Europaebene setzte sich Sassoli in erster Linie für eine Reform der EU und mehr Bürgernähe ein; daneben engagierte er sich auch für die Menschenrechte. Sein Einsatz für den russischen Oppositionellen und Putin-Kritiker Alexej Nawalny führte dazu, dass er von der russischen Regierung zur unerwünschten Person erklärt wurde.
Sein Privatleben hatte der Präsident des EU-Parlaments immer rigoros von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Von ihm weiß man lediglich, dass er zwei Kinder, Giulio und Livia, hinterlässt und dass er seine Ehefrau Alessandra, eine Kunsthistorikerin, schon im Gymnasium kennengelernt hatte.
David Sassoli liebte die Gartenarbeit, und in einem Interview hatte er sich einmal selbstironisch als „Langweiler“ bezeichnet – weil er gerne klassische Musik höre und Bücher über die Geschichte der alten Römer lese.